14. Kapitel - Brüder und Tränen

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[...] „Ich hatte einen Bruder."

Seine Augen weiteten sich.

„Er hieß Johannes, doch keiner nannte ihn so. Nicht einmal die Lehrer. Für alle war er Jannes. Er war mein bester Freund. Er war... Als ich eines Tages nachhause kam, war er nicht da. Das war noch nie gewesen. Meine Eltern meinten, er würde noch kommen. Beim Abendbrot war der Platz mir gegenüber leer. Das ganze Haus schien leer ohne ihn. Als er am nächsten Morgen noch nicht aufgetaucht war, meinte meine Mum, er wäre bei einem Freund. Mein Unterricht fiel an diesem Tag aus. Es war Nachmittag geworden, er war nicht zurückgekommen. Ich hörte jemanden weinen. Meine Mutter lag zusammengerollt wie ein kleines Kind auf ihrem Bett.

‚Er kommt nicht mehr zurück, nicht wahr?', fragte ich sie.

Sie sah auf. Ihre Augen waren verquollen gewesen. Ganz langsam schüttelte sie den Kopf. Sie überkam wieder ein Heulkrampf. Ich konnte nicht heulen. Es kam überhaupt nicht bei mit an. Dieser Zustand, dass er nie wieder zurückkommen würde, das konnte ich nicht realisieren. Es war unvorstellbar. Ich habe nie um ihn geweint, ich konnte nicht. Ich weinte, weil ich einen Jungen geküsst hatte, den ich nicht liebte. Ich weinte, als ich von meinem besten Freund Abschied nehmen musste, weil ich an der berühmtesten Schule des Landes aufgenommen wurde. Ich weinte, als mein Cousin mich schubste und ich hinfiel. Ich heulte, als meine Mutter mein Lieblingskuscheltier wegschmiss, weil sie meinte, ich sei zu alt dafür. Aber ich weinte nicht, als er verschwand. Als er für immer von uns ging. Nur wegen eines betrunkenen Autofahrers."

Ohne ein Wort zu sagen, nahm mich Nick in den Arm. Und jetzt weinte ich. Ich weinte um meinen verlorenen Bruder. Alle Tränen, die ich die letzten drei Jahre um ihn zurückgehalten hatte. Ich klammerte mich an meinen Freund.

„Schsch, es ist alles okay, Maggie."

Ich sah ihn an. Warum war er so geduldig mit mir? Warum sagte er nicht einfach, dass es ihm leid tun würde, das mit Jannes, dann würde er sagen: Danke für dein Vertrauen, aber eine Freundin, die ständig heult, will ich nicht.

„Maggie, hör mir genau zu. Es ist mir egal, ob du weinst, ob du traurig bist, ob du eine schlimme Vergangenheit hattest. Du bist und bleibst das tollste Mädchen, dem ich je begegnet bin. Ich mag dich so wie du bist. Daran kann auch nichts ändern, dass du gerade vor mir sitzt und weinst! Okay?"

Ich nickte. Er erinnerte mich so an Tor. Nur, dass der meinen Bruder gekannt hatte. Ich berührte die Kette, die ich um meinen Hals trug. Das Kreuz war von Jannes. Er hat an etwas geglaubt, an das sonst nur Menschen glaubten. Deswegen hatte der Junge gesagt, es sei unter unserer Würde. Als seien Menschen etwas Schlechteres als wir.

„Er hatte das größte Herz, was man haben konnte." Ich versuchte ruhiger zu atmen, doch es half auch nicht, ich weinte weiter. „Er war anders. Er glaubte an alles, was es nicht gab. An Elfen und Feen, an Trolle und Zwerge. Er glaubte an Dinge,... die anders waren. Nicht das typische Phatselg-Gequatsche. Wenn ich mit ihm redete, hatte ich immer das Gefühl, ein bisschen mehr von der Welt zu verstehen. Auch, wenn es sich manchmal belanglos anhörte. Oder wie ein Witz", ich lächelte schwach.

„Ich denke, du solltest Mrs Peas Bitte nachgehen und dich etwas ausruhen. Ich kann hier bleiben, wenn du willst, aber ich werde kein Wort mehr sagen."

Ich nickte. Jetzt, da er es gesagt hatte, überkam mich eine lähmende Müdigkeit.

Er grinste und ich schwor mir, ihn morgen dafür büßen zu lassen. Dann sank ich in die Kissen zurück und war sofort eingeschlafen.

SCOODJE (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt