Wieder holte Lucy uns nacheinander aus unserer Zelle, um uns unsere alten Sachen wieder anziehen zu lassen. Endlich wieder in Jeans, Top und meiner eigenen Jacke wartete ich in einer trostlosen Zelle auf meine Hinrichtung. Dass Jannes sich immer noch benahm wie ein seelenloser Automat steigerte nicht gerade die allgemeine Stimmung.
Die Stunden vergingen - vielleicht waren es nur Minuten, vielleicht nur Sekunden.
Ich war gerade etwas an Nicks Schulter eingenickt, als ich von draußen laute Stimmen hörte.
„Lass mich los! Ich kann auch allein gehen!"
„Jetzt halt deine Klappe, Mädchen!"
„Lass mich los, Jannes", Jose' wütende Stimme brach und was blieb, war ein hoffnungsloses Schluchzen.
In meinen Augen sammelten sich Tränen. Jose und vermutlich auch Treva waren geschnappt, wir hatten keine Hoffnung mehr. Alles war umsonst gewesen. Jannes würde sich nicht ändern. Es musste schon ein Wunder geschehen, dass aus ihm wieder ein Mensch wurde.
Was hatte ich mir nur gedacht, als ich dieser Sache hier zustimmte?
Dass ich meinen Bruder zurückbekam, der seit Jahren unter Einfluss des Gouvernes stand, der nicht einmal wusste, dass er eine Schwester hatte, der keine Verbindung mehr zur Welt hatte?
Ich kann nicht lange geschlafen haben, denn ich war todmüde, als jemand das Licht anschaltete und Lucy uns etwas zu essen brachte. Sie nahm keinen Augenkontakt mit uns auf.
„Verschwendetes Geld", meinte Tor. „Wir leben sowieso gleich nicht mehr. Da brauchen sie uns auch nichts mehr zu essen zu geben."
„Egal", meinte Nick, „ich hab Hunger." Er nahm eins der belegten Brötchen, hielt es kurz in der Hand, nur um es dann wieder zurück auf den Teller zu legen.
„Myss", sagte er nur.
„Hat Matthyas denn keine besseren Tricks auf Lager?"
Zehn Minuten später kam Lucy wieder rein, ich sah ihre erleichterte Miene, als sie die Brötchen auf dem Teller erblickte.
„In einer halben Stunde werdet ihr auf dem Großen Platz erwartet. Die Priwier bringen euch hin. Verabschiedet euch schon hier, dort werdet ihr keine Gelegenheit mehr dazu haben", sagte sie kühl, aber etwas schwang in ihrer Stimme mit, dass sie nicht so gefühllos klang wie die von Clove und Jannes.
Jetzt war es so weit. Wir hatten es nicht geschafft. In wenigen Minuten war vermutlich nur noch Sormiccos am Leben. Oder saß auch er in einer dieser Zellen und wartete auf seine Hinrichtung?
Tor stand auf und zog mich hoch. Ich ließ mich in seine Arme fallen.
„Es tut mir so leid", flüsterte ich. „So furchtbar leid."
Doch mein bester Freund drückte mich nur noch fester an sich. „Du bist nicht Schuld. Du bist nicht Schuld... ", er wiederholte diesen Satz lange. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so da standen. Irgendwann löste ich mich von Tor und sah Nick an.
Mein Freund nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich sanft, dann umarmte er mich so fest, dass ich beinahe das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
Wir mussten uns voneinander lösen, als jemand die Tür aufschloss. Jannes steckte den Kopf in die Zelle. „Los, kommt raus!"
Wieder nahm er mich und Clove die beiden Jungen. Doch diesmal war sein Griff fester, ich wand mich, doch er gab nicht nach. Er hielt mich immer noch für eine Betrügerin.
Den Großen Platz erreichten wir in weniger als fünf Minuten. Überall standen Männer in weißen Uniformen, in der Mitte war eine Guillotine aufgebaut. Das waren ja Hinrichtungsmethoden wie... in der Französischen Revolution.
Alles sah genauso aus wie in meinen Träumen.
Was war, wenn Jose Recht hatte und sie Realität wurden?
Jannes und Clove übergaben uns den Wachen und stellten sich einige Meter von uns entfernt kerzengerade nebeneinander. Damit war auch unsere letzte Hoffnung, dass ich Jannes Begriffe sagte, die ihn an uns erinnern sollten, vorbei.
Und auf einmal wusste ich, wer die letzte Person in meinen Träumen war: Josephine Bleach. Sie stand neben Jannes und blickte stur geradeaus. Wenn Jose hier war, musste auch Treva irgendwo sein - doch ich entdeckte sie nicht.
Bitte, bitte, lass sie am Leben und am besten im Internat sein.
Matthyas trat auf einen Balkon, der auf den Platz hinausging.
„Guten Morgen, meine Lieben. Den Anlass kennt ihr sicher, wir sind hier zur Hinrichtung der Revolutionäre Hector Iason, Maggie Lyene Isobel Veronique Canella und Nick Lionheart. Sie haben sich in dieses Gebäude eingeschlichen, zeigen aber weder Reue noch sehen sie ihren Fehler ein.
Außerdem möchte ich ein neues Mitglied in unseren Reihen begrüßen, Josephine Blank, meine Stieftochter, die sich von ihrem gesetzesuntreuen Vater abgewandt hat, um unseren Idealen zu dienen. Wir beginnen heute mit dem eindeutigen Kopf, dieser drei: Miss Canella. Ihr Vater ist der beste Freund des Schulleiters Vergen Sormiccos. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie bereits in ihrer Kindheit mit den verkehrten Grundsätzen aufwuchs und somit an die falsche Sache glaubt. Führt sie vor!"
Ich wurde getragen. Links ein Mann, rechts ein Mann, hinten ein Mann, vorne einer. Ich begann zu schreien, kreischen, strampeln. Doch ich hatte keine Chance.
Jannes starrte mich an. Schmerz lag in seinen blauen Augen. Jose war fast so groß wie Jannes. Ihre Haare glänzten in der aufgehenden Morgensonne. Ihre Augen waren eisblau. Clove sah mich an, dann Jannes.
„Tu was!"
Ich blickte wieder zu dem Jungen.
Plötzlich schien sich etwas an ihm zu verändern. Seine Augen wurden klar, sahen nicht mehr durch mich hindurch, er stand nicht mehr so straff da, sondern hat wieder seine typische Jannes-Haltung - sie war mir so vertraut wie meine eigene.
„Mags..."
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Extrem kurz, ich weiß. Was denkt ihr? Wie wird's ausgehen? Wir sind nun wirklich schon am Ende. Ein, zwei Kapitel noch...
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SCOODJE (Abgeschlossen)
FantasyAls die 14-jährige Maggie an der besten Schule Phatselgs angenommen wird, ist sie alles andere als glücklich. Viel lieber würde sie noch ein Jahr zuhause wohnen und ihr erstes Schuljahr auf dem Scoodje mit ihrem besten Freund beginnen. Auf dem Inter...