Kapitel 22 - Ein Stück Pergament

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"Wieso siehst du mich so an?" fragte Severus ernst. Erst jetzt spürte er, dass seine Wangen ihn gegen seinen Willen lächeln ließen. Sofort entspannte er sie wieder und hätte in diesem Moment im Erdboden versinken können. Er hatte gelächelt?! Wie konnte ihm das nur passieren? Er räusperte sich und tat so, als wäre dieses Lachen nie vorgefallen. Er landete im sichersten Teil des verbotenen Waldes, wo sie vom Besen abstiegen. Sie mussten ziemlich lange geflogen sein, denn langsam aber sicher brach die Nacht herein. "Du hast verloren." sagte Maleficent sofort. Severus schnaufte beleidigt, zog aber dennoch seinen Zauberstab und tat, was er in der Wette versprochen hatte. Sie fasste sich an den Kopf und tatsächlich konnte sie wieder zwei große Hörner ertasten. Snape hielt den Besen in einer Hand und ging langsam zu Fuß den Rückweg nach Hogwarts entlang, seine Begleiterin neben ihm. "Es ist sehr gut geschrieben, das Buch." meinte Maleficent nach einer Zeit, um die Stille zu beenden. Fragend sah er sie an. "Valerie Windsor. Was du geschrieben hast." Er antwortete nicht und starrte leer in die Ferne des Waldes. Dass er gerade ein Kompliment bekommen hatte, verdrängte er komplett. Ihm war klar, dass der Flug und, auch wenn es ihm selbst sehr peinlich war, auch die körperliche Nähe ein erstaunliches Gefühl in ihm auslösten. Es erinnerte ihn daran, wie er als Kind das erste Mal mit einem Besen in den Himmel hinaufstieg. Er war elf Jahre alt gewesen, Minerva saß hinter ihm und hielt ihn fest in ihren Armen, da er sich so gefürchtet hatte. Doch als sie langsam über die Wolken schwebten, und Severus auf ganz Hogwarts herabsehen konnte, die Schule, die er so sehr liebte, grinste er breit und wollte am liebsten nie wieder landen. Heute verstand er nicht, wie ihn jemand, der ihm so viel gelehrt und ein derartiges Gefühl von Sicherheit gab, ihn so hintergehen konnte. Wie sie tatenlos dabei zusehen konnte, wie das Kind, das sie großgezogen hatte wie ihr eigenes, von seinen Mitschülern gedemütigt und nicht selten zu Boden geschlagen wurde. Seine Gedanken an Minerva verblassten, als er auf dem Weg ein Stück altes, mit Dreck bedecktem Pergament fand, das direkt unter einem Baum lag. Als er es aufhob, bemerkte er erst die Buchstaben, die in dem Baum eingeritzt waren. J+L, in einem großen Herz eingerahmt. Langsam, mit einem unwohlen Gefühl, entfaltete er das Blatt und las die mit schwarzer Tinte handgeschriebenen Wörter. "Meine geliebte Lily, zwanzig Jahre ist es her, als wir uns das erste Mal unter diesem Baum geküsst haben. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als die Sonnenstrahlen durch die Blätter des Baumes hindurch die wunderschöne Kupferfarbe deines roten Haares zum Vorschein brachte, das Funkeln in deinen Engelsaugen, als ich dir meine Liebe gestand.. und seit einem Jahr ist unser kleiner Harry auf der Welt. Seit wir elf Jahre alt waren wuchsen wir miteinander auf, somit weiß ich es ganz genau. Du bist die Liebe meines Lebens, meine Seelenverwandte. Ich verspreche dir, was auch passiert, ich werde dich und unseren Sohn für immer lieben. Für immer deins, James." Auch wenn es fragwürdig erschien, wie der Brief über zehn Jahre hier unbeschädigt liegen konnte, kümmerte es Severus nicht im geringsten. Er spürte ein schmerzhaftes Stechen in seinem Brustkorb, als würde ein Messer direkt durch seine Organe schneiden. Maleficent, die direkt hinter ihm stand und den Brief mitgelesen hatte, verstand sofort, wieso Snape schweigend und starr wie eine Statue dastand. Das Blatt glitt aus seinen Fingern auf den Boden, welche nun zitternd über das eingeritzte Herz fuhren. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte. Von dem Snape, der vor wenigen Minuten noch vor Glück gelacht hatte, war längst keine Spur mehr. Noch nie hatte ihn der Kummer um Lily so stark getroffen, wie in diesem Moment. Maleficent starrte nur verlegen den Boden an, unwissend, wie sie ihm helfen könnte, als plötzlich auf der Bodenfläche ihres Sichtfeldes ein Tropfen landete. Erst dachte sie, es würde anfangen zu regnen, doch wo der Tropfen wirklich herkam, machte sie sprachlos. Es war eine Träne, die Snape über die Wange gerollt war. Mühevoll versuchte er, den Schmerz hinunter zu schlucken, den er beim Anblick der ewig alten Baumritze spürte, doch er konnte nicht. Severus hatte zuvor nie geweint. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal weinen musste. Als er spürte, wie eine weibliche Hand sich auf seine Schulter legte, wich er ruckartig zurück und wischte sich die Augen mit seinen Ärmeln trocken. "Sollte das irgendjemand in Hogwarts erfahren, wird es das Letzte sein das du-" Stille. Zumindest verstummte er sofort, denn ein lautes Heulen hallte durch den gesamten Wald. Verdammt. Severus hatte vergessen, dass Lupin seinen Trank brauchte. Wie konnte er das vergessen?! "Spring sofort auf!" Doch nicht einmal die halbe Sekunde, die Maleficent gebraucht hätte um auf den Besen zu steigen, reichte aus um außer Reichweite des Werwolfs zu kommen. Mit seinen langen, mit Fell bedeckten Beinen stapfte Remus in seiner tierischen Gestalt auf sie zu, schneller als ein Schlachtpferd. Severus zögerte nicht. Er warf den Besen zur Seite, rannte auf Maleficent zu und stieß sie beiseite. Sie prallte nach hinten auf den Boden, und er bekam die langen Krallen Lupins quer durch den Oberkörper gescharrt. Danach rannte dieser auf allen Vieren weiter zwischen den Bäumen her und verschwand wieder in der dunklen Nacht. Sofort rannte Maleficent zu dem schwer verletzten Professor hin, fiel auf die Knie und versuchte ratlos, die stark blutenden Kratzer hinter Snapes zerrissener Robe mit seinem Umhang zu stoppen. "Verschwinde sofort von hier!" knurrte Snape laut, doch auch wenn er wütend klang, hörte man auch ein leidendes Keuchen in seiner Stimme. Da kam Maleficent ein Gedanke. Ihre Kräfte. Grüne Wolken bildeten sich nun um die beiden herum, als sie mit den Händen über die Wunden fuhr und damit das Blut endgültig aufhörte, aus seinem Bauch zu fließen. Auch wenn Severus die Schmerzen immer noch quälten, war der Schock, als er das Geschehen beobachtete, um einiges größer.

Severus Snape × Maleficent - Die Fee und der ZaubererWo Geschichten leben. Entdecke jetzt