12. Bastard

10 5 1
                                    

Favio

„Favio, kannst du Knochen richten?", hörte ich meinen Vater fragen sobald er das Wohnzimmer betrat. „Nicht beim Essen.", fauchte meine Mutter und stellte einen Teller vor mir ab. „Ja.", erwiderte ich leise und schob eben diesen Teller etwas von mir um mein Notizbuch abzulegen. „Auch wenn du sie wieder brechen musst?", sagte mein Vater und ignorierte gekonnt die Blicke meiner Mutter. „Kommt drauf an.", murmelte ich und strich über die blassen Seite des Buches. „Oberschenkelknochen werden instabil, wenn man sie immer wieder erneut bricht. Splitterbrüche lassen sich meist nicht sauber genug brechen um sie wieder zusammen zusetzen.", schilderte ich und beobachtete im Augenwinkel, wie mein Vater zu mir kam. „Wir wollen wissen ob der Teufel fliegen kann.", sagte er und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Jedes Mal, wenn er vor mir stand fühlte ich mich so unglaublich winzig und jung. „Okay.", erwiderte ich und sah zu ihm auf. „Sein linker Flügel ist gebrochen.", informierte er mich. „Können wir das jetzt lassen!", unterbrach meine Mutter diese Situation erneut. Schnaubend setzte sie sich an den Tisch und sagte: „Der arme Junge. Er stand schon so lange unter seinem Bann und du willst ihn erneut zu ihm schicken?" Mein Vater verdrehte die Augen und setzte sich dann ebenfalls. „Er hat keinerlei solcher Fähigkeiten. Dein Sohn ist schwul, wie du vielleicht bemerkt haben könntest und Kenneth..." „Nein!", keifte meine Mutter. „Das wirfst du ihm nicht vor. Er war immer treu. Es ist nicht seine Schuld und wenn das wirklich die Wahrheit sein sollte ist niemand anderes als Belial daran Schuld. Ich habe schon immer gesagt, dass man diesem Mann nicht trauen kann.", rief sie außer sich und schlug auf den Tisch. „Was soll Belial getan haben um ihn so zu machen?", erwiderte mein Vater kühl.

Rückartig erhob ich mich vom Tisch und steckte mein Notizbuch wieder ein. „Ich werde nach dem Flügel sehen.", murmelte ich als die Blicke meiner Eltern stumm auf mir lagen. „Guten Appetit.", fügte ich noch hinzu bevor ich fluchtartig die Wohnung verließ und in den Keller fuhr. Keiner der beiden Orte war grade angenehm. Aber Kenneth würde mir zumindest nicht meine Sexualität vorwerfen.

Kurz tastete ich im Labor nach dem Lichtschalter und huschte dann über den Gang zur Eingangstür der Zelle. Eine Prämiere.

Langsam legte ich meine Hand auf die kühle Klinke und drückte sie herunter. Sofort schlug mir der Geruch von Blut und Staub in die Nase. Schweiß und Desinfektionsmittel. Einen Moment versuchte ich mich an den Geruch zu gewöhnen bevor ich mich dem Anblick stellte. Ich hatte ihn oft genug dort hängen sehen. Aber nur hinter Glas und mit dem Wissen, dass er nicht wusste, dass ich dort war.

Leise betrat ich den Raum und sah auf die zusammen gesunkene Gestalt. Das aschblonde Haar, der große Körper, die kräftigen Hände. Mein Blick fiel erneut auf die riesigen Schwingen. Sie wirkten schlaff und traurig. Wie ein schlecht ausgestopfter Vogel. Wieder hatte ich den Wolfsangriff vor Augen, wie mächtig er dort über Jon gestanden hatte. Das Schwarz hatte in der Sonne geglüht. Doch jetzt wirkten sie geradezu fad und grau. Nur das Blut zeigte einen deutlichen Unterschied. Wie sollte er mit diesen Wunden jemals fliegen können. Gebrochener Flügel hin oder her.

Unsicher legte ich meine Tasche neben dem Labortischen ab und trat dann auf ihn zu. Dabei bemerkte ich seine geschlossenen Augen. Er musste unglaublich müde sein.

Leise kniete ich mich zu ihm auf den Boden und betrachtete sein Gesicht aus der Nähe. Nichts hatte sich großlegend verändert. Er war noch immer er.

„Vio.", kam es leise über seine Lippen. „Hey.", hörte ich mich heiser erwidern. Erschrocken riss er die Augen auf und sein Kopf fuhr in die Höhe. „Langsam.", sagte ich überrascht und sah besorgt hinauf zu den Ketten, die erneut tiefer in sein Fleisch schnitten. „Favio.", wiederholte er und sah mich starr an. Kurz verlor ich mich in seinem Anblick. Vielleicht hatte meine Mutter recht und er würde mich nie aus seinem Bann lassen. „Dein Flügel ist gebrochen.", hörte ich mich stumpf sagen. „Schon seitdem ich hier bin.", erwiderte er mit rauer Stimme und ich konnte beobachten wie ein dunkler Schatten sich über seine graublauen Augen legte. „Ich werde deinen Flügel los machen. Bitte versuch nichts Dummes.", erwiderte ich und ignorierte seinen Vorwurf. „Zum Beispiel? Dir eins überziehen?", hörte ich ihn sagen währen ich zu den Kurbeln ging. „Zum Beispiel.", murmelte ich ohne, dass er mich hörte.

Vamp Zone 《5》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt