74. Alte Bekannte

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Eric

„Azra.", sagte ich leise sobald Shotas Schritte verstummten. Sofort löste mein Sohn sich von Nael. Auch wenn das dafür sorgte, dass Nael wimmernd in sich zusammen sank. „Aber...", stammelte Azrael und deutete hilflos auf Nael. „Ich kümmere mich. Es ist alles gut.", erwiderte ich und kniete mich zu Nael auf den Boden. „Dieser Mann war so böse zu ihm.", hörte ich Azrael neben mir sagen, während ich Nael auf die Seite legte und anfing sanft durch sein zweifarbiges Haar zu streichen. Alleine das er mein Hemd herausgesucht hatte zeigte mir, dass meine Nähe ihm offenbar half. Ob es daran lag, dass der ‚böse Mann' mein Vater war oder weil ich auch schon beim letzten Mal der sichere Hafen war, wusste ich nicht. Nael zog mein Hemd zitternd über seinen Körper und presste den Stoff in sein Gesicht. Diesmal musste es wirklich schlimmer sein.

„Was hast du gesehen?", fragte ich und sah zu Azra auf. Azrael schob kurz seinen Brille hinauf bevor er sagte: „Als ich ihn fand hat er ihn gestreichelt. Nael war nicht ansprechbar." Ich nickte verstehend und wartete das er weitersprach. Aber es schien ihm schwer zu fallen die richtigen Worte zu finden. „Er sah erwischt aus als er mich bemerkte.", presste Azra hervor und ging wieder in die Knie. „Sie haben dann geredet. Nael war nicht glücklich. Aber der Mann hat weiter gemacht.", murmelte er und legte unsicher seine Hand auf Naels Fußgelenk. „Ich will nicht, dass es ihm so geht.", sagte Azrael hilflos und sah mit großen Augen zu mir auf. ‚Du wirst noch viele Personen treffen, die leiden', hörte ich die Stimme meines Vaters in meinen Erinnerungen sagen. „Azra, das gehört zum Leben dazu. Nicht immer geht es allen gut. Aber Beistand kann einiges besser machen.", erklärte ich und beobachtete wie mein Sohn weiter unbeholfen über Naels Bein strich. Bis Nael sich zu einem kleinen Ball gerollt hatte und fest schlief. Sanft zog ich meine Hand zurück und setzte mich zu seinen Füßen auf die Matratze. So war ich in seiner Näher aber seine Sinne sollten sich nicht zu sehr an meine Anwesenheit gewöhnen.

Azrael löste sich ebenfalls von Nael und setzte sich auf meine noch freie Seite.

„Zeigst du mir, wie du heilst?", hörte ich ihn leise fragen. Kurz huschte ein Lächeln über meine Lippen. Ich konnte gar nicht wie mein Vater sein, denn mein Sohn teilte meine Leidenschaft schon. Niemand musste Azrael dazu drängen seine Nase in ein Buch zu stecken oder die Wunder der Biologie zu erforschen. All das faszinierte ihn genauso wie mich. Auch wenn mein Interesse anfänglich durch meinen Vater geprägt war.

„Ich zeig dir alles was du wissen willst, Azra", versprach ich und legte meinen freien Arm um den zierlichen Körper. Erst da erkannte ich wie erschöpft er wirklich war. Sobald er meinen Arm um sich fühlte verlor sein Körper an Spannung und sein Kopf sank auf meine Brust. „Ezra, ich will kein Heiliger sein.", murmelte er, während er seinen Körper etwas mehr auf die Matratze sinken ließ. „Deine Mutter...", setzte ich an. Doch Ezra stieß mir seinen Arm in die Seite bevor er sagte: „Sie glaubt ich wäre ein Wunder." Schmunzelnd sah ich auf ihn hinab. „Jedes Kind ist ein Wunder.", erwiderte ich. Ezra richtete sich wieder auf und sah mich empört an. „Ich dachte, du seist nicht so.", sagte er. Jedoch anstatt Distanz zu suchen lehnte er sich wieder an meinen Körper. Schmunzelnd strich ich sanft über seinen Arm. Doch da bekam ich schon keine Reaktion mehr. Vorsichtig beugte ich mich etwas vor um ihm die Brille von der Nase zu nehmen. Dann ließ ich ihn in meinem Arm schlafen.

Kenneth

Stumm und mit schweren Augenlidern saß ich auf der Matratze auf dem Boden. In den beiden Betten lagen Favio und Jon. Ein Mann, namens Aleksis hatte ihn mit mir zu meinem besten Freund gebracht als er uns entdeckte. Grade war er dabei Favios Bein zu schienen. „Ich würde es nicht belasten.", hörte ich ihn leise in seinem russischen Akzent sagen. Favio nickte verstehend und verzog leicht das Gesicht als Aleksis das letzte Band fest zog. Im selben Moment öffnete sich die Tür und Lydia betrat den Raum. „Wie geht es ihm?", fragte sie an mich gerichtet. Erst da bemerkte sie den anderen Mann. Leise kam sein Name über ihre Lippen. „Ich verschwinde sofort.", versprach er und räumte seine Sachen zusammen. „Er ist stabil. Das Vampirblut scheint zu wirken. Sicher wird er bald aufwachen.", informierte er sie und trat zur Tür. „Entschuldige.", murmelte er bevor er sich an ihr vorbei drückte. „Ihr kennt euch?", fragte ich und beobachtete wie Lydia langsam die Tür schloss. „Ja, ich ... er hat im Krankenhaus gearbeitet", erklärte sie und trat an Jons Bett. Sanft tastete sie ihn ab und warf einen Blick auf den Verband.

Dann sah sie zu mir und sagte: „Wenn es heute Nacht zu laut werden sollte hier oben, sag Bescheid. Einige der Räume in der zweiten Etage sind wieder nutzbar." „Wieso sollte es zu laut sein?", fragte ich und richtete mich auf. Lydia deutete nach oben und erwiderte: „Vollmond." Dann sah sie zu Favio. Sofort sah ich wie Angst in seine Augen stieg. Angst, dass sie wusste wer er war. Doch woher sollte sie das wissen. „Favio, richtig?", kam es in dem Moment über ihre Lippen. „Ja.", sagte er heiser und sah hilfesuchend zu mir. „Es ist alles gut.", brachte ich hervor und stand auf. „Von ihm geht keine Gefahr aus.", versprach ich und trat zu Lydia. „Wie kommst du auf Gefahr? Noelia hat mir erzählt was passiert ist.", erwiderte sie und schenkte Favio ein sanftes Lächeln bevor sie hinzufügte: „Es muss wirklich nicht leicht gewesen sein, einen Weg zu finden zwischen diesen Welten zu leben. Als du in unseren Flur standest hatte ich solche Angst. Aber Noelia hat immer so positiv von die gesprochen. Ich konnte später nicht glauben, dass du einer der Bösen sein solltest." Favio schluckte hörbar und murmelte: „Ich habe versucht zu überleben. Wie ihr. Aber ich konnte mit niemandem reden. Ich stand schon zu nah an der Klippe als dass ich das hätte riskieren können." Lydia nickte verstehend und ich sah wie Mitleid in ihre Augen trat. „Jetzt bist du hier und sie können dir nichts mehr.", sagte sie liebevoll und sah dann zu mir. „Also ihr kennt euch?", fragte ich verwirrt. Beide nickten und Lydia erklärte: „Noelia brachte ihn einmal zu uns nach Hause. Die beiden haben zusammen gearbeitet." Ich nickte langsam. Noelia also.

Favio

„Gracia!"

Erschrocken riss ich den Kopf hoch und wäre fast mit dem Mann über mir zusammen gestoßen. „Wolf.", keuchte ich erschrocken und sah in das bärtige Gesicht über mir in der Dunkelheit. „Hat er dich entführt?", fragte er und neigte leicht den Kopf. „Was?", fragte ich mit rauer Stimme und zog mich unter ihm hervor um mich aufzusetzen. „Der Teufel. Weshalb bist du sonst hier? Sie haben dich frei gesprochen. Ich hoffe doch nicht nur wegen deines Vaters.", erwiderte er und setzte sich auf meine Bettkante. Leise zischte ich auf als sich dabei die Decke über meinem Bein spannte. „Oh entschuldige. Bist du in die Schusslinie gekommen?", fragte er und mein müdes Hirn nahm immer mehr war wie abwertend er plötzlich mit mir sprach. Dabei war er im Zentrum immer sehr scheu gewesen. Doch dann begriff ich, was ihm das Recht dazu gab. „Keine Schusslinie.", erwiderte ich und schlug die Decke zurück um mein Bein mit meinen Händen etwas von ihm wegzurücken. „Haben sie dich geschlagen? Bist du ein Gefangener?", fragte er weiter, flüsternd in der Dunkelheit. „Niemand hier ist ein Gefangener.", sagte ich und lehnte mich gegen die Wand. „Das erzählen sie uns. Aber dürfen wir gehen?", fragte er leise lachend. „Du lebst. Oder nicht? Damit sind sie freundlicher als unsere Leute. Das Bein habe ich mir gebrochen als Bel mich vom Dach des Zentrums gestoßen hat. Kenneth, oder wie du ihn nennst, der Teufel hat mich gefangen und verhindert, dass meine Innereien auf dem ganzen Parkplatz spritzen wie ein zerschlagenes Ei.", zischte ich und fühlte wie es mir erneut kalt den Rücken hinunter lief. Doch er lachte nur leise und beugte sich etwas vor um zu sagen: „Ich denke, wenn Belial beschließt, dass du dein Leben nicht mehr wert bist wird es seine Gründe haben." Ich schnaubte leise und erwiderte: „Er war eifersüchtig und konnte nicht verstehen, dass ich nicht ihm gehöre und mein eigenes Leben lebe. Anton, halt du Klappe, wenn du keine Ahnung hast. Du bist hier. Wie lang auch immer und du hast gesehen wie sie leben und leben lassen." „Sicher, dass du dir nicht den Kopf gestoßen hast?", fragte Anton und musterte mich weiter. „Sehr sicher.", erwiderte ich und sah hinüber zu der Matratze auf dem Boden. Kenneth lag dort auf dem Rücken. Ich sah nur den Schein seiner Haut und konnte das Nest seiner Haare erahnen. Er hatte mich verstehen lassen. Mehr als einmal und ich war ihm so dankbar. „Versuch es zu verstehen. Gib ihnen eine Chance.", murmelte ich und ließ meinen Blick wieder zu Anton gleiten. „Das habe ich oft genug gehört.", murrte er. Dann fügte er hinzu: „Also kann ich nicht auf deine Unterstützung hoffen." Damit stand er auf und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Es schien mir schon fast wie ein Traum so verschlafen war ich und so unwirklich wirkte diese Situation.

Anton Wolf war in meiner Erinnerung ein ziemlich scheuer Mann gewesen. Er hatte alles getan was man von ihm verlangte und auch vor Leuten wie mir hatte er Respekt gezeigt. Dabei war ich nur der misslungene Sohn eines vielleicht etwas zu hohen Tieres. Noch dazu arbeitete meine Vater nicht für die strukturelle Seite der Organisation sondern für die Forschung. Er hatte mit Antons Abteilung nichts zutun gehabt. Dennoch bekam ich Respekt gezollt. Allerdings wirklich nur von ihm. Die anderen Offiziere, Truppenmitglieder und Sicherheitspersonen spuckten auf die Forscher. Da wir angeblich ein solch leichtes Leben führten. Aber meinetwegen hätten sie gerne mit mir tauschen können. 

Vamp Zone 《5》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt