1. Raphael

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Noelia

Erneut sah ich diese Bilder von vor einem Jahr. Nur ihre roten Haare reichten um mir die Erinnerung wieder in den Kopf zu rufen. Bebend lag sie dort auf dieser Liege und kehrte mir den Rücken. Ihre Arme schlangen sich um ihren mittlerweile wieder flachen Bauch.

Erneut hörte ich ihre Schreie. Ihr Flehen. Fühlte die Schuld erneut auf meinen Schultern.

Ihr Sohn war nachts gekommen. Ich hatte Nachtschicht und hörte sie winseln. Sie hatte versucht mir vorzutäuschen sie hätte keine Wehnen. Aber spätestens als ihre Schreie durch den Gang hallten konnte sie nichts mehr spielen. Was hätte ihr es auch gebracht. Die nächste Aufsicht hätte das kleine Bündel gefunden.

Ich hatte sie festbinden müssen auch wenn ich das unmenschlich fand. Doch ansonsten hätte sie mich sicher getötet. Alleine die Flüche, die sie mir nachgeschrien hatte als ich mit dem Säugling den Raum verlassen hatte, hätten mich töten können, wäre sie eine Hexe gewesen.

Erneut sah ich das kleine Gesicht vor mir mit diesen winzigen Händen, die versuchten nach etwas zugreifen. Das dunkle Haar, dass in seidigen Strähnen auf seinem Kopf lag. Sie hatte ihn nicht halten können. Es hätte zu lange Zeit gebraucht.

Leise schloss ich die Tür auf und trat in den weißen Raum. „Vanessa.", sagte ich leise und beobachtete wie sie leicht zusammenfuhr. „Bitte.", kam es gehaucht über ihre Lippen ohne das sie mich ansah. „Ich brauche nicht viel.", erwiderte ich sanft und setzte mich zu ihr auf die Bettkante. Vorsichtig nahm ich ihren Arm und legte das Gummiband um ihren Oberarm. „Bitte.", wiederholte sie und sah zu mir auf. „Mein...", setzte sie leise an doch erneut liefen ihr die Tränen sofort über die Wangen. Langsam schüttelte ich den Kopf und griff dann in meine Manteltasche. „Hier.", murmelte ich und legte das Bild vor ihr auf die Matratze. Sofort griff ihr freie Hand danach. Es zeigte ihren Sohn fast direkt nach der Geburt. Eingewinkelt in eines der sterilweißen Tüchern. Die Augen geschlossen, einen Arm hinaufgestreckt und den anderen an die Brust gepresst. „Wo ist er?", wimmerte sie und griff sanft um das Bild. Doch ich schwieg nur. Ich konnte ihr dazu nichts sagen. Egal ob ich log oder die Wahrheit sagte, sie würde unkontrollierbar werden. Also nahm ich ihr das Blut ab, dass ich brauchte und erhob mich wieder. „Noelia, bitte. Was tut ihr mit ihm. Ich bin seine Mutter.", hörte ich sie sagen. Das war der längst Satz, den sie seit der Geburt gesagt hatte. „Ich kann es dir nicht sagen.", erwiderte ich und griff nach der Türklinke. „Bitte, wie könnt ihr so herzlos sein. Sein Vater ist dort draußen. Bring ihn zu ihm.", verlangte sie unter Tränen. „Er ist ein Kind... ein Baby.", schluchzte sie und schwang die Beine aus dem Bett. „Ich kann nichts tun.", erwiderte ich und verließ den Raum. Tief durchatmend verschloss ich die Tür wieder und ging durch den Gang. Das schlechte Gewissen fraß mich fast auf.

Zitternd schloss ich meine Labortür und machte mich daran ihr Blut in den Geräten zu platzieren.

Sobald ich erfahren hatte was ihre Besonderheit ist, hatte ich die Chance erkannt und mich dafür entschieden ihre Verwandlung nach zu vollziehen. Niemand hatte darin Fortschritte gemacht und es war eine Forschung, die nicht auf Leid aufgebaut war. Man würde mir soviel Zeit lassen wie ich wollte. Niemand sonst konnte daran forschen, denn es gab niemanden wie Vanessa.

„Lorca, können sie mir was erklären?", fragte einer meiner Mitarbeiter. Sie ignorierten alle immer gekonnt, dass meine Tür geschlossen war. „Dr. Lorca. Wie kann ich Ihnen helfen.", erwiderte ich murrend und schloss das letzte Gerät. „Beeilen sie sich. Ich habe gleich Feierabend.", fügte ich hinzu. „Ihre Patientin war doch schwanger. Wo ist das Kind hingekommen?", fragte er und lehnte sich in den Türrahmen. „Es ist nach der Geburt gestorben. Ich war auf dem Weg zur Übergabe. Es war offensichtlich ein Halbvampir. Der Körper hat nicht zusammen gepasst.", erwiderte ich und fing an meine Tasche zu packen. „Wollen sie die These aufstellen, dass Halbvampire nicht lebensfähig sind?", fragte er. Ich drehte mich wieder zu ihm herum und antwortete: „Wie soll das funktionieren? Nur weil die Erscheinung die selbe ist? Bullshit. Ein menschlicher Körper kann nicht die Bedürfnisse eines Vampirs decken. Dafür brauche ich keine These." Damit nahm ich meine Tasche und drängte mich an ihm vorbei aus dem Raum um dieses schreckliche Gebäude zu verlassen.

Seufzend stieg ich in mein Auto und fuhr zurück ins Dorf. Auf der Hauptstraße lang und dann in den Wald. Zurück zu Lydia. Irgendwann waren wir wieder zusammen gezogen. Wir brauchten beide Unterstützung und die konnten wir einander geben.

Leise schloss ich die Haustür auf und trat in den Flur. Dennoch hatte Lydia mich gehört. „Schon zurück?", rief sie und trat aus der Küche. „Überstunden abbummeln.", erwiderte ich und hängte meine Tasche und Jacke an die Garderobe.

„Wo ist Raphael?", fragte ich als ich die Küche mit ihr betrat. „In seinem Bett im Wohnzimmer.", erwiderte Lydia und deutet auf den Babymonitor neben dem Herd. „Normalerweise trägst du ihn doch immer mit dir rum.", sagte ich und nahm einen Teller mit der warmen Suppe an. „Ich musste heute an deine Worte denken. Damals mit Azrael. Das er Freiraum braucht und bisher hat er nur geschlafen. Ich denke, das tut ihm gut.", erklärte sie und setzte sich zu mir. „Er wird sehr eigenständig sein. Eigenständiger als Azrael. Er ist kein Mensch, Lydia.", erwiderte ich und musterte sie besorgt. Mir war bewusst, dass sie Raphael als Ersatz für Azrael sah. Aber das würde sich bald ändern. Seine Entwicklung würde anders ablaufen und sie würde verstehen, dass es einen Unterschied machte.

„Wie geht es ihr? Konntest du es ihr sagen?", fragte Lydia nach einer weile Stille. „Du weißt, dass ich das nicht kann. Sie überwachen diesen Raum und wenn sie sich nicht mehr so verhält, dann werden sie Fragen stellen. Du weißt, dass ich das nur getan habe, weil du sie kennst.", erwiderte ich und leerte meinen Teller. „Noelia, wenn ich mir vorstelle, dass jemand mir Azrael bei der Geburt genommen hätte. Wenn ich keine Erinnerungen mit ihm hätte... meine Muttergefühle würden mich erdrücken. Du kannst dir nicht vorstellen wie schmerzhaft der Verlust...", versuchte sie zu erklären aber ich unterbrach sie und erwiderte: „Azrael war genauso ein Sohn für mich wie für dich auch. Wir haben ihn gemeinsam groß gezogen. Er hat mich Ma genannt. Ich verstehe sehr wohl wie schmerzhaft solch ein Verlust ist." „Sie hat dieses Kind in ihrer wahrscheinlich schlimmsten Zeit bekommen.", warf Lydia ein und holte den Babymonitor von der Küchenzeile. „Er lebt. Ihr Sohn lebt im Gegensatz zu Azrael. Azrael ist nirgends aufzufinden. Keine Akte, nichts. Verstehst du das? Ich suche seit ich bei ihnen bin nach einem verfluchten Zeichen auf ihn. Aber sie haben nichts über ihn festgehalten und jeden verfickten Tag mache ich mich deswegen verrückt. Diese Ungewissheit ist nichts gegen das was Vanessa erträgt. Sie kann sich ziemlich sicher sein, dass ihr Sohn tot ist und sie weiß, dass sie ihn nie wiedersehen wird. Niemand sagt ihr, dass ihr Sohn leiden wird, sollte sie sich ein Fehler erlauben. Sie weiß, dass ihr Sohn leidet, wenn er nicht schon lange tot ist.", rief ich und schob meinen Teller von mir. Lydia griff sanft nach meiner Hand und erwiderte: „Ich weiß, dass du dein bestes tust Noe. Tut mir leid. Ich sehe nur die Opferseite und habe vergessen, dass auch du ein Opfer dieser Menschen bist." Ich nickte langsam und fühlte wie sofort die Wut aus meinem Körper wich. 

Vamp Zone 《5》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt