51. Container

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Kenneth

Langsam schlug ich die Augen auf. Ich wusste nicht wann genau ich das Bewusstsein verloren hatte. Jedoch konnte ich mich an nichts mehr erinnern, außer, dass ich in Favios Armen gelegen hatte. Wie lange war ich weg gewesen?

Mein Körper fühlte sich zerschlagen an und die einzige Linderung kam durch den seichten Wind, der über meine Arme und mein Gesicht fuhr. Verwundert runzelte ich die Stirn und sah von der Metallwand weg zu der Quelle des Windes. Eine offene Tür.

Langsam richtete ich mich auf, hörte erneut das vertraute Klirren der Ketten, jedoch war es nur eine, die sich um mein Fußgelenk zog. Meine Flügel waren verschwunden, genau wie der höllische Schmerz in ihren Spitzen. Dafür brannte mein Rücken. Hatten sie sie abgetrennt? War ich deswegen hier? Weil sie meinen Körper nicht mehr brauchten? Doch dieser Gedanke verschwand schnell als ich das vertraute Drängen verspürte. Den Druck auf meinen Schulterblättern, welchen ich immer fühlte, wenn ich sie lange nicht hervor geholt hatte. Langsam erhob ich mich von der Liege auf der ich gelegen hatte und trat zur Tür. Ich hatte nicht erwartet, dass ich es bis dahin schaffen würde, zum einen durch die Kette, zum anderen durch meinen schmerzenden Körper. Aber beides hinderte mich nicht. Ich konnte sogar vor die Tür gehen. Ein Dach. Von hier konnte ich Wälder und Dörfer sehen, unter meinen Füßen lag Kies auf Dachpappe. Der Wind zerrte an meiner Kleidung und ließ auch den letzten Schmerz verschwinden. Erleichtert atmete ich durch. Ich war nicht frei aber sehr viel selbstbestimmter. Mit einem leisen Seufzen gab ich dem Druck in meinem Rücken nach und vernahm ein leises Rauschen, sah wie die pechschwarzen Schwingen sich dem Wind entgegenlehnten, sah wie viel gesünder und prächtiger sie aus sahen. Ohne Verletzungen und Staub, ohne Blut. Mit sanften Bewegungen ließ ich sie sich im Wind bewegen. Genoss das frische Gefühl zwischen den Federn und die kühle Luft auf meiner Haut.

„Ken."

Erschrocken sah ich auf und erkannte sofort die dunklen Locken. Mit einem sanften Lächeln trat er näher. Kaum noch Angst lag in seinem Gesicht. Trotz dessen, dass sie frei lagen. Ich könnte ihn verletzen, aber wollte ich das? „Wo bin ich?", fragte ich als er vor mir stand. „Auf dem Dach des Zentrums. Du hattest Panik und einen Zusammenbruch. Ich kann es nicht beschreiben. Ich habe meinen Vater gebeten, dass wir einen geöffneten Platz für dich finden.", erklärte er und überwand den letzten Meter um mich in seine Arme zu schließen. „Sie haben mich gehen lassen.", hörte ich ihn an meinem Ohr flüstern. „Ich werde nicht sterben müssen.", fügte er hinzu. Langsam legte ich meine Arme um ihn. „Wirst du zurück zu ihm gehen?", fragte ich unsicher. Würde er jetzt wieder zu ihnen gehen? Er war doch nur zu mir gekommen, weil er wusste, dass sie ihm weh tun würden. Doch jetzt hatten sie ihn wieder aufgenommen. „Zu wem?", erwiderte er und hob den Kopf. „Deinem Freund.", sagte ich und musterte sein Gesicht. Sein Auge war immer noch leicht bläulich und die Platzwunde an seiner Schläfe war mit Klammerpflastern versorgt worden, jedoch zeigte sich schon eine alte Kruste. „Wenn ich leben will sollte ich ihn nicht verärgern.", erklärte er und legte sanft eine Hand an meine Wange bevor er sagte: „Aber ich weiß, dass du immer der einzige sein wirst, bei dem ich sicher bin. Egal was Belial dir erzählt. Es sind nicht meine Gefühle." „Was sind deine Gefühle?", harkte ich nach. Doch Favio antwortete nicht. Dafür beugte er sich langsam vor und wenig später konnte ich seinen Atem auf meinem Gesicht fühlen. Ein leichter Hauch von warmer Luft in der kühlen Briese. Meine Augen sahen starr in seine blau grünen Iren. Dann schloss er seine Augenlider und überwand die letzten Zentimeter um sanft seine Lippen auf meine zu legen. Sofort schoss ein leises Prickeln durch meinen Körper und ich konnte nicht anders als ihn fester an mich zu ziehen. Zeitgleich keuchten wir leise auf und ich spürte wie Favios Hand in meine Haare fuhr um dort fest zuzugreifen. Sanft vertiefte ich den Kuss und ließ meine Zunge über seine Lippen fahren. Sofort öffnete er seinen Mund und gewährte mir Einlass. Doch kurz darauf spürte ich Tränen auf meinen Wangen. Also löste ich mich erschrocken und sah wieder in seine Augen. Ich musste gar nicht fragen da wimmerte er schon: „Ich hätte einfach sterben sollen. Wie kann ich dir das hier antun? Wie kannst du mich dabei noch mögen?" „Ich will nicht, dass du stirbst. Du hättest es mir sagen können und wir hätten einen Weg gefunden. Aber es ist okay. Wir finden auch hier einen Weg.", erwiderte ich und strich ihm sanft die Tränen aus dem Gesicht. „Sieh dich um. Nur eine einzige Kette hält uns hier.", fügte ich leise hinzu und deutete auf das dünne Ding, dass mich an den Container fesselte. Im Vergleich zu den Ketten im Labor, war sie fast lächerlich. Favio lachte unter Tränen auf und wischte sich jetzt selber die feuchten Spuren fort. „Wo willst du denn hin? Also ich weiß wo du hin willst. Aber wenn du mich mit nimmst... Ich bin nirgends sicher.", murmelte er und strich gedankenverloren über meine Brust. „Wieso solltest du dort nicht sicher sein?", fragte ich lächelnd und strich ihm eine Locke hinters Ohr. „Ich war damals schon nur toleriert. Sie werden mich ebenso töten wollen. Ich habe Shota verraten.", erwiderte er und schmiegte seinen Kopf leicht in meine Hand. „Shota war seit Jahren in keinem Labor. Was wollen sie mit dieser Information?", fragte ich lachend und zog ihn wieder in meine Arme. „Ich werde nicht ohne dich gehen. Egal welche Chance ich sehe. Ich will bei dir sein. Du kannst dir nicht vorstellen wie glücklich ich bin, dass du mir wieder zuhörst und freundlich zu mir bist.", hauchte ich und küsste sanft seinen Hals. „Ken, wenn du fliehen kannst, flieh. Versprich es mir. Verbring keinen weiteren Tag meinetwegen in dieser Hölle. Dein Bruder brauch dich. Jon braucht dich.", erwiderte Favio und zog sich aus meiner Umarmung zurück. Doch ich schüttelte nur leicht den Kopf und sagte: „Ich kann dich hier nicht zurück lassen. Nicht ohne Schutz." Favio lächelte leicht und sagte schmunzelnd: „Ich habe hier mehr Schutz als du." Mit einem traurigen Lächeln strich ich sanft über seine Schläfe. „Er verletzt dich. Auch wenn sie dich nicht töten. Du brauchst mich um nicht innerlich zu sterben.", flüsterte ich und ließ meinen Blick über sein Gesicht gleiten. Schüchtern wich er mir aus und sah auf den Boden. „Ich halte das aus und ich kann verschwinden sobald du fliehen konntest.", erwiderte er und sah langsam wieder auf. „Ich liebe dich. Stirb nicht.", fügte er leicht hinzu und lehnte sich erneut vor um mich zu küssen. 

Vamp Zone 《5》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt