"Ein Verräter im Raum, einer in den Wänden. Ich bin ja heute regelrecht gesegnet."
Der schier undurchdringliche Wall aus Zynismus wie ein Schutzschild um sich herum legend, wagte Tony Stark es für einen Moment seinen Kopf zu drehen und Steve direkt ins Gesicht zu schauen.
*Nur einen Moment. Zeig ihm, wie sehr du ihn hasst, wie sehr...*
Ein Blick aus diesen verdammten blauen Augen und sein Vorsatz schmolz dahin wie Eis in einem gutem, alten Bourbon. Schnell drehte er den Kopf und starrte die Wand an. Alles war besser, als dieses viel zu perfekte Gesicht und der dazugehörige fast schon obszön gut gebaute Körper.
"Tony..."
Boah, halt doch den Mund! Tony spürte, wie das dunkle Timbre durch sein Rückenmark fuhr.
"Ich hab dir nichts zu sagen, Rogers. Verschwinde einfach, darin bist du so wieso am besten."
"Tony, wir müssen miteinander reden."
"Ich muss einen Scheiß, Rogers!"
Nun wirklich wütend, knurrte er den Namen seines Gegenübers und schüttelte den Kopf. Er wollte ihn nicht ansehen! Er WOLLTE wütend sein!
"Ich habe dir bereits gesagt, dass es mir leid tut."
"Leid... Cap, es interessiert mich einen Scheiß, ob es dir leid tut! Du hast gesagt, wenn wir dich brauchen, wenn..."
Verdammt... In die eigene Falle manövriert. Tony schloss den Mund in der Sekunde, als er realisierte, wie nah er daran gewesen war, ihm zu sagen, wie sehr er ihn gebraucht hatte. Wie sehr er ihn vermisst hatte...
"Ich weiß."
Bitte was?
"Du weißt einen verdammten Scheiß, Rogers!"
"Kannst du bitte endlich mal aufhören, in jedem zweiten Satz zu fluchen, Tony?"
"Oh sorry, Mister Perfekt. Die niederen Menschen drücken sich eben so aus, wenn sie wütend sind. Ist nicht jeder ein katholischer Messdiener in diesem Raum."
Ein resignierendes Seufzen entwich dem Soldaten, als er kurz den Kopf senkte und sich nun direkt vor das Bett stellte, um in Tonys Sichtfeld zu gelangen.
"Ich war nicht da, als ihr mich gebraucht habt. Das ist etwas, das ich mir nicht verzeihen kann und werde."
"Die Tränendrüse steht dir nicht."
Schnaubend schüttelte der Soldat den Kopf. Er hatte sich geschworen, dass er diese Angriffe aushalten würde. Dass er ertragen würde, was Tony ihm an den Kopf warf. Koste es, was es wolle. Sie mussten das hier endlich regeln!
"Was genau willst du von mir hören, Tony?"
Da war sie, die Frage, die Tony Stark sich selbst seit geraumer Weile zu oft gestellt hatte. Wie sollte er diese Wut aufrecht erhalten, wenn Steve sich entschuldigte? Wenn er einsah, dass alles sein Fehler gewesen war, auch wenn er selbst nur zu genau wusste, dass das nicht stimmte. Doch kannte Tony sehr wohl Steves Hang dazu, alles auf seine Schultern zu laden. Jede Schuld, war sie auch nicht die seine.
Die blauen Augen fanden seinen nur widerwillig erhobenen Blick mit solcher Intensität, dass der Milliardär jede Unze Beherrschung aufbringen musste, um keine Regung zu zeigen. Er spürte, wie das Blau seinen Körper regelrecht abscannte, ahnte mehr, als dass er es sah, wie sich Steves Kieferknochen unter der Haut abdrückten, da er seine Zähne zu sehr aufeinander presste.
Fast hatte er das Gefühl, die Wärme des muskulösen Körpers vor sich zu spüren, wie eine Aura, die Steve umfing und den gesamten Raum ausfüllte. Ein Gefühl, das jede aufgestaute Wut in Tony zu schmelzen schien. Egal wie sehr er auch dagegen ankämpfte.
"Du hattest Recht."
Irritiert von der Art, wie Steve diesen Satz sagte, blieb der bissige Kommentar von wegen *Womit diesmal genau?* in seiner Kehle stecken.
"Ich... Wir hätten reden sollen. Auf gleicher Ebene... Gleichberechtigt."
"Ich dachte, das hätten wir getan. Bis zu dem Moment, wo du Wanda als Kind bezeichnet und mir zum Vorwurf gemacht hast, dass ich sie vor der Abschiebung bewahrt hab und rausgestürmt bist wie das Gewitter persönlich."
"Du weißt genau, dass das so nicht abgelaufen ist."
"In meiner Erinnerung ist es exakt so abgelaufen, Cap."
Er wagte nicht, ihn beim Vornamen zu nennen. Zu sehr driftete dieses Gespräch in eine Richtung ab, die er nicht zulassen konnte. Er konnte nicht zulassen, dass er wirklich etwas bei diesem Gespräch empfand!
"Wie du meinst..."
Verdammt, der Kerl nahm ihm jeden Wind aus den Segeln, das war nicht fair!
"Was ich eigentlich damit sagen wollte, ist: Wir hätten das unter uns regeln müssen, Tony. Wir hätten reden müssen, einen Weg finden müssen, um..."
War da so etwas wie Schmerz in diesem trügerischen Blau? Tony wagte nicht zu genau hinzusehen, doch das, was er glaubte gesehen zu haben, jagte ihm einmal quer über die Wirbelsäule.
"Was hätte das geändert?"
Verdammt, warum versagte ihm jetzt die Stimme?! Das durfte doch nicht wahr sein!
"Ich weiß es nicht, Tony. Vielleicht nichts, vielleicht alles. Ich wünschte, ich wüsste es und könnte die Zeit zurückdrehen, um es zu versuchen."
Shit. Damit brach der letzte, so mühsam aufgebaute Damm in Tonys Wall aus Zynismus, Sarkasmus und Wut. Er spürte, wie er einen zittrigen Atemzug aus seinen Lungen entließ, als sein ganzer Körper regelrecht in sich zusammenfiel.
"Tony, ich weiß, das was passiert ist..."
"Steve, halt den Mund. Bitte, sei einfach ruhig, ok?"
Kraftlos versuchend noch irgendeinen Funken Würde aufrecht zu erhalten, hob er den Kopf und suchte den Blick des Mannes vor ihm. Dass das ein Fehler war, wurde ihm in dem Moment erneut schmerzlich bewusst, als er das wässrig funkelnde Blau vor sich bemerkte. Die verzweifelte Zärtlichkeit und diese verdammte Hoffnung, die darin lagen, schnürten ihm sofort die Kehle zu.
"Ich kann und werde Barnes nicht vergeben, was er getan hat", presste er mühsam hervor, in der Hoffnung, dass die Erwähnung des Namens ihm seine Wut zumindest etwas zurückgab. Doch vergebens. Die Nähe zu diesem verdammten Kerl da vor ihm ruinierte auch diesen Versuch.
"Das verlangt niemand von dir. Bucky war ohnehin der Meinung, dass er Vergebung nicht verdient hat. Er war..."
"War?"
Zum ersten Mal ließ Tony wirklich so etwas wie Mitgefühl für Steve durch seine Mauern brechen.
Er wusste, wie viel James Barnes ihm bedeutet hatte.
"Bucky, Sam... Peggy... " Tony spürte, dass Steve nicht weiterreden konnte, ohnehin hatte er die Namen kaum verstehen können, so leise hatte der Soldat sie ausgesprochen.
"Sie sind weg..."
"Das tut mir sehr leid."
Zu seiner eigenen Überraschung meinte er es genau so, wie er es gesagt hatte. Es TAT ihm leid, dass Steve alle Menschen um sich herum verloren hatte, die ihm etwas bedeutet hatten. Auch wenn er, vor all dem was passiert war, gehofft hatte, ebenfalls einen Platz in dieser Reihe inne zu haben.
Das tiefe Blau, das noch dunkler geworden zu sein schien, suchte seinen Blick, wich ihm dann aus und verschwand aus Tonys Blickfeld, als Steve die Augen schloss und sich offensichtlich sammelte.
"Wie geht es Pepper?"
"Sie lebt. Irgendwo in Manhattan. Ich hab keine Ahnung, wo gerade genau, aber es geht ihr gut. Ihr und... Keine Ahnung, wie der Kerl heißt."
Er wusste es sehr genau und auch ihre Adresse kannte er auswendig, doch das musste er ja niemandem auf die Nase binden.
"Dann?"
Für einen Moment war sich Tony nicht sicher, ob er da gerade wirklich so etwas wie Hoffnung, oder doch nur ehrliches Interesse in Steves Stimme gehört hatte. Oder ob es ein Wunschtraum seines Verstandes war, der ihm schon Dinge einflüsterte, die gar nicht da waren.
"Wir haben uns getrennt."
"Das tut mir leid."
Den Himmel verfluchend für Steves warme, verständnisvolle Art in diesem Moment, musste Tony sich wirklich zusammenreißen, um nicht die Hand zu greifen, die Steve wohl unbewusst in Richtung seiner Schulter gehoben hatte. Er zog sie zurück, als habe er sich verbrannt und räusperte sich heiser.
"Unser Gespräch dauert jetzt schon mehr als zwei Minuten, Cap. Ist dir das aufgefallen?"
Um die Stimmung zwischen ihnen etwas aufzulockern, beschloss der Milliardär, seiner Lieblingswaffe, dem Humor, zumindest eine Chance zu geben. Offensichtlich zumindest halbwegs erfolgreich, denn ein fast schon ehrlich und zugleich trauriges Lächeln huschte zusammen mit einem Schnaufen über Steves Lippen.
"Ein Rekord, für unsere Verhältnisse."
"Ja...", schmunzelte Tony zurück, nicht wirklich wissend,was er darauf sagen sollte.
Ihre Blicke trafen sich erneut und diesmal schaffte er es sogar, dem Blick des Blonden für wenige Sekunden standzuhalten. Er sog die Wärme, die langsam aufkeimende Kameraderie und auch das Zärtliche darin in sich auf, wie ein Dürstender das Wasser. Er wusste, tief in ihm drin hatte er Steve Rogers nie vergessen können.
"Ruh dich aus, Tony."
Steve wandte sich bereits zur Tür, als der Milliardär seine Sprache mühsam wiederfand.
"Lass dich später noch mal sehen, ja?"
Das Lächeln, das sich daraufhin auf Steves ganzes Gesicht legte, ließ Tonys Herz für einen Schlag aussetzten. Pure Erleichterung und ehrliche Freude strahlten regelrecht zu ihm herüber, als Steve nickte und noch immer lächelnd die Tür hinter sich schloss.
Das Klicken des Schließmechanismus war für Tonys Köper der Startschuss, endgültig zurück in die Kissen zu sinken. Er fühlte sich plötzlich leer, erschöpft und zeitgleich so aufgekratzt wie ein Teenager. Ein seltsames Gefühl, das noch lange nachhallte, auch als er in einen kurzen Schlaf fiel.
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Decisions
FanfictionTony ist zurück auf der Erde. Thanos hat die Hälfte allen Lebens vernichtet. Jeder im Team muss persönliche Verluste verkraften . Neue und alte Gefühle, Angst und die Frage : Wie geht es jetzt weiter?