Etwa eine Stunde saß Steve Rogers bereits am Bett des Mannes, den er vor einer gefühlten Ewigkeit in seinen Armen gehalten und geliebt hatte. War es wirklich möglich, dass erst etwas mehr als ein Tag vergangen war? Für ihn fühlte es sich an wie Monate.
Der völlig zerstörte Arm war durch eine Protese aus dem Nanovibranium-Gold-Gemisch ersetzt worden, das Tony für die Iron Man Rüstungen verwendete. Das hatte den Vorteil, dass das Material vom Körper nicht abgestoßen wurde und es das gleiche Gewicht und die Beweglichkeit seines natürlichen Arm hatte.
Die Protese war an einer Art Reaktor angeschlossen, den Dr. Cho direkt in den Schulterstumpf eingelassen hatte. Die Wunde war noch mit einem genetischen Hautersatz verbunden, der sich selbstständig auflösen würde, wenn die Haut darunter vollständig regeneriert war.
Doch in dem Moment, als Tonys gesunder Arm unter der Decke nach unten rutschte und frei lag, hatte selbst der schlachterprobte Soldat schlucken müssen.
Ganz vorsichtig hatte er die Decke zurückgeschlagen und bei dem ihm gebotenen Anblick die Augen geschlossen, um sich zu sammeln. Tonys Körper war übersäht mit blauen und roten Striemen, die wie Blitze über seiner Haut verteilt waren.
Erst Sekunden später, als er die Augen wieder aufschlug, begriff Steve, dass es Tonys Adern und Venen waren, die sich nun deutlich abzeichneten. Die Energie, die durch sein System gejagt sein musste, als er die Steine aktiviert hatte, hatten ein sichtbares, unverkennbares Mahnmal auf Tonys Körper hinterlassen. Eine Abschreckung für jeden Menschen, der sich erdreisten wollte, die ultimative Macht des Universums leichtfertig zu nutzen.
Ganz langsam deckte Steve den Körper vor sich wieder zu und hob schluckend den Blick, nur um entsetzt zu bemerken, dass ihn braune Augen ruhig und dennoch sehr aufmerksam musterten.
"Ich schätze, dass war's mit Badeshorts am Strand, hm?"
"Du könntest es als Tattoo verkaufen."
Der bittere Unterton in Tonys Stimme mischte sich mit einem sarkastischen Grunzen und wurde schließlich zu einem fast schon flehenden Blick, der Steves Augen fand.
Da war so viel Freude und Verletzbarkeit in diesen braunen Augen, dass der Soldat die Lippen zusammenpresste und kopfschüttelnd die Augen schloss.
"Tony..." , flüsternd, riss er den geschwächten Mann vor sich in seine Arme.
Sofort legte sich der noch gesunde Arm um seinen Körper. Der heisere Atemzug wurde zu seinem Schluchzen, das sich schließlich in ein beidseitiges, erleichtertes Seufzen ausdehnte.
"Du..."
"Ich konnte dich nicht verlieren, Steve."
Es war die einzige Erklärung, zu der der Milliardär in diesem Moment fähig war. Doch offensichtlich wusste der Blonde auch so, was er sagen wollte. Ihm wurde in diesen Moment klar, dass er selbst höchstwahrscheinlich nicht anders gehandelt hätte. Zu viel hatten beide in der Vergangenheit bereits verloren.
Ganz sachte nahm er den Verwundeten, lehnte ihn an seinen Körper, da dieser noch immer sehr schwach war und senkte seine Lippen auf die des Milliardärs. Versuchte ihm auf diese unausgesprochene Weise zu zeigen, dass sich zwischen ihnen nichts ändern würde, nur vertiefen.
"Hat es... Ich meine, hat es wirklich funktioniert?"
"Wie es aussieht ja." Der Blonde nickte nachdenklich, als Tony sich in seinen Armen ein Stück drehte und er wieder in die Kissen des Krankenbettes sank.
"Sam, Bucky und anscheinend auch T'Challa sind zurück. Sam hat berichtet, dass Wanda wohl auch gesehen wurde und auf der Suche nach Vision ist."
Eine kurze, sehr deutlich unangenehm berührte Grimasse legte sich auf Tonys Gesicht, nur um von einem verständnisvoll besorgten Nicken abgelöst zu werden.
"Dann hat es bei ihm wohl nicht gewirkt."
"Gehe ich von aus. Der Gedankenstein ist im Handschuh. Ohne ihn ist Vision nicht lebensfähig."
"Die Wakandaner waren wohl sehr nah dran, ihn von dem Ding zu trennen. Die Zeit hat nicht gereicht", sinnierte der Milliardär plötzlich abwesend.
Steve hob den Kopf und sah sofort, dass das geniale Gehirn vor ihm wieder zu rattern begann.
"Sie waren auf einem guten Weg. Ich hab die Analysen gesehen. Natürlich, das Prinzesschen ist nicht ich, also hat sie ein paar Dinge übersehen, aber ihre Arbeit war nicht schlecht. Für ein Praktikum wär sie durchaus brauchbar."
"Oh man..." Lachend über die offensichtlich nicht tot zu bekommende Überheblichkeit des Mannes vor ihm, rollte Steve Rogers mit den Augen und lehnte sich im Stuhl zurück.
"Aber sobald ich hier raus bin, können Friday und ich die Arbeit der Kleinen perfektionieren."
"Wie wäre es, wenn du erstmal heilst? Ich glaube, du hast genug durchgemacht."
Der Milliardär drehte sich den Kopf in seine Richtung und lächelte schmunzelnd. Steves Herzschlag beschleunigte sich sofort, denn es war genau dieses verschmitzte Lächeln gewesen, das ihn von Anfang an eingefangen hatte. Die dunkelbraunen Augen suchten seine mit diesem ganz besonderen, leicht ironischen Blick, den der Soldat so gerne nur für sich beanspruchte.
"Sagt der alte Mann, der seit seinem Erwachen keinen Tag wirklich zur Ruhe gekommen ist."
"Du solltest auf die weisen Ratschläge des Alters hören, junger Mann."
Das Lachen, das daraufhin Tonys Kehle verließ, war so ehrlich und so befreit, dass Steve unweigerlich mitlachen musste.
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Decisions
FanfictionTony ist zurück auf der Erde. Thanos hat die Hälfte allen Lebens vernichtet. Jeder im Team muss persönliche Verluste verkraften . Neue und alte Gefühle, Angst und die Frage : Wie geht es jetzt weiter?