34

74 10 0
                                    

Kapitel 34

"Rogers, wir sind ein ganzes Stück weitergekommen. Ich denke, in ein paar Tagen können wir diese Kombination aus Shuris und meiner..."
"Deshalb bin ich nicht hier."
Die ruhige, jedoch sehr direkte Unterbrechung seines Wortflusses ließ den Milliardär irritiert blinzeln.
"Ich war bei den Untersuchungen, keine Sorge. Doktor Cho hat mir..."
"Das ist gut zu wissen, aber auch deshalb bin ich nicht hier."
Dieses Mal würde Steve ihn nicht wieder davon laufen lassen. Der Soldat ging in langsamen Schritten auf Tony zu. Er lenkte den Schwarzhaarigen, dessen Fluchtreflex bereits wieder die Kontrolle übernommen hatte, so dass er direkt gegen die Iron Man-Rüstungen lief und dort schließlich eingekesselt festsaß. Der einzige Weg hinaus führte an Steves Körper vorbei.

"Tony..."
"Geh mir aus dem Weg, Rogers. Was soll das?"
"Rede bitte mit mir."
"Ich will nicht mit dir reden, Cap. Ich hab keine Zeit für sowas. Ich..."
"Sieh mich, verdammt nochmal an, Tony!"
Über den plötzlichen Ausbruch regelrecht geschockt, erstarrte der Milliardär in dem Versuch, sich an Steve vorbeizudrängen. Noch nie hatte er Steve Rogers  wirklich schreien hören. Geschweige denn ihn anschreien hören!
Mit sanftem, jedoch erheblichem Nachdruck wurde er an seinem Arm gepackt und wieder vor den Mann gezogen, der mit versteinerter Miene dastand und ihn ansah. Die blauen Augen hatten einen Ausdruck, den Tony nicht lesen konnte, doch jagte er ihm einen Schauer über den Rücken, den er, trotz großer Anstrengung, nicht ignorieren konnte.
"Ich will jetzt eine Antwort, Tony. Und ehe ich die nicht bekommen habe, werde ich dich nicht gehen lassen."
"Dir ist klar, dass das mein Grundstück ist?", versuchte der Schwarzhaarige mit einem kläglichen Drohversuch den Blonden einzuschüchtern. Wohl wissend, dass das eine ziemlich dumme Idee war.

Die blauen Augen bohrten sich in die des Milliardärs, der daraufhin sichtlich unsicherer wurde. Immer wieder senkte er den Blick und versuchte vergeblich an Steve vorbeizukommen. Er konnte diesem Blick nicht lange standhalten, das wusste er. Dieses Blau... Diese Verletzlichkeit, die hinter der Fassade der Stärke immer wieder hindurchschimmerte.
Tony wusste, Steve verdiente eine Erklärung. Doch wie sollte er ihm klar machen, was er sich selbst nicht erklären konnte? Wie sollte er ihm deutlich machen, dass er, seitdem er in diesem Krankenzimmer erwacht war, er keine Nacht mehr geschlafen hatte? Wie sollte er ihm erklären, dass er eine wahnsinnige Panik davor hatte, dass Steve sich erneut in dem Moment in Asche auflöste, in dem er ihn berührte? Und vor allem... Wie sollte ein derart perfekter Mensch wie Steve Rogers, so eine abstoßende Chimäre lieben, zu der er geworden war?
Allein der Gedanke, Steves Gesicht würde sich vor Abscheu abwenden, wenn er die Narben auf seiner Haut sehen würde, ließ in Tony die Übelkeit aufsteigen. Das würde er niemals ertragen können.

"Deine Worte, damals bevor ich..." Steve musste schlucken, um die Bilder von dem seltsamen Traum von damals zu verdrängen. Der Traum, von dem er heute dachte, jedoch nicht wirklich wahrhaben wollte, dass es keiner gewesen war.
"War ich für dich nur ein Zeitvertreib? Eine schnelle Nummer, mehr nicht?"
"Was glaubst du?" Das war sie wieder. Die jahrzehntelang antrainierte zynische Rüstung. Dieser leicht spöttische, immer herausfordernde Tonfall, der jeden zur Weißglut brachte.
Alle bis auf Steve. Er hatte diesen Funken Unsicherheit in Tonys Augen gesehen. Dieses leichte Zucken in seinen Augenwinkeln, das er nur dann hatte, wenn er versuchte, Selbstsicherheit zu zeigen, wo keine war.
"Eine Nacht, mehr nicht, Rogers. Bild dir bloß nichts drauf ein. Du warst nicht der Erste, und wirst bestimmt nicht der Letzte gewesen sein."
Den letzten Satz als Zischen getarnt, kam dem Milliardär nur brüchig über die Lippen. Er wagte, nicht den Blick zu heben, aus Angst, den blauen Augen und ihrer Reaktion auf seine Worte zu begegnen.

Steve löste die Blockade durch seinen Körper ein Stück auf, gab Tony etwas mehr Platz, der diesen sofort ausnutzte und sich regelrecht aufbaute. Doch Steve hatte längst das Schauspiel dahinter erkannt.
"Sieh mir in die Augen und sag das nochmal", verlangte er ruhig. Viel ruhiger, als ihm eigentlich zu Mute war. Alles in ihm wollte Tony schütteln, ihn in seine Arme ziehen und ihm erklären, wie dumm und völlig unnötig das alles war. Doch er wollte auch, dass Tony selbst die Maske zumindest ein Stück weit fallen ließ.
Der Milliardär schob das Kinn in einer fast trotzigen Geste vor, seine Augen starrten nach vorne, sahen jedoch geradewegs durch Steve hindurch, als er zischte: "Eine Nacht, mehr nicht."
"Ich sagte, sieh mich an und wiederhole es."
"Rogers..."
Den Namen des Soldaten regelrecht knirschend durch die zusammengebissenen Zähne quetschend, begegnete Tony einem warmen, sanften Blick in seine Augen. Ein Blick, der jede mühsam aufgerichtete Mauer zusammenbrechen ließ.

"Steve, bitte... Geh einfach. Ich..."
"Kann ich nicht", hauchte der Blonde nun heiser. Er konnte sehen, wie der Körper des Mannes vor ihm in sich zusammensank. Wie all die gespielte Stärke und Arroganz von ihm abfiel und er sich kraftlos gegen die Balken zwischen zwei Rüstungsvitrinen lehnte.
"Warum? Warum kannst du nicht einfach gehen, wie alle anderen?"
"Weil ich nie wie alle anderen war, Tony."
Mit einem kurzen Schulterzucken trat Steve vor und strich Tony über die Wange, bevor er ihn in seine Arme zog.
Kraftlos legten sich die Arme des Milliardärs um seinen Körper, bevor ein heiseres Schluchzen an Steves Halsbeuge die Arme des Soldaten enger werden ließ.
"Warum kannst du nicht einfach egoistisch sein? Was willst du mit einem kaputten Wrack wie mir? Geh, lauf... Ich bin nichts für dich, Steve."
"Ich bin gerade egoistisch, Tony. Sehr sogar... Denn ohne dich will und kann ich nicht weiter machen. Ich liebe dich."
"Dann bist du ein größerer Idiot, als ich immer dachte." Das deutlich ironische, humoristisch und zugleich melancholisch gefärbte Lachen ging in ein Schluchzen über, als Tony sein Gesicht in Steves Halsbeuge vergrub.

DecisionsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt