Kapitel 23
Die Nacht lag schwer über dem Bezirk Kabukicho, als Natasha den kleinen Jet am Rande der Stadt landete und tarnte. Sie wusste, das Rotlichtviertel in Tokio war eines der berüchtigtsten Gebiete und Tummelplatz für die Yakuza.
Der Regen hing wie Bindfäden in der Luft und machte die Straßen spiegelglatt. Der Smog sorgte dafür, dass die Spionin hier und da flachere Atemzüge machte, während sie sich geschmeidig durch die Gassen bewegte.
Es dauerte in etwa dreißig Minuten, dann hatte sie Clints Spur gefunden. Sie war unübersehbar für die Menschen, die genau wussten, wonach sie suchen mussten. Spätestens als sie das Blut fand, das mit dem Regen in den Gulli abfloss, wusste sie, dass er in der Nähe war.
Ein Aufschrei erscholl wenige Meter von ihr entfernt. Er endete in einem Gurgeln, dann in völliger Stille. In der nächsten Sekunde flog ein Wurfstern nur wenige Zentimeter an ihrem Ohr vorbei und schlug in den Baum neben ihr ein.
Sie blieb ruhig stehen, ihr Puls hatte sich nicht um einen Schlag verändert. Das tat er auch nicht, als die schwarz gekleidete Gestalt vor ihr auftauchte, ein seltsam anmutendes Samuraischwert auf sie richtete und die Spitze nur einen Zentimeter vor ihrer Kehle verharrte.
"Was suchst du hier?"
Die Stimme ihres besten Freundes war rau und voller Wut. Wut, die nicht ihr galt, auch wenn er gerade alles daran setzte, es so aussehen zu lassen.
"Wir haben den Handschuh."
Die Klinge schnellte zusammen, gab dabei ein sirrendes Geräusch von sich, das erst erstarb, als sie im Dunkel der Kleidung verschwand.
"Tu das nicht..."
"Tu was nicht?"
Die Gestallt vor ihr trat einen Schritt näher, bevor sie die Kapuze abzog und Clint ihr direkt in die Augen sah. Seine Haare waren zu einem wirren Irokesenschnitt rasiert, seine Augen rot von nicht mehr weinbaren Tränen und dem Hass, der ihn innerlich auffraß.
"Gib mir keine Hoffnung, Nat."
"Es ist mehr als eine Hoffnung, Clint. Es ist eine Chance."
Ein heftiges Schluchzen ließ den Mann vor ihr regelrecht zusammenfallen. Sie fing ihn auf, hielt seiner Umklammerung stand und tröstete den Menschen, der ihr in dieser Welt am nächsten stand.
Als Laura und die Kinder durch Thanos ermordet worden waren, war es auch für sie gewesen, als habe man ihr ihre Familie erneut entrissen. Alles was sie in diesem Leben liebte und schätzte, hatte der wahnsinnige Titan zerstört. Nun würden sie sein Werk endgültig zunichte machten.
Zusammen gingen sie zum Jet, wo der einstige Topagent S.H.I.E.L.D.s sich auf den Beifahrersitz fallen ließ und den nassen Umhang in die Ecke warf. Schweigend betrachtete er die sonst Rothaarige und wartete, bis sie ihn ansah.
In den ihr so vertrauten Augen lag so viel Schmerz, so viel Leid, aber auch so viel Reue, dass Natasha ihre Finger ausstreckte und sie auf die vernarbte Hand des Bogenschützen legte.
"Ich bin nicht mehr derselbe...", hauchend, betrachtete er ihre ineinander verschränkten Finger, bevor er wieder in ihre Augen sah.
"Doch, bist du. Lediglich deine Akte hat den ein oder anderen roten Fleck bekommen."
*So wie die meine...*, dachte sie und spürte, dass auch er diesen Gedanken gerade gehabt hatte.
"Bitte lass es das wert gewesen sein."
"Wir werden einen Weg finden, jeden Einzelnen zurückzuholen. Das verspreche ich dir, Clint."
Er strich mit seinen Fingern, die sich plötzlich sehr zittrig anfühlten, sachte über ihren Handrücken und schloss mit einem bebenden Atemzug seine Augen, als Natasha das Steuer zu sich zog und damit den Jet vom Boden anheben ließ. Sie brachte den verlorenen Freund heim.
Im Hauptquartier hatte Bruce Banner bisher keine Sekunde geschlafen. Er war derart gefesselt von dem Objekt, das in einem stabilen Kraftfeld mitten im Labor schwebte, dass er nicht einmal an Schlaf denken konnte.
Mittlerweile hatte er Tiefenscans von Material und Beschaffenheit gemacht. Hatte versucht, die Verzierungen genauer nach einer dem Computer bekannten Sprache zu durchforsten, doch wirklich viele Details hatte er bisher nicht herauslesen können.
Die sechs Steine gaben ganz unterschiedliche Schwingungen und Strahlungen ab. Der Gedankenstein war für ihn der am besten untersuchteste Teil dieses Puzzles, da sie damals mit Vision bereits versucht hatten, dessen Macht genauer zu ergründen.
Doch wenn es um die anderen Steine ging... Er tappte weiterhin im Dunkeln.
Offensichtlich hatte Thanos es geschafft, den Äther zu stabilisieren. Denn Thor hatte ihm damals erklärt, dass der Realitätsstein eigentlich in flüssiger Form existiert hatte. Versteckt in Jane Foster, seiner damaligen menschlichen Geliebten.
Das Glühen des roten Steines faszinierte Bruce. Doch noch mehr faszinierte ihn diese süße, fast liebliche Melodie. die von dem Handschuh auszugehen schien. Wie ein Gesang, der sich in seine Sinne legte.
Friday behauptete steif und fest, sie könne keine Melodie wahrnehmen, doch Bruce hörte sie eindeutig! Er hatte bereits begonnen, verschiedene, immer wiederkehrende Muster aufzuschreiben, doch die Melodie veränderte sich daraufhin immer wieder.
Was für ihn unbegreiflich war, sie schien den Hulk in seinem Inneren zu beruhigen, denn er spürte den stetig in ihm schlummernden Zorn in Gegenwart des Handschuhs nicht.
Es war, als würde die Strahlung ihm ermöglichen... allein... zu sein. Wieder er selbst, und nur er selbst zu sein.
Schließlich, als er näher an das goldene Objekt herantrat, wurde die Melodie zu einer Stimme. Einer warmen, sanften Flüsterstimme, die den Verstand des Wissenschaftlers zu streicheln schien.
Er hörte, wie die Stimme ihm etwas versprach, wie sie ihm zeigte, wie es sein könnte und was er haben könne.
Das war der Moment, wo Bruce Banners Augen einen grünlich-blauen Schimmer annahmen und er das Kraftfeld um den Handschuh deaktivierte.

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Decisions
FanfictionTony ist zurück auf der Erde. Thanos hat die Hälfte allen Lebens vernichtet. Jeder im Team muss persönliche Verluste verkraften . Neue und alte Gefühle, Angst und die Frage : Wie geht es jetzt weiter?