Kapitel 04
Zwei Tage vergingen, bis Tony das nächste Mal wieder zu vollem Bewusstsein kam. Mittlerweile waren die Vermisstenzahlen offiziell bekannt gemacht worden. Natasha hatte recht gehabt mit dem, was sie im Konferenzraum gesagt hatte. Thanos hatte exakt die Hälfte allen Lebens auf der Erde ausgelöscht.
Schluckend betrachtete der Soldat die Hologramme im Zentrum des Raumes.
Dr. Steven Strange.
Sam Wilson.
Bucky Barnes.
T'Challa.
Als Peters Bild erneut aufleuchtete, musste Steve die Augen schließen.
Mit einem kurzen Knopfdruck erlosch das Hologramm und eine gespenstische Stille umfing ihn. Das regelmäßige Surren der Computeranlage schien sich mit dem EKG des Nebenraumes zu mischen und rauschte bald nur noch in seinem optimierten Gehör.
Alles Zeitgefühl verloren, hob Steve irritiert den Kopf, als er bemerkte, dass ein Lichtstrahl auf die schwarze Konsole fiel. Es war bereits wieder Tag geworden. Wie lange hatte er hier gesessen?
Er bemerkte, dass das EKG nun kräftiger und auch unregelmäßiger ausschlug.
"Friday, wie ist Tonys Zustand?"
MISTER STARK WIRD IN KÜRZE ERWACHEN.
Ahnend, dass er wohl der letzte Mensch war, den der Milliardär sehen wollen würde, wenn er die Augen aufschlug, wollte er bereits Bruce wecken, als er ein raues, heiseres Husten aus dem Krankenzimmer vernahm.
"Rogers..."
"Du solltest noch nicht sprechen. Bruce hat dir letzte Nacht erst den Tubus entfernt."
"Tub..." Wirklich überrascht, aber durch das enge und sehr schmerzhafte Gefühl in seiner Kehle überzeugt, senkte der Milliardär den Blick und nahm mit einem Nicken den Becher mit Wasser entgegen, den Steve ihm reichte.
Wie schaffte dieser Mistkerl das immer?
Ein Blick.
Ein Wort.
Und entweder wollte er ihm an die Kehle springen, oder... Ok, das Oder stand jetzt nicht zur Debatte.
Niemals... Es stand NIEMALS zur Debatte!, korrigierte Tony sich gedanklich selbst und nahm einen vorsichtigen Schluck.
Da war sie wieder, diese verdammte Ruhe, die nur ER in einen Raum bringen konnte.
Gott, wie sehr er das hasste. Wie sehr er Steve Rogers dafür hasste, dass er...
Und verdammt, wie sehr hatte er ihn vermisst. Wie sehr hatte er diese blauen Augen vermisst.
Diese Aura, die ihn umgab, ohne dass dieser Mistkerl das ahnte.
Wobei Tony sich immer wieder gerne einredete, dass Steve es sehr wohl wusste und nur einsetzte, um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Verräter... Verdammter Verräter!
*Er ist mein Freund...*
Ein Zittern ging durch seine Glieder, als Bilder ihres Kampfes durch seinen Verstand glitten und genau so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren.
"Noch etwas?"
*Verdammt, rede nicht mit mir, als wäre ich...*
Nickend reichte er dem Blonden den Becher und musste alle seine Selbstbeherrschung zusammenkratzen, als sich ihre Hände berührten.
Er wollte ihn anschreien.
Er wollte ihn hassen!
Doch in dem Moment, wo dieses verdammte Meeresblau seinen Blick streifte, wusste er, ein Wort von ihm und...
"Tony..."
Der dunkle, weiche Tonfall, mit dem Steve seinen Namen nannte, sandte den nächsten Schauer durch sein System. Wärmer, nun, willkommener. Wie ein Streicheln seiner Sinne.
Und so sehr Tony sich auch bemühte, dagegen anzukämpfen...
Sein Verstand hatte längst verloren. So lange hatte er sich gewünscht, sie hätten geredet.
Wie oft hatte er gehofft, das kleine Telefon in seiner Hosentasche klingeln zu hören. Nur um im nächsten Moment zu wissen, dass keiner von ihnen jemals wirklich über seinen Stolz, seinen Schatten gesprungen wäre.
Tony konnte Barnes nicht verzeihen, was er getan hatte.
Das Video aus diesem verdammten Eisbunker hatte ihn jeden einzelnen Tag in den letzten Jahren in seinen Träumen verfolgt. Zu sehen, wie Barnes seine Eltern emotionslos erwürgte.
"Ich..."
Was ich? Geht das auch in ganzen Sätzen, Rogers?
Ohne die unsäglichen Schmerzen in seinem Hals, hätte er diese Worte jetzt ausgesprochen, nur um sie im selben Moment zu bereuen, das wurde ihm schmerzlich klar, als er bemerkte, wie sehr Steve tatsächlich um Worte zu ringen schien.
Er ahnte, dass unter normalen Umständen bereits einer von ihnen den Raum verlassen hätte. Nicht im Stande, den anderen länger als fünf Minuten zu ertragen. Viel zu anstrengend war es, sein Schutzschild dauerhaft oben zu halten. Seine Maske aus Zynismus, Egozentrik und...
"Es tut mir leid."
Vier Worte.
Vier Worte, mehr waren nicht nötig, um Tonys Versand völlig blank werden zu lassen. Er hatte sich in den letzten zwei Jahren so viele Varianten und clevere Antworten zurechtgelegt. Doch in den Moment, wo Steve die vier Worte aussprach, die er so oft erhofft, aber nie erwartet hatte zu hören, hatte Tony keinen seiner sarkastischen oder zynischen Sprüche mehr zur Hand.
Er senkte den Blick auf den Becher in seiner Hand und wünschte sich plötzlich, dass der Inhalt etwas starkes Alkoholisches beinhalten möge, und kein simples Wasser.
"Ich weiß, wir..."
ROGERS! Verdammt, ganze Sätze bitte!
Diese Halbsätze machten ihn wahnsinnig!
Einen Schluck nehmend, spürte er, wie die Flüssigkeit die Schmerzen langsam linderte. Das Gefühl der Enge würde wahrscheinlich noch etwas andauern, aber damit würde er schon irgendwie klarkommen.
Den Becher nochmals leerend, schüttelte er den Kopf, als Steve erneut nachfüllen wollte. Er atmete tief durch, hob den Kopf, sammelte all seine Wut und seinen Frust zusammen, den er trotz Steves Nähe finden konnte und wagte es, dessen Blick zu erwidern.
Von Herzen hoffend, dass der Soldat den Schmerz und die Sehnsucht, die er empfand, nicht darin lesen können würde.
"Raus..."
Vier Buchstaben... Im Austausch für vier Worte.
Offensichtlich waren sie genug, um den Mann vor ihm davon zu überzeugen, dass er ihn noch immer hasste.
Vier Buchstaben...
Die er so gerne zurückgenommen hätte, in dem Moment, als Steves Blick sich verdunkelte, er aufstand.
Vier Buchstaben, die Tony schlucken ließen, als er die herunter gesunkenen Schultern sich erneut straffen und den fast dreiecksförmigen Rücken sich im Türrahmen durchdrücken sah.
Vier Buchstaben, die er so gerne gegen die vier Worte getauscht hätte, als er wieder alleine in diesem Zimmer lag.
Wohl wissend, dass nur wenige Buchstaben ausgereicht hätten, um alles zu verändern.
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Decisions
ФанфикTony ist zurück auf der Erde. Thanos hat die Hälfte allen Lebens vernichtet. Jeder im Team muss persönliche Verluste verkraften . Neue und alte Gefühle, Angst und die Frage : Wie geht es jetzt weiter?