Kapitel 03
Die Nacht war für alle sehr kurz gewesen.
Abwechselnd hatten sie an Tonys Bett gesessen, oder vom aus Kommandoraum jedem einzelnen Geräusch gelauscht.
Rocket und Nebula hatten sich in ein Zimmer zurückgezogen, Rhodey und Bruce waren ebenfalls in ihren Zimmern, und auch Carol hatte sich verabschiedet, um ihre Kräfte zu regenerieren.
Natasha Romanoff konnte, wie so oft, nicht schlafen.
Sie hatte in den letzten Stunden die Spur des Ronin verfolgt.
Ein mysteriöser Massenmörder, der die mafiösen Clans der Unterwelt zum Zittern brachte.
Allein in den letzten 72 Stunden hatte er zwei komplette Clans vernichtet und eine blutige Spur durch ganz Little Tokio gezogen.
Niemand ahnte, wer er war.
Niemand hatte je sein Gesicht gesehen, oder auch nur einen winzigen Anhaltspunkt zu seiner Identität.
Niemand außer Natasha Romanoff und James Rhodes.
Das Bild eines der S.H.I.E.L.D-Überwachungssatelliten näher heran zoomend, betrachtete sie die Augen ihres langjährigen Freund und Partners.
Sie schluckte, als sie die rote Färbung um die Iris sehen konnte.
Hass, Schmerz, Hoffnungslosigkeit...
Sie wusste, dass Laura und die Kinder von Thanos Tat betroffen waren und konnte den Schmerz ihres Freundes nachempfinden.
Clints Familie war auch ihre Familie.
Sie hatten sie aufgenommen, damals...
Ihre Erinnerungen an das, was im RedRoom passiert war, zurück in das Dunkel ihres Unterbewusstseins drängend, atmete sie zitternd durch.
Sie musste einen klaren Kopf bewahren.
Es musste eine Möglichkeit geben, Thanos für all das Leid bezahlen zu lassen.
Sie mussten die Steine zurückbekommen!
Sie mussten all das rückgängig machen!
Doch wie?
Mit einem verzweifelten Schnauben wischte sie sich über die Augen und zwang sich, die Tränen, die in ihren Augen brannten, nicht fallen zu lassen.
Hoffnung war jetzt alles, was sie hatten.
Diese durften sie nicht auch noch verlieren.
"Wo ist er gerade?"
Steves Stimme ließ die Topspionin erschrocken zusammenfahren.
Ein entschuldigendes, fast jungenhaftes Lächeln auf den Lippen des blonden Supersoldaten ließ auch sie in einer fast verzweifelten Weise schmunzeln.
Ein Teil ihres Verstandes verärgert darüber, dass sie ihn nicht hatte im Gang laufen hören, der andere war unglaublich erleichtert, dass er da war.
Er wusste selbst wahrscheinlich nicht einmal, wie sehr er die Menschen um sich herum stets bloß mit seiner Anwesenheit beruhigen konnte.
Da war etwas in Steve Rogers Aura...
"Darf ich?"
Sich aus den Gedanken ringend, nickte die sonst Rothaarige und nahm die Füße von der Computerkonsole.
"Wie geht es dir?"
Da war er wieder. Dieser ruhige und so sanfte Tonfall, den er immer in ihrer Nähe anschlug.
Diese Stimmlage, von der er zu spüren schien, dass sie sie beruhigte und gleichzeitig fokussierte.
"Ich bin ok. "
Er wusste, dass sie log. Das sagte sein leichtes Lächeln, doch dieses Mal schien er sie mit dieser Lüge durchkommen lassen zu wollen.
"Wo ist er gerade?"
Schluckend hob Nat den Kopf und schaute in die blauen Augen vor sich.
Sekundenbruchteile lang suchte sie in Steves Blick etwas, fand es jedoch nicht.
Da war keine Anklage, kein Funken von Wut. Nur Verständnis und Mitgefühl.
"Little Tokio."
Ein kurzes Nicken, mehr eine Geste der Bestätigung als irgendetwas anderes, dann lehnte der groß gewachsene Blonde sich zurück und streckte die Beine unter seinem Stuhl aus.
Seine Arme unter der Brust verschränkend, schloss er kurz die Augen und atmete tief durch.
Sie beobachtete, wie er einige Sekunden so dasaß und sich offensichtlich sammelte.
In solchen Momenten wurde ihr schmerzhaft bewusst, wie junge Steve Rogers eigentlich war.
Trotz seines biologischen Alters von 106 Jahren, war sein Körper noch immer der eines 35jährigen Mannes.
Er war der Jüngste und gleichzeitig der Älteste von ihnen allen.
Und hatte ebenso viel gesehen und durchgemacht, wie sie alle zusammen.
"Wie geht es dir?"
Als habe ihn die Frage überrascht, öffnete er die Augen und suchte ihren Blick.
"Du fragst immer alle, wie es ihnen geht. Aber niemand fragt, wie du dich fühlst."
Nun sichtbar überrascht, schien Steve für einige Sekunden darüber nachzudenken, dann straffte er sich und zuckte mit einem tonlosen Seufzen die Schultern.
"Ich bin Soldat, Nat. Ich bin Verlust..."
"Bullshit, Rogers. "
Ihr sanfter, jedoch ziemlich ernst gemeinter Kommentar wurde davon begleitet, dass sie sich mit dem Stuhl zu ihm herumschwang und ihn mit verschränkten Armen nun direkt ansah.
"Diese 'Held der Nation'-Nummer kannst du bei sonst wem abziehen." Ihr Blick wurde sanfter, und schließlich beugte sie sich vor, berührte den Oberschenkel ihres Gegenübers und schüttelte kurz den Kopf, bis ihre Blicke sich wieder trafen.
"Ich bin's, Steve..."
Ein hörbares Schlucken war für lange Sekunden das einzige Geräusch im Raum.
Dann ein zittriges Ausatmen und schließlich öffneten sich Steves Lider erneut.
Lange Sekunden versanken seine blauen Augen in ihren.
Sprachen ohne Worte, wo diese nicht möglich waren... Nicht nötig waren.
Geräuschlos stand sie auf, spürte, wie Steve ihr Platz machte und schloss die Augen, als starke Arme sich um ihre Hüfte legten.
Ein bebender Atemzug entwich dem Hünen, dann schloss auch er die Augen und ließ in ihren Armen los, was er so lange unterdrückt hatte.
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Decisions
FanfictionTony ist zurück auf der Erde. Thanos hat die Hälfte allen Lebens vernichtet. Jeder im Team muss persönliche Verluste verkraften . Neue und alte Gefühle, Angst und die Frage : Wie geht es jetzt weiter?