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*Geh nicht wieder weg.*

Der Blick, der sich in seine Augen bohrte, wurde von drängend zu sanft und schließlich unsicher.
Steve spürte, wie sich die Finger von seiner Haut lösten und er ahnte, dass sich in diesem Bruchteil einer Sekunde alles zwischen ihnen ändern können würde – je nachdem, wie er sich jetzt entschied. Würde er Tonys Finger nun gehen lassen und die Situation überspielen, würde sich der Milliardär vielleicht nie wieder so öffnen. Doch was würde es bedeuten, wenn er...
Tausend Gedanken rasten gleichzeitig durch seinen Verstand, nur um von einem Instinkt regelrecht übergangen zu werden. Er drehte seine Hand, griff die sich entfernenden Finger sanft und suchte erneut den Blick seines Gegenübers.

Sofort wurde aus der Unsicherheit eine kurze Herausforderung. Tonys Schutzinstinkte hatten sich hochgefahren, schirmten das Warme, Verletztliche in seinem Inneren ab, noch bevor sein Gefühl und sein Verstand zueinander aufgeschlossen hatten. Doch ehe Steve ihn loslassen und wirklich seinem Schutzinstikt nachgeben konnte, senkte Tony den Blick und schien ihre ineinander verschlungenen Finger regelrecht zu analysieren. Das nächste Mal, als sich ihre Blicke fanden, schien das Braun in Tonys Augen dunkler geworden zu sein.

"Ich... Ich kann das hier nicht ohne dich, Steve."
Das heisere Geständnis, nicht mehr als ein Hauch, hätte Steve nicht gehört, wenn er nicht so nahe an dem Schwarzhaarigen gesessen hätte, dass er dessen Atem spüren konnte.
"Und ich will es nicht. Nicht ohne dich, Tony."
Wieder glomm eine Art Hoffnung in den Augen des Schwarzhaarigen auf. Sekundenlang suchte er etwas in Steves Blick, bis schließlich ein zittriger Atemstoß seine Lungen verließ und über die Wange des Soldaten strich.
"Was... Was bedeutet das hier? Ich meine..."
"Was immer du willst, dass es bedeutet."

Ein sichtbares Schlucken ließ den Adamsapfel des Milliardärs in dessen Kehle tanzen. Zögerlich begann sich dessen Daumen über die weiche und doch schwielengezeichnete Handfläche unter seinen Fingern zu schieben. Streichelte auslotend die Hand, die seine noch immer sachte festhielt. Ganz vorsichtig hob Tony nun den Kopf und suchte Steves Blick direkt.
"Rogers, Ich bin mir nicht sicher, ob du verstehst, was ich..."
"Tony."
Ein warmes, verständnisvolles Lächeln glitt über Steves Lippen, bevor er den Kopf etwas zur Seite neigte und seinem Gegenüber nun mit ruhigem, und doch wesentlich direkterem Blick entgegen sah. Ganz langsam hob er seine zweite Hand, ließ sie über die kurzen schwarzen Haare gleiten und streichelte dem Milliardär ein paar Strähnen aus der Stirn, bevor er – wie beiläufig –seine Fingerknöchel über dessen stoppelige Wange fahren ließ.
Ehe er sie sinken lassen konnte, hatte Tony die Augen geschlossen und lehnte sich instinktiv in die zarte Berührung. Als er die Augen erneut öffnete, legten Steves Augen sich in seine. Sie schienen jede noch so kleine Muskelbewegung seiner Mimik zu analysieren, auszuloten, ob das, was er sich offensichtlich wünschte, zu dem passte, was Tony signalisierte.

Der Milliardär konnte die Frage regelrecht in diesem magnetischen Blau vor ihm lesen und spürte, wie sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln kräuselten. Er war so dumm gewesen. So lange hatte er sich immer wieder gefragt, was ihm gefehlt hatte. Was die Beziehung zu Pepper einfach hatte unerträglich werden lassen. Sie war nicht der Mann, der ihm gegenüber saß. Sie war nicht Steve Rogers.
Plötzlich wurde ihm alles klar. Alles was er in den letzten Jahren immer und immer wieder gesucht und doch nie gefunden hatte. Oder besser gesagt, dass er nicht hatte sehen wollen, denn eigentlich war es immer direkt in seiner Nähe gewesen. So viele Nächte hatte er Zimmer an Zimmer mit dem Menschen gelegen, der die Leere in seinem Herzen hätte sofort füllen können.
So viel Zeit... Vergeudet mit unnötigem Zank und noch unsinnigeren Streitereien.
"Ich war so dumm", flüsternd, hob Tony seine Hand, legte sie an die glatt rasierte Wange des Blonden und zog ihn sachte näher. Sofort fanden sich ihre Lippen. Zunächst sanft, kaum mehr als ein Flügelschlag auf den Lippen des anderen. Doch dann übernahm das so lange unterdrückte Verlangen, das beide tief in ihrem Inneren begraben geglaubt hatten.

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