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"Ihr könnt jetzt zu ihm, aber vielleicht sollten immer nur eine oder maximal zwei Personen anwesend sein."
Noch immer irritierte Steve das Verhalten von Natasha und Rhodey, als Bruce den Behandlungsbereich verließ und sie im Außenbereich des Hauptquartiers ansprach. Der Colonel und Bruce waren nie wirklich warm miteinander geworden, doch dieses fast schon abwertende und zornige Verhalten war der Soldat nicht gewohnt. Zumindest nicht, seitdem sie sich nach ihrem Kampf in München und ihrer Flucht ausgesprochen hatten.
Die Russin nickte lediglich, sah zu Steve herüber und streichelte sachte über dessen Arm.
"Geh du zuerst. Er wird dich am ehesten von uns allen sehen wollen."

Der Hulkhybride senkte kurz den Kopf, atmete tief durch und flüsterte schließlich, mit hörbarer Reue in der Stimme: "Es tut mir so unendlich leid. Natasha, Steve..."
"Spar es dir, Bruce. Bitte", knurrte sie heiser. Ihre Kieferknochen wurden sichtbar, als sie sich zu ihm umdrehte und ihm nun direkt in die Augen sah.
"Deine verdammte Unsicherheit hat zwei meiner besten Freunde das Leben gekostet und die Gesundheit des Mannes, dem du alles hier verdankst. Dem wir alle verdammt viel zu verdanken haben. Du magst nicht vollends schuldfähig gewesen sein, aber erwarte nicht, dass ich es vergesse."
"Das erwarte ich nicht", flüsterte der Hybrid heiser. "Es ist unverzeihlich, dass ich mich so hab gehen lassen. Aber dennoch... Vielleicht kannst du eines Tages mit mir wieder in einem Raum sein, ohne mir das Gefühl zu geben, ich sei ein Monster. Der Blick in den Spiegel reicht, um zu wissen, dass ich eins bin." Damit wandte er sich ab und ging zurück in die Basis.

Natasha sah ihm lange nach. Der Zwiespalt in ihren Gefühlen war nur für die Menschen in ihrem Gesicht lesbar, die sie lange und gut genug kannten. Zu lange hatte sie sich selbst als Monster gesehen. Geschaffen nur als gefühllose Mordmaschine. Perfektioniert für jeden Auftrag, egal was dieser auch verlangte. Erst ihre Familie, das Team der Avengers, hatte ihr so etwas wie ein Zuhause gegeben.
Und nun? Nun war es erneut eines der Teammitglieder, das sie so sehr ins Herz geschlossen hatte, dass ihr das Herz schwer machte. Sie schloss die Augen, seufzte tonlos und schüttelte den Kopf, als Steve einfach zugriff und sie in seine Arme nahm.

Clint sah die beiden an, lächelte wehmütig und zuckte mit den Schultern, als Steve seinen Blick erwiderte. Sie wussten beide, dass die Beziehung zwischen Clint und Natasha seit Jahren immer unterschwellig tiefer war als rein platonische Gefühle. Und jeder konnte eins und eins zusammenzählen, als sie die letzte Nacht in einem Raum geschlafen hatten.
Doch keiner im Team wäre auf die Idee gekommen, sie deshalb zu verurteilen. Sie wussten, Laura und die Kinder würden immer an erster Stelle bei Clint stehen. Und das wusste auch Natasha.
Ebenso wusste jeder von ihnen, dass Steve und Natasha während ihrer Flucht vor den Nationen und im Exil Wakandas die ein oder andere Nacht miteinander verbracht hatten.
Angst, Verlust, Trauer, Einsamkeit... Gefühle, die jeder Einzelne im Team kannte und bereits mehrfach durchlebt hatte. Da war ein wenig Trost etwas, was keiner dem anderen wirklich vergönnte. Die Freundschaft, die sie verband, war so viel stärker als die Lust einer Nacht.

James Barnes stand etwas abseits der Gruppe und beobachtete Natasha und Steve. Ein wehmütiges Gefühl durchflutete ihn in dem Moment, wo er die beiden sah.
Wakanda und seine Heilung dort schien eine Lebensspanne weit weg zu sein. Ebenso wie die Zeit, in der Steve und er jede Nacht zusammen verbracht hatten. Als ein Blick, eine Berührung gereicht hatte, um sich miteinander zu verständigen. Er wusste, Steve war seit seiner Rückkehr aus den Händen der Hydra regelrecht zerrissen zwischen seinen Gefühlen für ihn und für Tony Stark.
Siebzig Jahre... Siebzig Jahre waren sie unzertrennlich gewesen. Selbst Peggy Carter war lediglich eine Randfigur in Steves Leben gewesen. Ein Wunsch nach Normalität, nach einem geregelten Leben ohne Angst.
Doch diese Verliebtheit in die Normalität hatte sie nicht trennen können. Auch wenn er tagsüber mit Peggy arbeitete und sie küsste, so war er bei ihm gewesen in den Nächten, in denen sie im Feldlager gelegen, oder in Schützengräben um ihr Leben gekämpft hatten. Er war bei ihm gewesen, als er aus dem Kryoschlaf in Wakanda erwachte. Und er war bei ihm, als er sich an ihre gemeinsame Zeit erinnert hatte.

Bucky wusste, in Steves Herz kämpften zwei mächtige Parteien gegeneinander. Die vertraute, lange Liebe zu ihm und die immer stärker werdende Liebe zu Tony Stark.
Und als Steve nun seinen Blick, über all die Köpfe der Anwesenden hinweg auffing, konnte Bucky nicht anders als mutmachend zu nicken und ihm ein sanftes, wohlwollendes Lächeln zuzusenden.
Für einen Moment verschwanden alle anderen um sie herum. Nur die Blicke, ihre Blicke wurden zu einem stummen Gespräch.
Verständnis, Hingabe, Freundschaft und das Versprechen von etwas, das beide bereits seit ihren Kindertagen voneinander wussten. Sie würden immer verbunden bleiben, egal was auch passieren würde.

Natasha löste sich von Steve, strich ihm über die Oberarme und atmete schließlich tief durch.
"Grüß den Idioten von mir, ja?"
Ein liebevolles Lächeln auf ihren Lippen nahm den Worten jede Schärfe.
"Mach ich."
Damit straffte sich der Blonde etwas und ging in die abgeschirmten Räume am Rande der Medic Bay.
Ein Nebel von desinfizierender Flüssigkeit deckte ihn in der Schleuse ein und ließ ihn erst durch, als die Flüssigkeit seine Kleidung und seine Haut vollständig benetzt hatte. Nicht zu seinem Schutz, wie Steve schnell begriff, sondern zum Schutz des Mannes, der nun seltsam fahl und scheinbar regungslos in dem anscheinend viel zu großen Bett lag.
Schluckend trat Steve näher, setzte sich auf den Stuhl und beobachtete die Instrumente, die in diesen Momenten der einzige Beweis dafür waren, dass Tony Stark wirklich am Leben war.

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