60. Bewusstseinssprung

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"Hey, Aiko! Geht es dir gut? Kannst du mich hören? Aiko, wach auf!"

Erschrocken schlug ich die Augen auf und erkannte Kaji über mir.
Geschockt drückte ich ihn weg und drehte mich auf die Seite, bevor ich mir den Kopf hielt.
Wieso war Kaji hier?! War er nicht tot?! Was sollte das?...

"Aiko, beruhig dich. Setz dich auf und atme." meinte er erneut und ich richtete mich keuchend auf.
Da fiel mir erst auf... wir befanden uns auf einer endlosen, leeren Wiese. Um uns herum befand sich rein gar nichts, außer ein paar anderer Dämonen, die ich nicht kannte.
"Wo bin ich. Und wo ist Adjar?!" rief ich, immer noch von Kajis Erscheinen verwirrt.
Als ich jedoch Adjars Namen erwähnte, wirbelte eine Dämonin, nicht weit von uns entfernt, herum und sah mich an.
Still sah ich ihr zu, wie sie langsam zu uns kam und sich vor mich setzte.

"Du bist Aiko, oder?" lächelte sie und griff nach meiner Hand.
Ich nickte verwundert und ließ sie meine Hand betrachten.
Ihr weicher, rot leuchtender Blick wanderte über meinen Körper und ich musterte sie ebenfalls.
Ihre langen, welligen Haare lagen luftig über ihren Schultern und ihre Hände waren überraschend weich und sanft. Ganz anders als Adjars Haut...

"Du kennst Kaji ja. Ich... bin Layla. Das sind Killou und Hijay." meinte die freundliche Dämonin und hinter ihr kamen zwei junge Dämonen zum Vorschein, ungefähr in meinem Alter.
Aber warte...
"Layla...? Layla... Du bist..." "Ja, das bin ich. Naja... zumindest war ich das." lachte sie und Kaji, Killou und Hijay setzten sich zu uns, auf den Boden.
"Aber... wieso?... hä?..." murmelte ich verwirrt und sah mich um.

"Wir sind alle bereits tot, Aiko. Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten." meinte Kaji belustigt, als er meinen misstrauischen Blick bemerkte. "Ihr seid tot? Aber wieso... kann ich dann mit euch reden?" "Wir sind nur noch Erinnerungen. Und wir alle leben in Adjar weiter. Du befindest dich gerade in seinem Bewusstsein." erklärte Killou und ich sah ihn ungläubig an.
Wie kam ich hier her?

"Verarbeite das erstmal. Du hast hier genügend Zeit. Anders als in der normalen Welt vergeht die Zeit hier langsam. Denk also ruhig mal nach." lachte Hijay belustigt und ich sah ihn und Killou verwirrt an.
"Ich versteh schon, ihr seid Adjars Erinnerungen... aber wer seid ihr beide? Ich habe nie von einem Killou oder Hijay gehört..." murmelte ich und die beiden Dämonen, welche sich verblüffend ähnlich sahen, musterten mich lächelnd.
"Wir sind... naja... so etwas wie Adjars Startpunkt. Wir sind nicht die einzigen, die er verloren hat, aber so ziemlich die ersten." meinte einer der beiden und deutete hinter mich.
Ich drehte mich um und sah viele fröhliche Dämonen vor mir.
Kinder, Frauen, Männer, jeder Art, Größe und Farbe.

"Das sind alle die Leute, an die Adjar sich noch erinnern kann. Alle von ihnen hat er gut gekannt und als Familie angesehen. Er hat sie sterben sehen. Und dann kamen ihre Erinnerungen hier her, zu uns." "Es funktioniert, wie ein Speicher. Solange Adjar sich an sie erinnern kann, leben sie in ihm weiter. Jedoch nur so, wie er sich an sie erinnern möchte." erklärte Kaji und ich musterte die unbekümmerten Dämonen.

Kleine Kinder spielten mit ihren Eltern, andere fädelten Grashalme ineinander und bastelten mit Freunden eine Art Armband daraus.
"Deshalb... willst du mich nicht töten?" fragte ich Kaji und drehte mich zu ihm. "Das stimmt. Auch, wenn er mir das hier gelassen hat, bin ich in Adjars meisten Erinnerungen anders, als du mich kennst." meinte er und zog schmunzelnd sein Shirt hoch, sodass ich das Loch in seiner Brust sehen konnte.
Ich drehte schnell den Kopf weg und sah stattdessen zu Killou.
"Ich und Hijay, zum Beispiel... wir waren für Adjar wie Brüder einer echten Familie. Wir waren die ersten, die ihn nach dem Tod seiner richtigen Familie aufgenommen haben. Nur... sind wir beide bei einem Unfall umgekommen. Adjar wollte uns retten, aber wir konnten beide nicht schwimmen und er war zu spät vor Ort... wir sind beide ertrunken." meinte er und musterte verträumt seinen dünnen Schuppenschwanz in seiner Hand.
Da fiel mir erst auf, dass sie beide sehr blass aussahen...
"Es gibt vieles, das Adjar bereut hat und die meißten, die er nicht retten konnte, sind hier. Andere hat er bereits vergessen oder absichtlich aus seinem Gedächnis verbannt."

Es war viel Info auf einmal aber im Großen und Ganzen machte es Sinn. Auch, wenn ich erst begreifen musste, dass ich in Adjars Bewusstsein war und dass Layla gerade vor mir saß.

"Also... bist du die Layla, die er geliebt hat. Und du hast sie umgebracht." meinte ich, an Kaji und Layla gewandt und Kaji sah mich ertappt an.
"Hasst du ihn gar nicht?" fragte ich die hübsche Dämonin und sie schüttelte den Kopf.
"Adjar weiß nicht, wie genau ich gestorben bin, weil er es nicht gesehen, sondern nur gehört hat. Deshalb weiß ich auch nicht, wie er mich getötet hat." "Und ich weiß es auch nicht. Weil er es eben nicht gesehen hat." meinte nun auch Kaji und ich starrte ihn nur noch verwirrter an.
"Wir sind immer noch nur Adjars Erinnerungen. Wir wissen nicht mehr, als er und das ist auch gut so."

Jetzt verstand ich es.
Sie lebten in Adjar weiter, so wie er sich am liebsten an sie erinnerte. Deshalb war Kaji so sanft. Deshalb saß Layla lächelnd neben ihm.
Deshalb war es hier... so ruhig...

.
Nach einer Zeit der Stille atmete Layla tief durch und sah mich ernst an.
"Ich weiß, dass du Adjar begleiten willst. Es gibt tatsächlich einen Weg und ich glaube, er hat dir bereits gesagt, was das mit sich bringen würde. Aber trotzdem bitte ich dich, bei ihm zu bleiben. Ich-..." "Schon gut, Layla. Er bleibt bei ihm. Adjar hält es nicht aus, das noch länger alleine durch zu machen und das weiß er."

Da ergriff Killou das Wort und ich sah zu ihm.
"Es war schön, dich kennenzulernen. Aber jetzt liegt es an dir, auf Adjar aufzupassen. Wir konnten es damals immerhin nicht."

𝒂𝒏 𝒐𝒍𝒅 𝒍𝒆𝒈𝒆𝒏𝒅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt