6 ☾ Freier Tag

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Ich hatte schon fast vergessen, wie es war - wenn Remus anwesend war.
Da war diese Geborgenheit allgegenwärtig, welche mir bloss mein Zwillingsbruder schenkten konnte.

Diese Sicherheit, dass da jemand war, welcher mich schon mein Leben lang kannte - und mich trotzdem akzeptierte, so wie ich war.

Zwar tat dies Vincent ebenso - und dafür liebte ich ihn.
Jedoch war es trotzdem ein grosser Unterschied - denn ich konnte Vincent nunmal nicht mein Leben bis ins kleinste Detail erzählen, sodass er alles wusste.
Dies konnte nur mein Bruder.

Remus hatte mir erzählt, dass er ausserhalb der Stadt - entfernt von der Zivilisation - in einem etwas heruntergekommenen Haus lebte.

Verdiente sein Geld mit Jobs, bei welchen er nicht auffiel oder erzählen musste, weshalb er einmal im Monat verschwand und dann voller Wunden zurückkam.

Er war einsam - und das musste er gar nicht erwähnen. Egal ob er es nun sagte oder nicht - wir wussten es beide.
Hatte sich in den letzten Jahren so verschlossen und abgekapselt - wie noch nie bisher.
Und doch hatte er es geschafft, diesen Schritt hier nun zu gehen.
Zu mir zu kommen.

In dieser Nacht schlief ich das erste Mal seit Jahren wieder angekuschelt an meinen Bruder.
Natürlich könnte man es als komisch betrachten - und doch brauchten wir nun auch mit 23 Jahren diese Geborgenheit.

Diese Geborgenheit, welche wir uns sogar selbst oft wegnahmen. Aus Angst. Weil wir beide nicht das Gefühl hatten, genug wert zu sein.
Dass wir nicht genug wert waren, um Geborgenheit einer anderen Person zu verdienen.
Doch das waren wir. Beide.

Am nächsten Morgen hatte uns Vincent Frühstück gekocht - und hatte ein glückliches Grinsen auf den Lippen, als ich zu ihm in die Küche trat, während Remus sich erst einmal duschen gegangen war.

"Vince...",sagte ich kopfschüttelnd und lächelte, als er den brutzelnden Speck in der Pfanne wendete.

"Was? Ihr habt das beide verdient.",antwortete mir mein Mitbewohner sanft und nickte.
"Ich seh's doch, wie sehr es dich freut, dass er wieder da ist. Du musstest lange warten."

Das musste ich.
Und doch machte ich meinem Bruder keine Vorwürfe mehr - und das wusste auch Vincent.

"Aber deshalb musst du nicht gleich ne Frühstückstheke aufmachen.",murmelte ich schmunzelnd, als ich den wunderbar gemachten Tisch sah.

"Ach, du weisst ja, wie sehr ich gerne koche!"
"Seit wann kochst du gerne?"
"Okay, okay! Ich muss ne Laune dazu haben, okay?",lachte Vincent, worüber ich ebenso in das Lachen einstieg.

Einige Minuten später sassen wir also zu dritt am Tisch und assen das wirklich leckere Frühstück von Vincent.

Wir unterhielten uns über allgemeine Themen - und ich war überaus froh, dass mein Mitbewohner eine solch' starke Empathie besass.

Denn ich wusste - wenn einige schwierige Themen zur Sprache kommen würden, könnte Remus irgendwann nicht mehr darüber reden - vor allem mit jemandem ihm noch ziemlich Fremden wie Vincent.

So merkte ich immer wie mehr, dass sich Remus, auch wenn Vince da war - entspannen konnte.
Glaubte sogar zu wissen, dass Remus ihn sympathisch fand - aber wie konnte man ihn auch nicht mögen?

Nach einer verbalen Rangelei konnte ich schliesslich Vincent nicht davon überzeugen, dass ich das Aufräumen und Abwasch des Frühstücks machen durfte - also setzte ich mich mit Remus raus auf den Balkon.

Es war frisch - aber die Wintersonne schien, sodass wir in unseren Pullovern draussen sitzen konnten.

Einen Moment schwiegen wir angenehm in unseren Gedanken schwelgend - als Remus das Päckchen Zigaretten auf dem Tisch vor uns sah.

Sein Blick blieb daran hängen - und der meine an dem seinen.

"Das sind..."
Meine Augen begannen zu brennen und ich schaute ebenso zu den Zigaretten.
Alles blieb einen Moment stehen.

Winston Blue.
Sirius' Zigaretten.
Diese Marke - welche er immer geraucht hatte.

Ich spürte Remus' Hand auf der meinen, als ich komplett überflutet wurde.

Mir war immer klar gewesen, dass ich stets diese Zigaretten nur rauchte - weil dies mich an ihn erinnerte.
Ihn irgendwie zu mir zurückbrachte. Auf schmerzliche Weise.

Und doch - war es niemals so präsent gewesen, wie jetzt.
Jetzt - da mein Bruder wieder da war. Meine Vergangenheit.

Ich konnte niemals die Geschichte glauben. Niemals auch nur im Entferntesten glauben, dass Sirius uns damals verraten hatte - Peter getötet hatte. Lily und James ausgeliefert hatte. So viele Menschen kaltblütig ermordet hatte.
Niemals.

Dass er und alle anderen vorher Remus verdächtigt hatten, ein Spion zu sein.
Und dann war er es gewesen.
Das konnte nicht stimmen.

Aber das Problem war, dass es keine andere Erklärung dafür geben konnte - ich hatte so lange versucht, eine Möglichkeit zu suchen, welche wahr sein könnte - stattdessen.
So lange. Verzweifelt.

Doch ich hatte keine gefunden.
Niemals.
Und dies war das schrecklichste.
Ich zerbrach daran.

Und Remus wusste, dass ich daran zerbrach.
Und es nichts besser machen würde - denn es gab keine andere mögliche Erklärung für das Geschehene.

Mein Sirius.
Welcher mir immer gesagt hatte, wie sehr er mich lieben würde.
Was er alles tun würde - um mich zu beschützen. Damit es mir gut ging. Ich niemals Schaden nahm - denn er würde alle Leute dafür bezahlen lassen, die dies wagen würden.
Und nun in Askaban sass - weil er unsere Freunde ermordet und verraten hatte.
Einfach so.

"Lia.",hauchte Remus, als ich atemlos anfing zu weinen.
Immer noch auf die Zigarettenschachtel starrend.

Spürte, wie sich mein Bruder näher zu mir setzte und sah, als ich meinen Blick hob, dass auch er glasige Augen hatte.

"Ich...",begann ich heiser und konnte einen Moment kein richtiges Wort bilden.
Als würde mich der Schmerz und die Trauer zusammendrücken - mir die Luft stehlen.
Meine Stimme verziehen.

Remus nickte sanft und legte seinen Arm um mich - lehnte mich wie auf Knopfdruck an die Schulter meines Zwillingsbruders.
Wir beide zitterten. Wir beide.

"Ich weiss nicht, wie es wieder besser werden kann..."
Diese Worte waren aus mir rausgeflossen - und waren so schwer, wie noch fast nichts, was ich je sagen musste. Sagen konnte.

Spürte, wie Remus einen Schluchzer seinerseits unterdrücken musste - was mich selbst nur noch mehr weinen liess.

"Ich weiss.",hauchte er in mein Haar, als er mich noch näher an sich zog - ich die Arme um meinen Bruder schlang. "Ich weiss es auch nicht, wie es besser werden kann..."

So viel Schmerz - so viel, was passiert war.
Sachen, welche wir bis heute nicht verstanden - nicht verstehen wollten - weil sie so unfassbar schrecklich waren.

Doch wir konnten nicht mehr wegschieben - unterdrücken. Runterschlucken. Verdrängen.
Und doch kam uns diese Methode so lange als die Richtige vor.

Weil wir Angst hatten - was danach passieren würde.
Wenn wir diesen Schmerz zulassen würden. Den vollständigen Schmerz.

Wenn wir loslassen würden - und nicht wussten, ob wir dies überhaupt konnten.

"Wir finden es irgendwie raus, okay?",schluchzte ich in seinen Pullover - an seinen zittrigen und vor Weinen zuckenden Körper.

Spürte, wie er nickte und mir beruhigend über den Rücken strich.
"Wir finden es irgendwie heraus. Zusammen."

Thalia Lupin | MaraudersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt