5 ☾ Verlorene Kindheit

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~°•☆•°~
Damals;
im Jahre 1965 - am fünften Geburtstag von Remus und mir

~

Meine Grossmutter rief wütend nach mir - als ich mich von ihrer Hand weggerissen hatte und in Richtung unseres Hauses losgerannt war.

Seit Monaten hatten mich meine Eltern zu meinen Grosseltern geschickt - eines Abends einfach so.
Hatten mir gesagt, dass mein Bruder krank sei. Dass ich nicht zu ihm durfte.

Ich hatte noch nie so viel geweint, wie damals.
Hatte meine Grosseltern angeschrien, geschlagen und meine Spielsachen kaputtgemacht.
Verstand nicht, wieso sie mich von Remi abgrenzten - wie sie dies nur hatten tun können.

"Thalia - komm wieder her! Ich habe dir doch gesagt, dass wir zusammen reingehen werden!",rief mir meine Grossmutter nach - doch ich hörte nicht auf sie oder meine Eltern, welche erst vorhin zu uns getreten waren. Sie hatten müde und verzweifelt ausgesehen.

Es war der fünfte Geburtstag von Remus und mir - und noch nie hatten wir einen Geburtstag ohne den jeweils anderen verbracht.

Also hatte ich meine Grossmutter überreden können - und scheinbar waren mittlerweile auch meine Eltern damit einverstanden.

Aber sie hatte mir gesagt, sie müssen zuerst mit mir reden - bevor ich meinen Bruder sehen durfte.

Doch ich war stur - verstand nicht, weshalb ich dies zuerst hätte tun sollen.
Remus war mein Bruder! Wieso sollte ich ihn denn nicht einfach so sehen dürfen?

Strauchelnd trat ich die Veranda unseres Hauses hoch und öffnete aufgeregt die Tür.

"Remi!",rief ich grinsend und spürte, wie meine Stimme vor Fröhlichkeit zitterte.
Sah mich im recht düster aussehenden Haus um.
Wo war er?

"Remi?"
Ich trat etwas unsicherer durch das Haus - hörte, wie mein Vater mir nachgerannt war.
"Thalia, bitte warte einen Moment, ja?"

Vor Angst zitternd lief ich durch den Gang - zum Zimmer von Remus und mir.
Griff nach der Türklinke und öffnete unsere blaugestrichene Schlafzimmertür.

Mit farbenfrohen Buchstaben war
REMUS & THALIA
auf die Tür gemalt.
Remus und ich hatten diese zusammen bemalt.

Das erste, was ich hörte, war das ängstliche Wimmern meines Bruders.
"Remi, was ist denn los?",hauchte ich besorgt und drückte aus Reflex den Lichtschalter neben mir.

Sah, wie Remus in seinem Bett lag und sich wegen des abrupten Lichtes die Hand vor die Augen hob.

"Remi?"

Zittrig liess mein Bruder die Hand wieder sinken und was ich dann sah - liess mich in meiner Bewegung innehalten.

Wollte nicht glauben - konnte gar nicht realisieren, was ich sah.
Wie mein von mir so geliebter Bruder so aussehen konnte.

"Thalia...",hörte ich die Stimme meines Vaters - aber sie schien mir meterweit entfernt.
Spürte seine Hand auf meiner Schulter - schüttelte sie ab - mittlerweile weinend.

Hörte ein Schluchzen meiner Mutter hinter mir - irgendwelche Worte meiner Grossmutter, welche ich aber nicht verstand.

Remus.
Remi.
Mein Bruder.
Eine riesige Bisswunde war an seinem Hals - welche zwar verarztet schien, und doch so unfassbar gefährlich an ihm aussah. So riesig.

Sein Gesicht zierten Wunden - Kratzwunden. Seine Arme waren ebenso verbunden und ich hatte Angst, was die Bettdecke noch für Verletzungen am Körper meines Zwillingsbruders verdeckte.

"Was ist mit ihm!",rief ich schluchzend und voller Angst.
"Was ist mit Remi?!"

"Liebes, wir erklären es dir. Aber es ist sehr..."
"Wieso sieht er so aus!",schrie ich weinend und schaute zu meinem Bruder, welcher ebenso angefangen hatte zu weinen. Jedoch schien er kein Wort sagen zu können - als hätte er viel zu viel Angst. Scham. Verzweiflung.

An diesem Tag zerbrach die Kindheit von mir und Remus.
Unsere so unfassbar kurze Kindheit, welche wir gehabt hatten.
Welche uns genommen wurde - einfach so. Ohne zu zögern.

Zwar durfte ich ab diesem Tag wieder zu Hause wohnen - aber während Vollmond trennten uns unsere Eltern immer.

Hörte meinen Bruder nächtelang schreien - so unfassbar viele Schmerzen erleiden.
In jedem Monat.
Konnte in dieser einen Nacht niemals schlafen - einmal im Monat.

Mein Vater, welcher nicht mehr aufhören konnte, sich Vowürfe zu machen - denn er war es, der damals Fenrir Greyback aufgespürt hatte und schnappen wollte.
Der Grund, weshalb Fenrir sich an unserer Familie gerächt hatte - uns verletzen wollte. Und es geschafft hatte.

Spürte und sah, wie unsere Eltern daran verzweifelten - uns komplett abschotteten von allen anderen Leuten.
Mir einbläuten, dass ich dieses Geheimnis nie irgendjemandem erzählen dufte - da Werwölfe gehasst werden.
Dass mein Bruder gehasst werden würde - wenn es irgendjemand erfahren würde.

Begann mit jedem Jahr mehr zu lernen, wie ich die Wunden meines Bruders verarzten konnte.
Welche Salbe heilte - welche kühlte und welche ihm Wärme spendete.

Wie ich ihm das Blut abwischen konnte, sicherstellen konnte, dass sich seine Wunden nicht entzündeten - wie ich den Verband um seinen Körper wickeln musste, damit es ihm nicht weh tat.

Ihm helfen konnte - ihn trösten konnte, wenn er weinte, Albträume hatte und verzweifelte.

Er hatte Angst. Panische Angst - und das seither - dass er die Menschen verletzte, die er liebte.
Dass er sie sogar tötete - wenn er in dieser einen Nacht die Kontrolle über sich verlor.
Und stattdessen sich selbst in diesen schier unendlich langen Nächten verletzen musste.
Alleine - verlassen.

So unendlich viel Schmerz, welchen ich stets mit meinem Bruder mitfühlte.
Meine ganze Kindheit durch.
Ohne auch nur eine einzige Pause.

So viele behandelten ihn aus Angst oder Mangel an Hoffnung als ein Monster - aber ich nicht.
Niemals.

Mein Bruder war kein Monster.
Er war mein Bruder.

Thalia Lupin | MaraudersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt