9. Kapitel

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Guinevere:

Tw!!!

Als ich die Wohnungstür des heruntergekommenen Motels aufstoße, dringen schreckliche Schreie an meine Ohren und schicken einen direkten Schauer über meinen Rücken.
Sie durchdringen die Luft und erfüllen mich mit einer Mischung aus Angst.
Es ist, als ob jeder Nerv in meinem Körper angespannt ist und mich anschreit wegzulaufen, von Alec und der erdrückenden Enttäuschung.
Vor Ares und meinen Gefühlen für ihn, die sich weigern zu verblassen, egal wie sehr ich es versuche, und vor diesem Ort, meinem angeblichen ,,Zuhause".

Ich höre Asas Worte in meinem Kopf widerhallen, eine Versprechung, dass es eines Tages besser werden wird, dass ich Glück finden kann, aber nicht mit Ares. "Vertraue dem Prozess, Bunny", pflegte er zu sagen.

Oh und wie ich diesem Prozess vertraut habe, nur um mich jetzt an diesem düsteren Ort wiederzufinden, verzweifelt nach einem Ausweg suchend, aber ohne klaren Weg nach vorn.

Die Erinnerung an Olive, Alecs Mutter, hängt ebenfalls schwer in meinem Kopf.
So gerne würde ich zu ihr flüchten, doch es wäre zu beschämend.
Denn im Akt der Verzweiflung habe ich Geld von ihr gestohlen. Und ich bin mir sicher, dass sie es bemerkt hat. Sie hat zwar nichts gesagt, auch nicht Alec, obwohl ich mir sicher bin, dass er es nicht weiß, aber trotzdem ist es beschämend.
Dabei hatte ich keine Wahl.
Ich brauchte es, um die Narben auf meiner Haut zu entfernen, die ich nach einer grauenhaften Vergewaltigung erlitten hatte.
Doch war es nicht so erfolgreich wie gedacht. Außerdem hat es nicht dazu beigetragen, die quälenden Erinnerungen in meinem Kopf zu löschen.
Besonders die große pinke Narbe, die immer noch meine Haut skizziert, ist ein ständiges visuelles Zeugnis für den Schmerz, den ich ertragen musste.

Zwar sind die Ereignisse jener Nacht teilweise verschwommen, doch verfolgen sie mich trotzdem.

Bis jetzt teilte ich auch nur mit der Polizei, was ich weiß, und wie gesagt, es ist nicht viel.
Alles, woran ich mich erinnern kann, ist die dröhnende Musik im Club, die verschwommenen Momente danach und das desorientierende Gefühl des Erwachens in einer dunklen Gasse.
Mein Körper zertrümmert und blutüberströmt.

Später wachte ich im Krankenzimmer auf, wo die harte Wahrheit offenbart wurde: Ich wurde vergewaltigt, missbraucht.
Narben wurden auf meinen Körper und Seele hinterlassen.
Dabei ist die tiefe Narbe, die meinen intimsten Bereich durchschneidet, geblieben.
Und jedes Mal, wenn ich meinen Anblick im Spiegel erhasche, überwältigen mich Emotionen.
Ekel windet sich in meinem Magen, während ich der harten Realität dessen gegenüberstehe, was mir angetan wurde.

Es ekelt mich an zu denken, dass jemand glaubt, das Recht zu besitzen, über einen zu entscheiden und sich das zu nehmen, was er denkt zu brauchen.
Aus genau diesem Grund floh ich aus Portland zurück.
Ich konnte einfach keinen weiteren Moment dort aushalten.

Doch bei meiner Rückkehr wurde mir schnell klar, dass ich nichts und niemanden hatte.
Sicher, es gab Leute wie Alec, aber ich konnte ihm mein Geheimnis, den Grund für meine Rückkehr, nicht offenbaren.
Ich kenne ihn zu gut, ich hätte ihn nicht belügen können.
Also hätte ich es ihm sagen müssen, aber tief im Inneren wusste ich, dass ich noch nicht bereit war, als ich vor zwei Monaten zurückkehrte.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es jemals sein werde.

Also hatte ich nur wenige Optionen, und eine davon war diese hier.
Zuflucht in diesem heruntergekommenen Motel zu suchen.
Es gehört einer meiner früheren Pflegefamilien. Auch diese Zeit hier war kurzlebig, denn es gab Gründe, die mich dazu veranlassten, zugehen.
Mack, der Vater, kämpft gegen Alkoholismus, und wenn er trinkt, verschlingt ihn eine finstere Dunkelheit.
Bis heute bin ich niemandem begegnet, der furchteinflößender ist als er.
Besonders als ich jung war, entfesselte er seine Wut an mir, und die Gerechtigkeit fand niemals ihren Weg zu seiner Tür.

Heutzutage hat er zwar eine gewisse Kontrolle über seine Laster, trotzdem gibt er gelegentlich nach. Seine Ausbrüche sind zwar seltener und weniger offensichtlich, aber ich finde es herausfordernd, in seiner Gegenwart auszuharren.
Meist sind seine Ausbrüche gegen seine Tochter gerichtet, doch jedes Mal opfere ich mich, um sie vor Schäden zu bewahren und sicherzustellen, dass sie unversehrt bleibt.

Dennoch bin ich mir schmerzlich bewusst, dass sich etwas ändern muss, solange ich hier gefangen bin, bis ich mir etwas Eigenes leisten kann.
Gerade als ich es laut ausspreche, entsteht eine Idee, die von Sekunde zu Sekunde in meinem Kopf stärker wird.
Ich erinnere mich daran, dass Alec früher immer von einem Boxclub gesprochen hat.
Er hat es oft besucht und mich immer ermutigt, mitzukommen.
Er glaubte, dass es als Frau wichtig wäre zu wissen, wie man sich verteidigt, um sich vor den unzähligen Bastarden da draußen zu schützen.
Hätte ich doch nur auf ihn gehört.

Doch es ist nicht zu spät, es ist nie zu spät aktiv zu werden.
Mit diesem Bewusstsein schnappe ich mir entschlossen mein Handy und suche online nach dem Boxclub.
Zwei Optionen erscheinen, aber tief im Inneren weiß ich, für welche Alec sich entscheiden würde - das, das näher am Stadtzentrum liegt.
Er war nie jemand, der den extra Weg gehen würde.

Gott, wie ich ihn vermisse.
Er war immer für mich da, eine feste Stütze.
Er bot mir eine warme Umarmung, wann immer ich sie brauchte, und löste mühelos meine Probleme.
Er hat sogar immer Eis für mich besorgt, während dieser verhassten monatlichen Zyklusphasen.

Und zum ersten Mal erlaube ich mir, die Leere zu spüren, die ich vorgebe, nicht existent zu sein.
Ich lasse meine Emotionen mich überwältigen, während ich mich gegen die Wand lehne, hinunterrutsche und den Tränen nachgebe.
Ich spüre das Gewicht von Schmerz, Sehnsucht, Verrat, Scham und Frustration, das auf mich herabstürzt.

Am nächsten Morgen beschließe ich, mich von diesen erdrückenden Emotionen zu befreien.
Ich sammle meine Sportkleidung zusammen, entscheide mich für eine schwarze kurze Leggings und einen roten Sport-BH.
Ich realisiere, dass es schon eine Weile her ist, seitdem ich mich so gekleidet habe, aber zum Glück ist mein Körper nicht mit blauen Flecken von Mack versehrt.
Es gibt also keine Male zu verbergen und somit keinen Grund mich nicht so zu kleiden.

Nach einer relativ kurzen Busfahrt komme ich beim Boxclub an.
Ich stürme hinein, bewusst, dass ich etwas zu spät für meine geplante Einheit bin.
Doch als ich den Eingang betrete, bleibt mein Herz in meiner Brust stehen.
Dort vor mir, im Ring trainierend, sehe ich Alec, Asa und Ares.
Verdammt.
Ich will mich sofort zurückziehen, als jemand aus dem angrenzenden Raum auf mich zukommt.
"Du musst Guinevere sein, oder?"

I crave you - Ares & Guinevere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt