Kapitel 30

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~ Wren ~

Stundenlang hatte ich vor dem Trevi Brunnen verbracht. Ganz wenige Leute waren noch unterwegs, doch sie kümmerten mich nicht. Ich saß auf dem Boden und hielt die Knie an den Körper gezogen. Das fließende Wasser sollte mich eigentlich beruhigen, doch nichts dergleichen Geschah.

Alles von damals war wieder aufgetaucht. Belial erneut ins Gesicht zu sehen, brachte all die Bilder zurück. Bilder, die die Finsternis in mir versteckte. Doch nun waren sie wieder da. Und nicht nur das. Ich spürte wieder die Hitze des Feuers. Schmeckte die Asche und roch das verbrannte Fleisch. Mein Herz brach erneut in Stücke, als ich den Schrei meiner Mutter hörte. Er dröhnte mir noch immer in den Ohren, wie ein viel zu lautes Echo.

Verzweifelt presste ich meine Hände fest auf diese und kniff die Augen zusammen. Versuchte die Geräusche um mich herum auszublenden, doch es brachte nichts. Sie waren noch da. Genauso, wie die Erinnerungen.

Eine Hand legte sich vorsichtig auf mein Knie und ich schreckte zusammen.

Heftig nach Luft schnappend riss ich die Augen auf und für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde sah ich Lucjans Gesicht vor mir, ehe es sich zu dem von Enzo wandelte.

Sein Gesicht war mit Trauer durchzogen. Gleichzeitig jedoch erkannte ich eine gewisse Erleichterung darin. Seine Hand auf meinem Knie fühlte sich warm an und sie schien die Kälte in mir zu verdrängen.

Enzo sah mich an, doch ich erkannte in diesen Blick keine Spur von Hass und Verachtung. Das, was ich erkannte, war Sorge.

Vielleicht war es das, was mich in Bewegung setzte, denn ich löste meine Hände ganz von meinen Ohren und stürzte mich in seine Arme. Ohne zu zögern, legte er seine Arme um mich und drückte ich fest an sich, während ich laut zu weinen begann.

Es war mir egal, dass mich jeder hören konnte, dass mich jeder sehen konnte. Es genügte mir diese eine Person, die mich einfach nur festhielt und mich davor bewahrte wieder einmal auseinanderzubrechen. Die Person, die mich so fest an sich drückte, als wollte er all den Schmerz aus mir vertreiben. Und ich klammerte mich ebenfalls so fest an ihn, wie ich nur konnte, um nicht selbst in dem Schmerz zu versinken.

~

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich keine Kraft mehr besaß, um zu weinen. Doch auch danach hatte Enzo mich nicht losgelassen. Stattdessen saß er mit mir am Brunnen und hielt mich weiterhin in seinen Armen. Fuhr immer wieder tröstend über meinen Hinterkopf, so wie es Lucjan immer getan hatte, wenn es mir schlecht ging. Doch das Gefühl bei Enzo war anders.

>>Es ist meine Schuld.<< Das waren die ersten Worte, die ich herausbringen konnte und meine Stimme schmerzte ungeheuerlich. >>Das alles ist meine Schuld.<<

Enzo atmete tief ein und sein Griff um mich verfestige sich ein wenig mehr. Er sagte nichts.

>>Ich habe ihn auf diese Welt gebracht und diese Tragödie ins Rollen gebracht. Und jetzt ist Aislinn...<< Ich konnte es nicht mal aussprechen. Aber das musste ich nicht, denn Enzos Körper spannte sich auch so genug an. Ich merkte erneut, wie die Tränen meinen Blick verschleierten. >>Es ist meine Schuld. Sie war deine Familie. Und nur wegen mir ist sie tot. Wieso bist du also hier und nicht bei ihr? Und bei Archer? Du... Du solltest mich hassen.<<

>>Du gehörst ebenfalls zu meiner Familie<<, sagte er. Worte, die mich, wie ein Schlag ins Gesicht trafen.

Endlich riss ich mich von ihm los und stand auf. >>Bin ich nicht. Ich war es nie. Ich bin nur eine Hexe, die durch ihre Dummheit und Selbstsüchtigkeit ein Ungeheuer auf diese Welt freigelassen hat. All diese Menschen... Diese Familien, die er abgeschlachtet hatte. Ich habe sie auf dem Gewissen. Ich allein. Wieso bist du der Meinung, dass ich es verdiene ein Teil irgendeiner Familie zu sein, wenn ich jeder dieser anderen Familien nur den Tod gebracht habe?<<

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