Kapitel 29

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~ Wren ~

11 Jahre zuvor...

Schluchzend saß ich mit angezogenen Knien unter dem großen Baum, der nicht weit von unseren Haus entfernt auf einem Hügel wuchs. Noch immer hörte ich Mutters tadelnde Stimme. Hörte, wie sie mir beipflichtete mehr zu üben und mich auf meine bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren, anstatt mit dem Kopf irgendwo anders zu sein. Ich begann erneut zu weinen.

Es war jedes Mal das gleiche. Sie war meine Mutter und sie war stets liebevoll, doch sie war auch eine furchtbar strenge Lehrerin. Besonders zu mir.

>>Wieder ein Reinfall?<<, hörte ich eine ruhige Stimme und merkte, wie sich jemand neben mich setzte. Diese spirituelle Energie würde ich überall erkennen, ohne mich überhaupt anzustrengen.

Schluchzend löste ich mich aus meiner kauernden Position und stürzte mich in die Arme meines Bruders. >>Ich schaffe es einfach nicht, Lucjan. Immer wieder versage ich.<<

Leise brummend erwiderte er meine Umarmung und fuhr immer wieder sanft über meinen Hinterkopf. >>Du schaffst das schon. Du musst nur Geduld haben.<<

>>Wann? Ich übe und übe jeden Tag, aber die Spiegel verachten mich.<<

Lucjan lachte leicht auf und tätschelte mir den Kopf, ehe er mich ein wenig von sich wegschob, sodass er mir in mein verheultes Gesicht sehen konnte. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er wischte mir mit den Fingern meine Tränen weg, die einfach nicht aufhören wollten zu fließen. >>Die Spiegel verachten dich nicht. Es ist nun mal nicht so einfach ein Portal zu öffnen.<<

Schniefend sah ich zu ihm hoch. >>Du hast es gleich nach dem dritten Mal geschafft.<<

Mein Bruder – eigentlich Halbbruder - war ein Naturtalent was Magie anging. Sein reines Blut trug einen großen Teil dazu bei. Lucjan war ein dunkler Hexer durch und durch, während ich mit meinem Mischblut nicht an seine Fähigkeiten herankommen konnte. Niemals. Vermutlich nahm mich Mutter bei unseren Unterrichtsstunden deshalb so hart ran, damit ich Lucjan ebenbürtig sein konnte.

Die Wahrheit war nur, dass ich es nie schaffen würde, auf seine Ebene zu steigen. Lucjan wusste es ebenfalls, nur hatte er es nie wirklich ausgesprochen. Vermutlich um mich nicht zu verletzen.

>>Manche brauchen einfach länger dafür. Aber glaub mir, wenn du es erstmal geschafft hast, wird dir nichts mehr im Wege stehen. Viele, die anfangs Schwierigkeiten besitzen, können später mal sehr starke Hexen werden. Du weißt es noch nicht, aber du wirst irgendwann zu sehr großen Dingen fähig sein, kleine Schwester.<<

Ich wischte mit mir dem Ärmel übers Gesicht. >>Wie kannst du dir da sicher sein?<<

Lucjan begann zu grinsen und lehnte sich an den breiten Baumstamm zurück, während ich mich ebenfalls in meine vorherige Position zurücksetzte. >>Weil du die Tochter unseres Vaters bist. Und weil die große Erdenmutter über dich wacht.<<

Wir beide blickten in Stille über die Weide vor uns.

Unser Haus befand sich etwas außerhalb von Breslau. Wir lebten recht abgeschieden. Zu unseren Schutz hatte Vater immer gesagt. Die Menschen sollten nicht erfahren, was hier geschah. Wir praktizierten unsere Magie zwar offen aus und die Bewohner hier wussten, wer wir waren – jedenfalls teilweise - sie wussten, dass meine Mutter eine hervorragende Heilerin war, dass ihre Naturmagie so viele Wunder vollbringen konnte, doch sie wussten nichts von dem finsteren Teil unserer Familie. Sie wussten nichts von der Finsternis, die in meinem Vater, meinem Bruder und teils auch in mir wohnte. Und das sollte auch so bleiben.

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