Sie sah mich an, meinen nackten Oberkörper, meine Arme. Die Hände die das Grauen vorhin ohne zu zögern vollzogen hatten. Dann trafen unsere Augen sich wieder. "Bist du verletzt?" fragte sie. Ihre Stimme klang klarer, obwohl sie zuvor noch eine Heidenangst hatte.
Ich konnte nicht anders als zu lachen, aber es war kein richtiges lachen - es klang wütend, sogar etwas verzweifelt. Diese ganze Sache hatte mich an die Torturen erinnert die meine Mutter durchleiden musste... Deshalb waren meine Sicherungen vollkommen durchgebrannt. "Mir geht's gut." antwortete ich knapp und beobachtete sie weiter. Es war nicht so das ich sie in einem neuen Licht sah, aber ich hatte auch nicht das dringende Bedürfnis sie weg zu schicken - zumindest nicht im ersten Moment. "Was willst du, Ophelia?" fragte ich. Ihre Augen bohrten sich in meine. "Du hättest das nicht tun müssen. Ich hätte das irgendwie alleine hinbekommen." gab sie zurück. Ich kniff die Augen zusammen und legte den Kopf etwas schief. "Du hättest das schon hinbekommen? Wofür bist du dann überhaupt hier, wenn du es ja 'hinbekommst'? Wofür der Deal? Davon abgesehen wissen meine Männer das es Regeln gibt. Und ebenso was die Konsequenzen der Missachtung sind." warf ich ihr entgegen.
Wütend auf sie und auf alles was geschehen war wollte ich nichts mehr als sie los zu werden. Doch ich wusste sie würde nicht einfach so gehen, außer ich half nach. "Sonst noch was? Wenn du nicht vor hast mit mir unter die Dusche zu kommen würde ich vorschlagen das du dich aus meinem Zimmer verpisst."
Erschrocken sah sie mich an und floh fast aus meinem Zimmer, womit ich dann doch bekam was ich wollte... Meine Ruhe. Die letzten Kleidungsstücke landeten auf dem Boden und ich begegnete dem heißen Wasserstrahl gierig.
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Am nächsten Morgen hatte ich entschieden Ophelia nicht länger Händchen haltend zur Seite zu stehen. Ich brachte ihr kein Essen, überließ sie vollständig in die Obhut von Anya. Ich war zwar ruhiger und hatte den Vorfall schon halbwegs verdaut aber auf sie war ich immer noch sauer. "Sie will nichts." murmelte Anya Als sie zur Küche herein kam. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte meine Laune bestens wider.
Anya griff nach Gemüse, das sie fürs Abendessen vorbereitete. Sie wusch es, aber etwas war anders. Sie war selbst wütend und schwieg, wie sie es gelernt hatte, dafür ließ sie es aber an den Karotten aus. Dann stellte sie das Wasser ab und starrte vor sich aus dem Fenster. "Ich habe gehört was du gestern getan hast." begann sie. Ich hatte fast schon Sorge mir von ihr ebenfalls eine Predigt darüber anhören zu müssen, aber Anya überraschte mich. "Ich danke dir. Das du getan hast was du getan hast. Denn... Hättest du das nicht, wäre die Gefahr groß gewesen das er es noch einmal versucht und... Das es ihm womöglich gelingt."
Jetzt sahen wir uns an.
Ich hatte diese Frau manches mal völlig falsch eingeschätzt und war überrascht, genauso wie jetzt. Gleichzeitig empfand ich ihre Worte allerdings als überaus traurig, so als hätte sie eine ähnlich schlimme Erfahrung gemacht. Aber das sagte sie nicht offen, graderaus und ich fragte nicht nach.Ich versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren, las den Sportteil in der Zeitung mehrmals weil ich immer wieder den Faden verlor. Kurz bevor Anya die Küche wieder verließ legte sie ihre Hand auf meine Schulter. "Manchmal kommt es auf den Blickwinkel einer Geschichte an um sie zu verstehen." sagte sie. Sie wies auf das Tablett mit Kaffee, Saft und Pancakes und verschwand schließlich um ihrer Arbeit nachzugehen.
Das war ein Zeichen.
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Mehrere Minuten stand ich vor Ophelia's Tür uns starrte das Holz an. In den Händen hielt ich das Tablett. Ich machte dieses Zugeständnis nicht weil ich im Unrecht war, aber Anya hatte nicht ganz Unrecht. Also klopfte ich vorsichtig und öffnete dann die Tür.
Ophelia sah aus dem Fenster ohne auf mich zu reagieren. Ich stellte dass Tablett an seinen üblichen Platz ab und steckte meine Hände anschließend in die Taschen meiner Hose. Es war still, fast schon, als wäre niemand außer mir hier.
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BLOODLINE : Cameron
Romance⚠️ Teil 1 der Bloodline Reihe ⚠️ Ich will Rache... Aber bin ich bereit jeden Preis dafür zu zahlen? Was, wenn nicht? AUFTAKT ZUR BLOODLINE REIHE Cameron DaSilva führt ein freies Leben. Als einzigster Sohn von Matheo DaSilva gehört er zu den Erben d...