Dreißig

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Es war nicht so das ich niemandem etwas Glück gönnte, ganz im Gegenteil. Besonders Anya hatte es mehr als verdient, nach allem was auch sie durchgemacht hatte.

Das es aber ausgerechnet mein Vater war, den sie auserkoren hatte, ließ mich zweifeln. Er war in der Vergangenheit ein rücksichtsloser Mann gewesen und hatte es mehr als einmal demonstriert wie grausam er sein konnte.

Und jetzt?

Es ließ mich nicht los. Gleichzeitig nagte das schlechte Gewissen an mir, das ich Ophelia so behandelt hatte. Ich hatte sie ausgeschlossen, zumindest fühlte es sich genauso an. Das war nicht richtig und nicht erst der Alkohol machte mir das klar. Also ließ ich das Glas stehen und suchte sie... Um mich zu entschuldigen für die Art wie ich auf das, was sie gesagt hatte, reagierte.

Sie lehnte gegen das Kopfteil des Bettes, trug ein Nachthemd in zartrosa und konzentrierte sich auf die Zeitschrift in ihren Händen, selbst als sie mich wahrgenommen hatte. Ich wollte vieles sagen, mich entschuldigen und doch blieb ich bei ihrem Anblick ruhig, begann damit meine Klamotten auf den Boden fallen zu lassen. Zu meiner Verärgerung registrierte sie es im Augenwinkel zwar, reagierte jedoch nicht auf mich. Erst als ich die Decke zu ihren Füßen gänzlich weg zog und aufs Bett krabbelte, ihr die Zeitschrift weg nahm und zu Boden fallen ließ und nun direkt über ihrem Gesicht mit meinem schwebte, sah sie mich an. "Es tut mir leid." murmelte ich geknickt und küsste ihre Stirn. "Es tut mir leid wie ich darauf reagiert habe. Es tut mir leid das ich alles andere ausgeblendet habe."

Sie blieb stur, wollte das ich noch mehr litt, mich in ihrer Ignoranz suhlte bis zum endgültigen Punkt, an dem ich zu flehen begann. Und obwohl es mir erst zuwider war tat ich es. Ich flehte und betete sie gleichermaßen an.

In dieser Nacht schlief ich mit der Frau in meinem Bett und in meinem Leben auf die zärtlichste Art, die ich je zustande gebracht hatte.

Als mir Vater am nächsten Morgen wieder in der Küche begegnete war ich stocksteif. Ich hatte nie für möglich gehalten das ich je eine dieser Unterhaltungen mit ihm führen müsste.
Langsam ging ich zur Kaffee Maschine und ließ mir länger Zeit als notwendig um mir eine Tasse ein zu schenken. "Nun sag schon was dir auf der Zunge liegt." murmelte er schließlich. Als ich mich herum drehte sah er mich direkt an. "Wenn du Scheiße baust..." sagte ich, ohne dabei wütend zu wirken, "... Dann bekommst du es mit mir zutun."

Vater stand auf, richtete seine Jacke. Er sah gut aus, fast als hätte ihn der frühere Ballast älter wirken lassen. Nun, ohne all die Gedanken an Alessandro, war er wieder vitaler, gesünder. Der Hass fraß ihn nicht länger auf.

"Hast du je das Gefühl gehabt diese Warnung in Bezug auf deine Mutter aussprechen zu müssen?" fragte er, fuhr dann aber sofort fort. "Ich mag ein miserabler Vater und Boss gewesen sein, aber ich bin kein Monster. Ich behandelte deine Mutter wie eine Königin und ich werde nichts anderes bei Anya tun. Ich verstehe wenn du Zeit brauchst das zu realisieren und zu akzeptieren, deshalb bin ich auch jetzt nicht wütend das du mir etwas zu unterstellen versuchst."

Wir standen uns gegenüber, hielten stur den Blickkontakt. In all der Zeit in der ich gewünscht hatte das mein Vater wieder mein Vater war, das er sich mir gegenüber öffnete hatte ich mir nie vorgestellt es so zutun wie es jetzt tatsächlich war. Nichts und niemand hatte mich auf das vorbereiten können, aber... Ich war nicht länger verärgert, nicht länger nachtragend. Es musste endlich vorwärts gehen und er reichte mir hierzu die Hand. "Sie mag Blumen... Und sie steht total auf diese alten Filme, die es heute nur noch vereinzelt in Privatbesitz gibt." sagte ich schlicht. Es war meine Art ihm unter die Arme zu greifen, auch wenn ich noch nicht restlos überzeugt war. Sein Lächeln, dass dann zum Vorschein kam ließ die eisige Barriere zwischen uns etwas schmelzen.

Ophelia war von Anfang an begeistert von der Konstellation zwischen meinem Vater und Anya, während ich noch Wochen brauchte um mich damit zu arrangieren. Die ältere Dame war nicht länger meine Angestellte, weil es sich komisch anfühlte und auch wenn sie schon immer mehr war als die Köchin des Hauses, so gehörte sie doch jetzt vollumfänglich zur Familie. Schritt für Schritt musste ich mich an die Veränderungen gewöhnen, daran, daß Vater Anya's Hand hielt und ihr dabei in die Augen sah - aber ich erkannte auch mich selbst, zumindest etwas. So wie er sich um sie kümmerte und die umsorgte kümmerte ich mich auch um Ophelia - genauso, wie sie sich um mich kümmerte. Wir waren ein Team geworden.

"Hm-mh."

Vater räusperte sich und stand vom Tisch auf. Wir hatten ein nettes Dinner zu viert in einem Restaurant und alles war nett, bis er aufstand. "Ich möchte gerne etwas sagen."

Angespannt wartete ich, während die Frauen am Tisch ihn aufmunternd ansahen.

"Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viel gelernt. Vor allem über mich. Ich habe meinen Geist dem Hass dem er lange ausgesetzt war entzogen. Das hat es mir ermöglicht andere, wichtigere Dinge wahrzunehmen. Die Warmherzigkeit einer bestimmten jungen Frau, die sich meinem Sohn angenommen hat - und der Hingabe und Liebe einer anderen, bildschönen Frau, die sich meiner angenommen hat. Die mir eine Chance gegeben hat, wieder zu leben, zu lieben und nicht nur Gewalt, Hass und schwarz weiß zu sehen.
Dir gegenüber, Cameron, war ich ein bösartiger Vater, das weiß ich... Vieles von den Dingen die ich getan habe wirst du womöglich nie verstehen aber das du mir verzeihst und mir eine weitere Chance gibst Teil deines Lebens zu sein ist alles, was ich für den Moment erwarten kann und möchte. Eines Tages will ich, daß du an meiner Seite stehst, in der alten Kathedrale und mit mir gemeinsam den nächsten Abschnitt meines Lebens einläutest... Denn... Ich habe Anya gebeten meine Frau zu werden. Ich will mehr als nur das Bett mit ihr teilen."

Ophelia war gerührt, Anya tupfte sich die Tränen fort. Und ich... Ich saß da, starrte meinen Vater an und suchte nach einem Hinweis, der ihn verraten würde. Das alles nur ein Spiel für ihn war, oder schlimmeres. Aber ich fand nichts. Kein Kalkül, kein Hass schwappte mir entgegen - nur Aufrichtigkeit und Liebe. Ich musste endlich die Gedanken los lassen, daß er all das nur tat um zu verletzen und zu schaden.

Ich räusperte mich, dann stand ich auf.

"Es wäre mir eine Ehre mit dir am Altar zu stehen." sagte ich und ich meinte es auch so. Ich hatte ein Geschenk erhalten, nachdem ich vermeintlich vieles verloren hatte - oder vieles verloren schien... Und ich wollte um jeden Preis, das es so blieb.

Gemeinsam blickten wir zu viert in eine glorreiche Zukunft... Und auch wenn nicht immer alles zu 100% glatt laufen würde, so war ich mir dennoch sicher das wir alles schaffen konnten.

Jetzt mehr denn je.

BLOODLINE : CameronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt