Sechs

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Die Stehlampe neben meinem Vater erhellte den Raum. Sein Gesicht war so wie immer, stur und ohne Gnade. "Was machst du hier?" fragte ich und begann die wenigen Dinge die ich bei mir trug auf eine Ablage zu legen. "Das ist sie also? Mich würde interessieren was er von ihr will."

Mit ER meinte er Alessandro. Ich war etwas irritiert das sich Vater nicht selbst bereits genügend Informationen besorgt hatte, daher klärte ich ihn auf. "... Sie wird der Lockvogel, weil man nur schwer an ihn heran kommt." fügte ich hinzu. Vaters Augen taxierten mich als könnte er dem ganzen nichts positives abgewinnen. Dann stand er auf. "Und sie macht da einfach so mit... Womit hast du ihr gedroht? Was hast du ihr versprochen?"

Seit dem brutalen Mord an meiner Mutter war Vater nicht mehr derselbe. Es war als wäre der wichtigste Teil von ihm mit ihr gestorben. Jetzt war er nicht mehr als ein Monster, welches im Schatten lauerte. Getrieben von Hass und Trauer über seinen Verlust hatte er sämtliche Emotionen anderen gegenüber abgelegt - auch mir gegenüber. "Wir haben einen Deal." antwortete ich knapp. Es war nicht wichtig worum es bei dem Deal ging und ich wusste er würde sich für Einzelheiten nicht interessieren. Alles was er wollte war Rache. Und diese wollte ich genauso.

Bevor er wenige Minuten später ging sah er mich noch einmal an. Abscheu lag in seinem Blick - seinem einzigen Sohn gegenüber. Früher hatte er mich herzlich angesehen, mit mir gelacht... Doch dieser Mann war verschwunden. "Ich habe noch einen Trumpf im Ärmel. Halt dich bereit." knurrte er und verschwand dann.

Endlich atmete ich wieder aus, hatte gar nicht bemerkt wie ich die Luft angehalten hatte. Es war aufregend wie immer, wenn er in meiner Nähe gewesen war und da ich nicht an Schlaf denken konnte beschloss ich tatsächlich noch eine Weile zu arbeiten um den Kopf etwas frei zu bekommen.

Kichern erfüllte die Küche und ich pirschte mich leise an. Anya und Ophelia standen gemeinsam am Herd und schienen etwas zu begutachten, sodass sie meine Anwesenheit gar nicht wahrnahmen. Das gab mir Zeit die Situation zu überfliegen und die Frau, mit der ich den Deal eingegangen war zu mustern.

Ihr Haar war zu einem Knoten gebunden, aus dem sich bereits einige Strähnen lockerten. Sie trug ein weißes Shirt das ihr etwas zu groß war und eine echt hässliche Hose, die kurz nach den Knien endete. Sie fühlte sich offenbar so heimisch, dass sie dies auch zeigte. Irgendwas daran störte mich. "Guten Morgen." ertönte meine tiefe Stimme. Die dunklen Ringe unter meinen Augen verrieten, das ich kaum Schlaf gefunden hatte.

Anya drehte sich als erstes zu mir um. Sie lächelte leicht. "Ophelia zeigt mir gerade ein altes Familienrezept." erklärte sie und häufte wenig später ein paar Eier und etwas Speck auf einen Teller. Daran war nichts ungewöhnliches, bis ich zu essen begann. Es schmeckte anders, würziger, intensiver aber dennoch gut. "Vielleicht übernehme ich es und serviere es morgens öfter zum Frühstück." sagte die ältere Dame. Ohne auf eine Reaktion von mir zu warten griff sie nach dem Wäschekorb der auf dem Boden stand und ging hinaus.

Jetzt waren es nur noch Ophelia und ich.

"Ich hoffe es macht dir nichts aus, das ich..." begann sie, aber ich unterbrach sie harsch. "Ich hatte dir gesagt das du mir nicht auf die Nerven gehen sollst." war meine Antwort. Als wäre der Tag zuvor nie geschehen und als würde ihre Anwesenheit mir Unbehagen bereiten ließ ich meine Frustration an ihr aus. Nach einem eindringlichen Blick in ihre Richtung schaute ich wieder hinab auf mein Frühstück und ignorierte sie die restliche Zeit. Die Stille war offenbar so unangenehm für sie, daß sie dann schließlich doch aus der Küche verschwand um mich alleine zu lassen.

Den ganzen Tag hatte ich meine Ruhe, weil sich alle lieber fern hielten. Meine Laune stand mir auf der Stirn geschrieben und niemand wagte es mich zu nerven. Das war eines der Dinge, die ich bevorzugte, die ich liebte.

Vater hatte sich nicht gemeldet und ich hatte den Tag damit verbracht noch mehr über Alessandro herauszufinden, was eher weniger funktionierte. Das frustrierte mich noch mehr, sodass ich später am Abend bereits früh im Bett lag und versuchte zu schlafen - erfolglos. Zu viele Dinge gingen mir durch den Kopf und ich hatte kein Ventil an dem ich es auslassen konnte, weil ich wieder einmal nicht ausgegangen war.

Leises klopfen an der Tür ließ mich aufhorchen. Keiner der Männer wäre dumm genug gewesen mich zu stören, also vermutete ich Anya, die von allen Regeln offenbar ausgenommen war. "Es ist offen" murmelte ich. Kurz danach streckte Ophelia ihren Kopf durch den schmalen Spalt den sie geöffnet hatte. "Hast du einen Moment?" fragte sie. Etwas in mir wollte das sie ging, doch ein kleiner Teil wollte hören, was sie zu sagen hatte. Als ich ihr nicht antwortete blickte sie unsicher, was mich innerlich schon wieder rasend machte. "Komm rein." brummte ich schließlich.

Langsam und als hätte sie die Vermutung das schlimmste in diesem Zimmer vorzufinden ging sie einen Schritt nach dem nächsten. Sie hatte die Tür nur angelehnt um eine Flucht Option zu haben. "Was willst du?" fragte ich so laut, als wäre ich kurz davor zu brüllen. Sie zuckte kurz zusammen.

"Mich entschuldigen für heute morgen. Ich hatte angenommen das es in Ordnung ist wenn ich mit Anya etwas probiere... Und weil du so nett warst und auf dem Friedhof bei mir geblieben bist, dachte ich..."

"Dachtest du was? Das wir jetzt Freunde sind? Du bist mir nach wie vor egal, Ophelia. Es interessiert mich einen Scheiß was du dachtest. Vergiss nicht, die Tür von außen wieder zu schließen." knurrte ich. Für mich war das Gespräch beendet und ich war siegessicher in wenigen Augenblicken wieder allein zu sein, doch der ungebetene Gast in meinem Zimmer rührte sich nicht. Statt passiv - wie sonst auch - war sie offenbar in die offensive gegangen. Ihr Giftblick sprach Bände.

"Okay, Cameron. Wir sind keine Freunde, das hab ich wohl gemerkt. Das akzeptiere ich. Aber wir können normal miteinander umgehen. Du musst nicht so scheiße sein, nur weil du einen schlechten Tag hattest."

Ich sprang aus dem Bett. Ophelia's Augen wanderten von meinem Gesicht für einen kurzen Moment an meinem nackten Oberkörper hinab und verweilten für eine Weile am Bund meiner Hose. Dann schossen sie wieder hinauf. "Normal... Normal?" murmelte ich. "Du bist nur hier weil ich meinen Feind aus seinem Versteck locken will. Du bist hier nicht im Urlaub und auch ganz sicher nicht zuhause. Wir beide haben einen geschäftlichen Deal, mehr nicht. Wenn dieser vollzogen ist will ich sowieso das du umgehend verschwindest. Wohin ist mir egal, hauptsache du bist weg."

Ich überragte sie um mindestens einen Kopf als ich dicht vor ihr stand und anstatt so zu reagieren wie sonst - den Kopf einzuziehen und zu verschwinden - blieb sie stehen, als seien ihre Beine fest mit dem Boden verwurzelt. Ihre bloße Anwesenheit provozierte mich.

"Arschloch."

Ophelia drehte sich zur Tür und wollte gehen, aber diesmal war ich es, der sie nicht gehen ließ. Gegen die Wand gedrängt hatte sie keine andere Chance als mich anzusehen. "Ja, ich bin ein Arschloch. Aber dieses Arschloch hält dich am Leben. Lass mich meine Entscheidung nicht bereuen."

Ich stieß mich von der Wand ab und fast sofort ergriff sie ihre Chance um mein Zimmer zu verlassen. Ich atmete hektisch als sei ich meilenweit gerannt, dabei war es bloß diese eine Begegnung die mich innerlich rasend werden ließ.

Trotz meiner Müdigkeit entschied ich mich schließlich dann doch, Dampf abzulassen und in den Club zu gehen. Das brauchte ich jetzt mehr denn je.

Es dauerte nicht lange bis sich eine Frau praktisch anbot mit mir nach Hause zu kommen. Ich sparte mir den Smalltalk, führte sie direkt in mein Zimmer und nagelte sie in meinem Bett fest, wie schon zig Frauen zuvor. Dabei knallte das Kopfteil heftig gegen die Wand und vermischt mit den lauten aus dem Mund der Fremden vertrieb es meine düsteren Gedanken und hielt mich wie in einer Art Trance.

Aber trotz alledem war mein Scharfsinn gegenüber meiner Umgebung nach wie vor gegeben... Und die Tür zu meinem Zimmer, auch wenn sie nur leise geöffnet wurde, war mir nicht entgangen.

Ich musste nicht hinsehen um Ophelia zu entdecken. Ich wusste sie ist da. Sie stand dort an der Tür, spähte durch den kleinen schmalen Spalt wie ein Spanner der anderen beim vögeln zusah. Was auch immer sie damit bezweckte, es war mir egal.

Diese Frau war mir völlig egal und es war ein Graus sie um mich zu haben... Trotzdem ließ ich sie zusehen.

BLOODLINE : CameronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt