Neunundzwanzig

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Es war nicht alles vergeben und vergessen.
Ein Teil dessen, was Vater getan hatte konnte ich nicht einfach so verzeihen. Es gab kein "Ach scheiß drauf, halb so wild" Geplänkel von mir. Er brauchte Hilfe, ernsthafte Hilfe.

Mehrere Gespräche mit ihm führten anfangs dazu das er dicht machte. Er wollte sich partout nicht eingestehen das er fest hing, doch Ophelia und ich gaben nicht auf. Sie war die treibende Kraft und ich vermutete es war, weil sie ihren Vater bereits verloren hatte. Sie wollte nicht das ich meinen auch noch verlor.

Im Gegensatz zu mir hatte sie ihm verziehen. Sie betrachtete ihn nicht länger als Feind oder als Gefahr sondern eher als jemanden, der trauerte und keinen anderen Kanal oder kein anderes Ventil hatte um seine Trauer zum Ausdruck zu bringen, als wild um sich zu schlagen. Mir war oft nicht wohl dabei ihn mit ihr alleine zu lassen, aber ich hatte Vertrauen in sie das sie das notwendige tun würde, wenn es darauf ankam.

So vergingen Wochen und Monate in denen wir eine Sitzung nach der anderen bei berühmten und derart teuren Therapeuten verbrachten, um das aufzuarbeiten was passiert war. Zu Beginn waren wir nur zu dritt, doch je länger alles andauerte und je öfter Vater in meinem Haus zu Gast war, desto mehr kristallisierte sich eine weitere Verbündete heraus, die uns schließlich begleitete : Anya. Sie kannte meinen Vater schon länger und die beiden hatten während seiner Rachegelüste und Transformation zu einem Monster Abstand gehalten, aber nun war sie immer bei ihm und unterstützte ihn. Es tat gut zu sehen, wie er auch mal über einen Witz lachen konnte, wie er bei Gesprächen mit Anya über endlos langweiliges und belangloses Zeug sogar Neugierde und Interesse zeigte.
Er begann sich zu verändern, wieder der zu werden, der er einst war.

Und das war gut.

"Hast du mitbekommen wie Matheo heute gekleidet war? Er hat sich raus geputzt." nuschelte Ophelia mit der Zahnbürste im Mund, während sie in unserem Schlafzimmer auf und ab lief. Ich lag auf dem Bett, hatte die Beine übereinander geschlagen und das Tablet in der Hand um zu arbeiten. "Hm-mh." murmelte ich und konzentrierte mich weiter auf die Tabellen vor mir. Was Ophelia dann sagte hörte ich gar nicht mehr, weil ich viel zu abgelenkt war. "Cameron!" zischte sie und ich hob schließlich meinen Kopf. "Du hörst mir gar nicht zu."

"Doch... Doch... Ich muss nur das hier fertig bekommen." gab ich zurück und hob entschuldigend das Gerät an. Ophelia ließ sich davon aber kaum beeindrucken und verschwand kurz im Bad, nur um dann vollkommen nackt vor mir zu stehen. "Okay... Dann mach du das da fertig während ich mir meine Langeweile etwas versüße..."

Okay... Meine Konzentration bröckelte immens aufgrund der Verführung dieser unfassbar raffinierten Frau. Sie hatte mich gelockt und in ihrem Spinnennetz gefangen genommen. Ich setzte mich etwas auf, legte das Tablet zur Seite und lehnte gegen das Kopfteil. Ich musste kein Wort sagen, es genügte sie anzusehen.

Und dann bot sie mir eine Show, die meine Hose fast zum platzen brachte...

Am nächsten Morgen kam ich frisch geduscht und rasiert in die Küche, blieb aber abrupt stehen. Ich hatte nicht mit meinem Vater gerechnet, der vor einer Tasse Kaffee saß. Seine Augen waren auf Anya gerichtet, sodass er gar nicht mitbekam wie ich mich dem Tisch näherte an dem er saß. Anya hingegen war mit dem Rücken zu uns gewandt und arbeitete.

Als ich mich räusperte fuhr er vor Schreck herum und starrte mich schuldbewusst an. Er trug einen seiner besten Anzüge, war ebenfalls frisch rasiert und es schien als hätte er ein wichtiges Meeting oder ähnliches, aber er machte keine Anstalten aufzubrechen. "So früh schon hier?" fragte ich beiläufig und begrüßte Anya während ich mir eine Tasse Kaffee holte.

"Ja, ich, äh,... Also ich wollte... Ich dachte..." er verhaspelte sich immer mehr. In diesem Moment kam Ophelia in die Küche und ich verkniff mir einen blöden Kommentar. Sie begrüßte meinen Vater, ging dann zu Anya und grüßte auch sie, ehe sie auf mich zu kam - mit einem Kaffeebecher für unterwegs - und mir einen Kuss aufdrückte. "Ich bin spät dran. Wir sehen uns nachher." sagte sie und huschte davon. Ich sah ihr nach, bemerkte dann das Vater mich beobachtete. "Was?" fragte ich harsch und setzte mich an den Tisch.

"Ich kenne diesen Blick." sagte er schlicht, hob seine Tasse und versteckte dahinter sein dümmliches grinsen - das sich aber kurz darauf auch auf meinem Gesicht zeigte. Ja, es war anders seit Ophelia in meinem Leben war - und genau das war auch gut so.

Als ich spät am Abend nach Hause kam empfing mich die Frau in meinem Leben in schwarzer Spitzenunterwäsche mit einem koketten Lächeln auf den Lippen. "Was ist hier los?" fragte ich und lächelte ebenfalls, ehe ich meine Krawatte lockerte. Es war verführerisch, verlockend. "Wir haben das Haus für uns. Anya hat ein Date." erwiderte Ophelia und zog mich dicht an sich heran. "Das heißt wir können es überall treiben."

"Warte, sie hat ein Date?"

"Ja, Cameron. Auch ältere Menschen daten." scherzte sie. Mein verwirrter Gesichtsausdruck ließ sie aber dann doch innehalten. "Ich wollte ja mit dir darüber reden aber du warst zu beschäftigt. Ich glaube das Matheo und Anya miteinander ausgehen."

Die Luft in meinen Lungen war schlagartig verschwunden. Es war als hätte ich einen Aussetzer, wie einen Blackout. "WAS?" schrie ich fast. Ophelia hatte mit dieser heftigen Reaktion offenbar nicht gerechnet und nahm etwas Abstand. Ich hingegen entschied mich für einen Drink, stürmte das Regal regelrecht und kippte ein Glas teuren Scotchs direkt herunter. Als ich nach schenkte hörte ich, wie Ophelia sich enttäuscht von mir ab wandte. "Ich gehe dann mal hoch und lass dich allein."

Ich folgte ihr nicht.
Ich konnte nicht.
Ich musste das alles erstmal verdauen... Irgendwie.

BLOODLINE : CameronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt