KAPITEL 6

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L I A     P. O. V.

“Und Piqué, balancé. Soutenu. Sissonne doublée. Relevé. Chainés. Und Abschluss!”, hallte die Stimme meiner Ballettlehrerin durch den Tanzsaal.

Meine Ballettlehrerin war wie die Hand, die die Fäden der Marionette zieht. Und die Marionette waren ihre Schüler. 

“Das war's für heute. Bis nächsten Freitag”, verabschiedete sie uns und gab uns somit die Erlaubnis, unseren Körper zu entspannen. Alle setzten sich schwer atmend auf den Boden und befreiten ihre Füße von den Spitzenschuhen. 

Wir waren besser als erwartet.

“Lia”, kam meine Lehrerin auf mich zu, “ich muss mit dir sprechen.”

Der Teufel will mit uns reden.

Das kann ja was werden.

Meine Lehrerin wartete, bis alle anderen Schüler den Saal verlassen hatten und deutete mir dann aufzustehen. 

“Was ist los?”, fragte ich und hoffte, dass ich mich nicht doch überschätzt habe und sie mir eine Standpauke verpassen will. 

“Du weißt ja, dass in zwei Wochen Schwanensee in Paris aufgeführt wird.” 

Wie könnte ich das vergessen? Ich war die Zweitbesetzung der Odette. Es war eine große Ehre. Nur war es, als würde man vor Augen gehalten bekommen, was man hätte haben können, wäre man nur etwas besser. Ballett stand bei mir nie und nimmer an erster Stelle. Es war ein Hobby und zugleich eine Leidenschaft. Doch es gab Tänzer, die ihr Leben lang nichts anderes taten und es auch zu ihrem Beruf machten. Es war also logisch, dass ich lediglich eine Nebenrolle oder Zweitbesetzung ergattern konnte - wenn überhaupt. Und das war auch immer völlig okay und nachvollziehbar für mich. Es wäre nur eine zu schöne Vorstellung, ein einziges Mal in Paris auf einer Bühne tanzen zu dürfen. 

“Ja, ich erinnere mich”, antwortete ich also und verstand nicht ganz, worauf sie hinaus wollte. Bis sie mir ein vielversprechendes und stolzes Lächeln schenkte. “Der Organisator hat angerufen. Sie wollen, dass du die Rolle der Odile übernimmst.”

“Odile?” Verwirrung machte sich in mir breit. “Ich soll den schwarzen Schwan tanzen? Aber die Rollen Odette und Odile werden doch von derselben Person als Doppelrolle getanzt. Das war schon immer so. Wieso sollten sie die Rollen aufteilen und Odile mir geben?”

Meine Lehrerin zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht genau. Sie sagten, du und Odettes Besetzung erschaffen einen schönen Kontrast und sie wollen mal etwas anderes ausprobieren.”

Erst als ich mich mit der Erklärung abfand, realisierte ich, was das eigentlich für mich bedeutete. “Oh mein Gott. Das heißt... ich werde in Paris tanzen?”

Meine Lehrerin nickte und ich hätte vor Freude in die Luft springen können. Das war eine wahnsinnige Gelegenheit. Meine Lehrerin tätschelte meine Schulter und sagte: “Dein Kostüm bekommst du dann dort. Bis es soweit ist - gönn deinem Körper viel Ruhe, okay?”

Ich nickte, ehe sie von mir abließ und ich mit einem stolzen Grinsen in die Umkleidekabine ging. 

- - -

“Schachmatt”, sagte ich und bewegte meinen Springer auf dem Schachbrett. Kate fluchte und warf die Hände in die Luft. “Verdammt. Scheiße, du hast betrogen.”

“Hab ich nicht”, sagte ich schmunzelnd und lehnte mich auf dem Sofa zurück. Kate studierte weiter das Schachbrett, ob sie nicht doch noch eine Möglichkeit hatte.

Hat sie nicht. Da soll noch einmal jemand sagen, ich sei ein schlechter Verlierer.

Nach kurzer Zeit schnaubte Kate frustriert aus und packte das Schachbrett weg. Es fühlte sich gut an, Zeit mit ihr zu verbringen. Das hat es schon immer. Doch jetzt war es noch viel wichtiger, da sie so ziemlich die einzige war, die mich auf andere Gedanken bringen konnte. Und das ganz unabsichtlich. Immerhin wusste sie weder, dass die Mafia in der Stadt war, noch, dass ich einen ihrer Leute aus dem Gefängnis befreit habe. Und sie hatte außerdem keine Ahnung, dass sich vor wenigen Stunden einer von Jacks Männern als unser neuer Professor ausgegeben hat. 

Mafia RipperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt