KAPITEL 10

6K 138 41
                                    


L I A     P. O. V.

Die Nacht verlief relativ schlaflos. Die meiste Zeit lag ich in “meinem” Bett und dachte über meine Überlebenschancen nach. Flüchten war keine Option. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Bis ein geeigneter Zeitpunkt kam, konnte ich nichts anderes tun, als meinen Aufenthalt so erträglich wie möglich zu machen. Ich musste also versuchen, wenig Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Am besten gar keine. 

Ich bleibe einfach die ganze Zeit in diesem Zimmer.

Das klappt doch nie.

Wieso? Hier drin ist alles, was ich brauche. Ein Bett, ein Badezimmer, Klamotten und---

Was zu Essen?

Der menschliche Körper kann im Extremfall über einen Monat ohne Nahrung auskommen. Bis dahin bin ich hoffentlich wieder zu Hause. 

Mein Plan stand also fest. Solange ich Jack oder die anderen nicht sah, konnte ich auch nichts falsch machen und sie verärgern. Ich würde meine Rache zwar gerne ausüben, indem ich Jack die letzten Nerven raube, doch ich bezweifelte, dass das funktioniert. Bevor er auch nur einen Nerv an mich verschwendet, schießt er mir vermutlich noch in den Arm oder gleich ins Bein. Ich musste also auf meine süße Rache warten. Doch das war es mir wert, wenn es hieß, ihn dann hinter Gittern zu sehen.

Ich hatte mir heute Morgen reichlich Zeit im Badezimmer gelassen. Ist ja nicht so, als hätte ich große Pläne. Frisch angezogen legte ich mich - die Arme und Beine ausgestreckt - aufs Bett und starrte an die Decke. Ich hörte die Uhr ticken und lauschte nach anderen Geräuschen. Nichts. 

Trotz der Tatsache, dass ich von der Mafia entführt wurde, machte sich das Gefühl von Langeweile in mir breit. Ich war froh, solange ich alleine in diesem Zimmer war. Doch beschäftigen konnte ich mich auch nicht wirklich. Ich hatte bereits jedes einzelne Kleidungsstück anprobiert. Jedes einzelne Parfum getestet. Alle Einstellungen der Regendusche ausprobiert. Jeden Fleck Landschaft aus dem Fenster beobachtet. Und jeden einzelnen verdammten Zentimeter des Zimmers untersucht. Irgendwann wurde mir so langweilig, dass ich sogar begann, Pirouetten zu drehen. Der Teppichboden war nicht gerade geeignet dafür, doch es ließ die Zeit schneller vergehen. 

Das Klopfen an der Tür war so leise, dass ich es fast überhörte. Sofort unterbrach ich die Drehung und festigte meinen Stand. “Herein?” Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt wollte, dass jemand eintrat. Doch als eine kleine alte Frau ins Zimmer kam, entspannte sich mein Körper wieder. Sie trug einen Stapel Handtücher in ihren Händen und trug einen kleinen Korb bei sich. 

“Guten Tag, meine Liebe”, begrüßte sie mich mit zärtlicher Stimme, “Mein Name ist Mrs. Wheeler. Du kannst mich aber Mary nennen. Ich bin für dich zuständig.”

Ich zog eine Augenbraue hoch. “Zuständig?”

Mary nickte. “Ich kümmere mich im Anwesen um die Zimmer.”

Ich saß mich zurück aufs Bett. “Wie in einem Hotel?” Wieder nickte Mary. Ich schwieg kurz, traute mich aber dann zu fragen: “Hat Jack Sie geschickt, oder...?”

“Was ich hier mache, ist Routine”, erklärte sie und legte die Handtücher neben mir auf dem Bett ab, “Aber er sagte mir, dass ich ihnen das bringen soll.” Mary stellte den Korb, den sie mit sich trug, auf dem Tisch ab und räumte einige Sachen raus. 

Sieht ganz so aus, als müssten wir doch nicht einen Monat hungern.

Ich stand auf und stellte mich neben sie, als ich das Essen betrachtete. “Er will also doch nicht, dass ich verhungere”, sagte ich und griff nach einem Apfel. 

Mafia RipperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt