Kapitel 3

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Nach einer Nacht, in der Khione geplagt von Albträumen mehrmals aus dem Schlaf schreiend hochfuhr, erwachte sie am Morgen, als sie eine Hand auf ihrer Stirn spürte. Sekunden später wurde die Wärme von einer Kälte ersetzt, die Khione schaudern ließ. Fest presste sie ihre Lippen zusammen und schlug langsam die Augen auf. Vom Eingang des Zeltes blendete sie ein gleißendes Licht, das sie blinzeln ließ.

Neben ihr kniete Sabah, die scheinbar die gesamte Nacht nicht von ihrer Seite gewichen war. „Du wach?", fragte sie mit der gleichen, sanften Stimme wie zuvor. Wann immer Khione aufgewacht war, hatte Sabah versucht, sie zu beruhigen. Sogar gesungen hatte sie in der fremdländischen Sprache, sodass eine Mischung aus dunklen, tiefen und hohen Tönen Khione regelrecht in den Schlaf begleitet hatte.

In Zeitlupe richtete sich Khione auf, wobei das eiskalte Tuch auf ihrer Stirn verrutschte und fast in ihren Schoß fiel. Gerade noch rechtzeitig fing sie es auf und betrachtete den gräulichen Leinenstoff. Vorsichtig fuhr sie mit den Fingern darüber und stellte fest, wie rau er war. An den Rändern franste er aus, weshalb sie davon ausging, dass er bereits einige Jahre in Gebrauch war.

Prompt schossen ihr Tränen in die Augen, die ihr die Sicht vernebelten. Mit einem ähnlichen Tuch hatte sie die Leichen ihrer Eltern bedeckt, um dem grausamen Anblick zu entgehen und ihnen die letzte Ruhe zu schenken. Mehr hatte sie nicht tun können, da die Entführer sie grob weggezogen hatten.

Das Bild ihres kopflosen Vaters ließ Khione schwer schlucken und ihre Hände fingen zu zittern an.

„Wie es dir gehen?"

Sabahs weiche Stimme holte Khione in die Gegenwart zurück. Blinzelnd sah sie die Frau an und zuckte leicht mit den Schultern. Trotz der gebrochenen Sprache verstand sie, was gefragt wurde. „Ich weiß es nicht", flüsterte sie weiterhin mit den Bildern des Massakers kämpfend. Müde rieb sie sich die Augen und reichte Sabah das nasse Tuch.

„Trinken und Essen?" Gleichzeitig neigte sie den Kopf zur Seite und zeigte auf den Holzkelch, der neben einer Wasserschüssel stand.

„Was ist das?", fragte Khione argwöhnisch auf den Inhalt sehend. Der Farbe nach stammte die Flüssigkeit aus einem schmutzigen Loch und es roch genau danach.

„Kraut. Das dich gesund machen", erklärte Sabah und hielt ihr auffordernd den Kelch hin. „Ich holen gehe Essen, so du gesund."

Zweifelnd wägte Khione ab, ob sie es trinken sollte, aber da dieser Makhah ihr versichert hatte, sie freizulassen, sobald sie genesen war, musste sie wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Nur der Ausblick auf frühzeitige Freiheit bewog sie dazu, nach dem Kelch zu greifen und wie in der Nacht daran zu schnuppern.

Sabah lächelte ihr zu und erhob sich. „Was du essen? Fleisch? Beeren?"

„Danke, aber ich habe keinen Hunger", wehrte Khione ab. Wenn die Getränke schon so gewöhnungsbedürftig und unrein waren, wollte sie nicht wissen, wie das Essen zubereitet wurde.

„Du essen müssen! Sonst nicht stark werden!", behauptete Sabah eifrig. „Fleisch stark machen. Beeren gesund sein."

Der Übereifer der Frau ließ Khione zögern. Sabah schien danach bestrebt zu sein, ihr Essen anzudrehen, und sie fragte sich, ob es ihre Natur oder ein klarer Befehl von Makhah war.

„Ich beides holen, dann du können entscheiden", bot Sabah an.

„Danke", erwiderte Khione erleichtert und verfolgte die Frau mit ihrem Blick, als diese auf den Zelteingang zuging.

„Ich gleich wieder da."

Kaum verschwand Sabah, seufzte Khione leise und griff nach dem Kelch mit der fragwürdigen Flüssigkeit. Genau wie in der Nacht roch es bitter und schmutzig. Dennoch überwand sie ihren Ekel, hielt den Atem an und nahm einen Schluck. Schaudernd stellte sie das Behältnis zur Seite und schüttelte den Kopf. Den Hexentrunk brachte sie auf keinen Fall hinunter! Der Geschmack war widerwärtig und selbst Khiones elender Durst und die am Gaumen klebende Zunge würde sie nicht zum Trinken bringen! Hoffentlich war das Essen genießbarer.

Araki - Krieger des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt