Kapitel 35

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In den darauffolgenden Tagen wurde Makhahs schlechte Gewissen unerträglich. Wann immer er Khione sah, wünschte er sich, die Zeit zurückdrehen zu können. Asku passte auf, dass er ihr nicht zu nahe kam, doch er bemerkte, wie leer und dunkel ihr Blick war. Im Gespräch mit Inyan erfuhr er, dass sie sich nur noch auf stumme Kommunikation beschränkte und nicht mehr lächelte.

Makhah hatte einen Verdacht, warum sie ihre Haare abgeschnitten hatte, und der mögliche Grund schmerzte ihn: er. Die restlichen Haare standen wirr in alle Richtungen ab und unterstrichen ihren Zustand, der sich verschlechterte. Khione magerte ab und ihr Gesicht fiel ein. Laut Asku aß sie nichts und trank nur in der Nacht, wenn sie sich im Fluss wusch. Wie ungesund das Verhalten war, verstand Makhah auch ohne Pahras Urteil. Bisher hatte die Heilerin keinen Erfolg, Khione zu behandeln. Er hatte große Sorge, da sie bei den Temperaturen schutzlos vor der Kälte im Stall schlief. Zwar hatte er ihr Felle und Decken bereitgelegt, doch diese blieben unberührt.

Nach der Jagdnacht – in der er das erste Mal zuhause blieb – verrichtete Khione wie immer die Tätigkeiten, die danach anfielen. Sie half, die erlegten Tiere zu verarbeiten und wenn sie etwas nicht verstand oder falsch machte, hielt sie es den Frauen stumm entgegen. Die weiblichen Arakis drängten sie nicht zum Sprechen, sondern unterstützten sie, indem sie geduldig und freundlich blieben. Genau wie am Anfang, als Khione ihre Sprache noch nicht beherrschte.

Waren ihre Arbeiten verrichtet, zog sie sich zum Gerberunterstand zurück. Makhah vermutete, dass sie einen möglichst großen Abstand zu ihm haben wollte. Er respektierte es, doch es fiel ihm zunehmend schwerer, sie leiden zu sehen. Wie sollte er ihr so beweisen, dass sie ihm etwas bedeutete?

Weiterhin wartete er vergeblich auf einen Vortrag von Pahra, wenn er seine Schwester besuchte. Dadurch kreuzten sich ihre Wege öfter. Langsam erholte sich Sabah von der Lungenentzündung, musste aber das Bett hüten und wurde fuchsteufelswild, als sie von Makhahs Tat erfuhr. Im Gegensatz zur Heilerin sparte sie nicht mit den Worten und Vorwürfen, nach denen er sich gesehnt hatte. Sie stachen wie glühende Messer in sein ohnehin schmerzendes Herz, doch das geschah ihm recht und war nichts im Vergleich zu dem, was er Khione angetan hatte.

Makhah besuchte in der Zeit sogar Sorin, dem es dank Pahras Tränken allmählich besser ging. Da Yakari Zeuge des Vorfalls war, würde er bei der Verhandlung angehört werden. Bis dahin blieben die Arakis aus dem anderen Terikan und die drei Sheikahs in Pah Koha. Was danach mit ihnen geschah, lag nicht mehr in seinen Händen.

Vier Tage nach seiner Tat zogen Kabiha und Tehew ihn zur Seite und gaben endlich bekannt, dass die Versammlung bezüglich Makhah am Abend stattfand. Da sich Khione nicht behandeln ließ, zögerten sie es nicht weiter hinaus.

Das kam Makhah recht. Einerseits war er erleichtert, nicht lange warten zu müssen, andererseits hatte er Angst vor der Verurteilung. Er, der erhabene und sonst furchtlose Shiharu der Arakis, hatte Angst. Da ihm bewusst war, dass er danach keine Flöte mehr spielen konnte, zog er sich kurz nach dem Mittag in die Nähe des Gerberunterstands an den Fluss zurück und ließ sich auf einem Stein nieder.

Sobald er das Holzinstrument aus seiner Tasche zog, kamen die Erinnerungen in ihm hoch. Khione, wie sie sich anfangs immer anschlich und nicht gesehen werden wollte. Khione, wie sie im Wasser stand und sich zuerst weigerte herauszukommen, und dann doch nachgab. Khione, wie sie ihm mit geschlossenen Augen zuhörte und ein Lächeln auf den Lippen trug, als wäre sie mit sich und der Welt zufrieden ... So, als ... würde sie Gefühle für ihn entwickeln.

Allein die Gedanken sorgten für einen dicken Kloß in Makhahs Hals. Unwirsch wischte er sich die Feuchte aus den Augen und starrte auf einen Punkt im Wasser. Er war so dumm gewesen ... so unglaublich dumm. Warum hatte er seine Gefühle für sie ausgeblendet und sich von Zorn und Hass leiten lassen?

Mit bebenden Lippen fing er an zu spielen und er konnte nicht verhindern, wie sich Tränen unaufhaltsam hinter seinen Augenlidern hervordrängten. Insgeheim hoffte er, Khione mit dem Flötenspiel anzulocken, doch selbst nach einer Weile kam niemand. Irgendwann gab Makhah auf und steckte seine Flöte zurück in die Tasche. Er würde sie Khione schenken, da er keine Verwendung mehr dafür hatte. Vielleicht würde sie damit ein paar schöne Erinnerungen verknüpfen ...

Leise seufzend stand er auf und sah aus einiger Entfernung Khione, die das Hirn in die Rohhaut einarbeitete. Selbst von seinem Standpunkt aus sah er, wie angespannt sie war und deutlich mit Schmerzen kämpfte. Ob sie sich nach der Verhandlung versorgen ließ? Er bezweifelte es, doch er legte seine ganze Hoffnung in Sabahs Hände. Seine Schwester war geschickt mit Worten und würde sicher keine Ruhe geben.

„Göttin Inara ... bitte hilf Khione. Lege mir jede Strafe der Welt auf, nur bitte lass sie nicht leiden ...", murmelte Makhah mit einem Blick in den Himmel, ehe er sich umdrehte und zurück zur Burg lief. Es war Zeit, sich auf sein Schicksal vorzubereiten ...

Araki - Krieger des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt