Kapitel 27

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Bleischwere, dunkle Wolkenberge verhüllten die Spitzen der Aevaria-Berge und brachten einen dichten Nebel in das Tal, das die Gruppe nach dem Aufbruch am Morgen verlassen hatte. Der Anblick war so surreal und gleichzeitig faszinierend, weshalb Khione immer wieder einen Blick nach unten warf. Wie es wohl war, durch Wolken zu reiten? Waren sie spürbar oder nur sichtbar?

Das und viele weitere Fragen drängten den vergangenen Abend in den Hintergrund. Seitdem blieb Khione ihrem Mann gegenüber wortkarg und zeigte ihm die kalte Schulter, obwohl er sich normal benahm. Sie warf ihm doch auch nicht vor, ihr fremdzugehen, weil er seine Geliebte verloren hatte! Es gab keinerlei Grund für ihn, eifersüchtig zu sein, aber sie war sich sicher, dass er das Ganze anders sah. Sollte sie deshalb auf die Stunden bei Asku und Kagaiye verzichten, damit Makhah beruhigt war? Als Shihara hatte sie das Recht und die Pflicht, mit den Arakis zu kommunizieren. Da sie einiges zu lernen hatte, kam es zu den Unterrichtsstunden. Daher sah Khione nicht ein, nur wegen ihm diese einzustellen. Obwohl sie anfangs nicht davon begeistert war, waren sie nun ein beständiger Teil ihres Lebens.

Nein, das werde ich nicht, dachte sie mit einem nachdenklichen Blick auf seinen Rücken. Wie gewöhnlich ritt er an der Spitze und führte die Gruppe sicher über den engen Bergpfad. Auf seinem Haar hatte sich Reif gebildet, das trotz der fehlenden Sonne glänzte. Selbst die Feder am Hinterkopf bekam dadurch etwas Erhabenes. Merkwürdig, wie majestätisch er war. Wie ein echter König, was er für die Arakis auch war. Zumindest setzte sie das Wort Shiharu mit der Bezeichnung gleich.

Khione unterdrückte ein Gähnen und grub ihre Finger in Sakaris Mähne. Darunter war es angenehm warm und tröstend. So viele Sätze hatten sich in der Nacht in ihrem Kopf abgespielt, die sie hätte Makhah vorwerfen können, aber es lag ihr fern, ihn in seiner Trauer um Ahyoka zu verletzen.

„Trauer ist etwas Natürliches, das nicht gegen einen verwendet werden sollte", hatte ihr Vater immer zu ihr gesagt, als ihre Mutter durch die Fehlgeburt in eine dunkle Phase gefallen war. Der Vorfall hatte ihre Arbeitskraft stark beeinträchtigt. Oft hatte sie im Haus gesessen, vor sich hingestarrt und nicht auf Worte reagiert. Das hatte manchmal bei Khione sauer aufgestoßen, da vieles an ihr hängenblieb und sie nicht mehr wusste, wie sie alles bewältigen konnte.

„Vater hatte recht", murmelte Khione und rieb sich die Augen. Diese brannten durch zu wenig Schlaf und sie bemerkte, wie sie müder wurde, je höher sie ritten. Leicht streckte sie ihre Glieder und gab dem Drang des Gähnens nach.

„Hast du etwas gesagt, Khione?", fragte Makhah mit einem Blick über die Schulter.

„Nein", erwiderte sie kühl und fuhr sich seufzend durch die Haare, ehe sie Sakaris dunkelbraunen Hals sachte klopfte. Die Stute war so ruhig wie Halona und ein wahrer Traum zum Reiten. Ihre Gänge waren ausgeprägter und sie reagierte auf jede noch so kleine Geste. Erneut seufzte Khione. Es war aussichtslos. Durch ihre Müdigkeit war sie nicht in der Lage, vernünftig zu reiten. Das Letzte, was sie wollte, war, Sakari durch ihre Unaufmerksamkeit zu gefährden. Daher sah sie sich gezwungen, einzulenken. So schwer es ihr fiel, sie bat Makhah darum, bei ihm mitzureiten. So, wie er es vorgeschlagen hatte.

Überrascht nickte Makhah, hob seine Hand und brachte Denali zum Stehen. Sofort gaben Asku und Tehew den anderen weiter, dass sie stehenblieben. Hinter sich hörte er fragendes Murmeln, auf das er keine Antwort gab. Stattdessen wartete er, dass Khione an seine Seite kam. Er hatte nicht erwartet, dass sie sich überwinden würde. Schon am Morgen war ihm aufgefallen, dass sie ihre Augen kaum aufhalten konnte und immer wieder gähnte.

„Wer nimmt Sakari als Handpferd?", fragte Khione, sobald sie neben ihm stand.

„Gib sie Asku", antwortete Makhah und drehte sich so auf Denali um, damit er sie beobachten konnte. Sie wechselte ein paar Worte mit seinem Freund, der daraufhin nickte und ihm einen Blick zuwarf. Anschließend kehrte sie zurück und sah unschlüssig zu ihm hoch. Er ahnte, was in ihrem Kopf vorging, und hielt ihr die Hand hin. „Ich zieh dich hinauf", bot er an.

Sekundenlang zögerte sie, bis sie langsam seine Hand nahm. Makhah rückte ein kleines Stück nach hinten und zog sie hoch. Ihm entging nicht, wie sie zusammenzuckte und sich versteifte, doch sobald sie vor ihm saß, wurde sie lockerer. Dennoch wartete er auf ihr Zeichen, dass sie weiterreiten konnten. Erst dann hob er die Hand und legte leicht seine Unterschenkel an Denalis Bauch. „Es geht weiter!", ließ er Asku und Tehew wissen, die es den anderen weitergaben. Makhah fasste die Zügel nach und trieb seinen Hengst an.

In einem gleichmäßigen Tempo schritten sie den engen Pass voran, doch je höher sie kamen, desto kühler wurde der Wind. Denali schnaubte und spielte aufmerksam mit den Ohren, da er vermutlich genau wie Makhah deutlich Khiones Zittern bemerkte. Die junge Frau saß schweigend vor ihm und schien mit der Kälte zu kämpfen. Bisher lagen seine Arme nur locker um sie, um ihr Freiraum zu geben, doch jetzt umarmte er sie mit den Zügeln in der Hand und drückte sie an seine Brust. Sofort wurde sie steif, aber nach wenigen Minuten legte sich ihr Misstrauen und sie lehnte sich leicht gegen ihn. Es war, als würde sie sich an ihn kuscheln. Das schien ihr zu helfen.

In dem Moment wurde Makhah von der tiefen Sehnsucht nach Ahyoka ergriffen. Wie sich ihr bezaubernder Körper an ihn schmiegte und sie sich gegenseitig wärmten ... Er erinnerte sich genau daran, wie seine Geliebte vor ihm auf Denali saß und sie gemeinsam den Sonnenuntergang betrachteten. Ihre Hand war in seinem Nacken und ihr Kopf lag an seiner Schulter. Liebevoll sah sie zu ihm hoch und lächelte. Ihr Lächeln glich dem einer Göttin. Sie war so friedvoll, rein und ehrlich. Leise sprachen sie miteinander und tauschten Zärtlichkeiten aus. Makhah drückte ihr einen Kuss an die Schläfe und versenkte seine Nase in ihrem Haar. Tief atmete er ihren Duft ein ... und wurde in die Gegenwart zurückgeholt.

Das hier war nicht Ahyoka. Es war Khione, die sich halb schlafend an ihn kuschelte. Blinzelnd ließ Makhah von ihrem Kopf ab und presste die Lippen aufeinander. Was war nur in ihn gefahren? Er versuchte sich einzureden, dass die beiden Frauen nichts gemeinsam hatten, doch die Tierliebe und der Umgang mit anderen war verblüffend ähnlich. Genau das war das Problem. Er wurde damit öfter konfrontiert, als ihm lieb war.

Wie sollte er jemals ohne sie zurechtkommen? Sie war sein Anker, sein Friede und seine Welt gewesen. Ihre Liebe hätte ewig halten sollen! Stattdessen hatten ihn die Götter an Khione gebunden. Eine Sheikah, die er nicht liebte, sondern nur annahm. Dennoch stellte Makhah fest, dass er sie so weit mochte, um sie als seine Frau zu akzeptieren. Sie hatte sich scheinbar auch damit abgefunden. Das vereinfachte das Zusammenleben, erschwerte es aber gleichzeitig, da sie ihn ständig an Ahyoka erinnerte.

Für einen Moment sah er auf Khione und seufzte leise. Als sie etwas Unverständliches nuschelte, atmete Makhah tief ein und griff langsam in seine Tasche. Er musste sich unbedingt ablenken und auf andere Gedanken kommen ...

Araki - Krieger des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt