Kapitel 9

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Mit dröhnendem Kopf wachte Khione auf und bemerkte als erstes die schweren Felle über ihr, die ihre Kälte aus dem Körper vertrieben. Zwischen dem Dröhnen nahm sie das Knistern eines Feuers wahr. Die Wärme war angenehm und sie rutschte ein Stück weiter unter die schützende Hülle, hielt aber abrupt inne, als sie Geräusche hörte, die ihr bekannt vorkamen. Augenblicklich verdreifachte sich ihr Herzschlag, doch sie wagte es, ihre Augen zu öffnen und sah in ein Gesicht, das sie nicht mehr sehen wollte.

Nein ... nein, das durfte nicht wahr sein! Wie war das möglich?

Mit einem Ruck saß Khione aufrecht und presste die Felle an sich, da sie keine Kleidung trug. Neben ihr lag Makhah, der sie aus undurchdringlichen Augen musterte. Eilig sah sie zum Eingang des Khemah, dessen Plane teilweise zur Seite geschoben war und das Tageslicht hereinließ. Dann sah sie wieder zum Oberhaupt und schluckte den Kloß im Hals hinunter. Hatte er sie etwa ...?

Sie horchte in sich hinein und stellte erleichtert fest, dass sie außer den Kopfschmerzen und der Wunde an der Schulter unversehrt war. Khione ließ eine Hand unter das Fell verschwinden und tastete sich zwischen den Beinen ab. Dort war sie trocken, aber kalt.

Langsam richtete sich Makhah auf, wobei seine Seite des Fells auf seinen Schoß rutschte. „Du bist wirklich dümmer, als ich angenommen habe", brummte er und räusperte sich. „Glaubst du, dass dein Sturz in den Fluss mich davon abhält, dich zurückzuholen?"

Khiones Wangen fingen zu brennen an. Er hatte ihre Absicht durchschaut und schien deswegen grimmig zu sein. Sie hingegen ärgerte sich, dass ihr Plan nicht aufgegangen war, weil sie ihn unterschätzt hatte. „Du hast mich ... gerettet?", fragte sie ungläubig und rutschte ein Stück von ihm weg, als Makhah schnaubte.

„Wenigstens scheint das Wasser deinen Kopf erfrischt zu haben", murrte er und fuhr sich durch seine schwarzen Haare. „Pahra meinte, wir sollten uns aufwärmen und da du völlig nass warst, hat sie uns unter Felle gesteckt. Jetzt ruh dich aus, damit wir übermorgen nach Pah Koha aufbrechen können."

Khione zögerte und versuchte, sich unauffällig aus der wärmenden Hülle zu befreien. Sie rutschte weiter von Makhah, doch bevor sie außer Reichweite war, packte er ihr Handgelenk und sah sie eindringlich an.

„Du bleibst."

„Lass mich gehen", wisperte sie. „Ich komme allein zurecht und brauche keinen Aufpasser. Du warst genau wie ich darauf erpicht, dass sich unsere Wege trennen."

„Du hast etwas gutzumachen", sagte er und bevor Khione widersprechen konnte, fuhr er fort. „Als Entschädigung für Ahyokas Tod wirst du meine Frau."

Augenblicklich wurde Khiones Mund trocken. „Was?", keuchte sie und riss an ihrem Handgelenk. „Nein, das werde ich nicht! Du kannst mich nicht dazu zwingen!"

„Das brauche ich nicht. Ich werde warten, bis du von selbst einwilligst", entgegnete Makhah lässig. „Wir bieten dir ein Leben, bei dem du nicht täglich aufs Neue ums Überleben kämpfen musst."

Bitter lachte Khione. „Ich habe nichts mit Ahyokas Tod zu tun und es ist nicht meine Schuld, dass die Männer zurückgekommen sind! Hättest du mich nicht mit dem Pfeil abgeschossen, wäre das alles gar nicht passiert!", wetterte sie und riss erneut an ihrem Handgelenk. Dennoch ließ Makhah sie nicht los. Er verfügte über eine Kraft, der sie sich kaum widersetzen konnte. „Ich werde niemals einwilligen, deine Frau zu werden!", fauchte Khione.

„Ich bin mir sicher, dass du es wirst", sagte er. „Als Shiharu bin ich das Oberhaupt des Stammes, du wärst Shihara. Willst du das Angebot wirklich ausschlagen? An meiner Seite würde dir keiner etwas tun und du wärst versorgt."

Das klang zu schön, um wahr zu sein. Khione schenkte seinen Worten nicht eine Sekunde lang Glauben. Er könnte jede andere Frau heiraten, warum wählte er dann eine, die er überhaupt nicht leiden konnte?

„Du brauchst nur einen Fußabtreter für deine Launen!"

So ein widerspenstiges Balg! Was glaubte Khione eigentlich, wer sie war? Kein Wort des Dankes, dass er sie ein zweites Mal gerettet hatte. Stattdessen warf sie ihm Beleidigungen an den Kopf.

Makhah brauchte seine gesamte Beherrschung, ruhig zu bleiben. Wie Pahra prophezeit hatte, war die junge Frau keineswegs einverstanden. Die Heilerin hatte ihn darauf hingewiesen, Khione nicht unter Druck zu setzen. Es war besser, wenn sie von selbst zur Besinnung kam.

Da Frauen den Arakis heilig waren, kam es für ihn nicht in Frage, die Ehe vor ihrer Volljährigkeit zu vollziehen. Auch bei den Sheikahs war es verpönt, Minderjährige zu ehelichen oder sich an ihnen zu vergehen. Das hatte Pahra verlauten lassen und er würde Khione keinen weiteren Grund liefern, ihn als Barbaren anzusehen. Es war besser, wenn sie von sich aus einwilligte, egal, wie lange es brauchte. Bis dahin würde er warten.

Obwohl Makhah innerlich aufgewühlt und die Wunde des Verlustes zu frisch war, ließ er seinen Griff lockerer und gab Khione frei. „Leg dich hin. Dein Körper ist unterkühlt und du solltest zu Kräften kommen", sagte er und glitt wieder unter die Felle. Trotzig schüttelte sie den Kopf und hielt krampfhaft an ihrer Seite fest, als wäre sie ihr Schutzschild. Deshalb rutschte er ein Stück, behielt sie jedoch im Auge.

Zögernd legte sich Khione in einem weiten Abstand an die Kante der Unterlage und dem Gesicht zum Shiharu gewandt hin. Sie kuschelte sich so unter die Felle, bis nur ihr Kopf ab der Nasenspitze zu sehen war. Wenigstens konnte sie ihren Körper vor ihm verbergen. Sie schämte sich nicht, aber ihr war nicht wohl dabei, von einem Fremden nackt gesehen zu werden.

Wie lange würde sie das können? Makhah würde sie nicht zwingen, doch was geschah, wenn sie sich weiterhin weigerte? Würde er erneut seine Nerven verlieren und sich nehmen, was er wollte?

Khione verabscheute Gewalt und bei den Erinnerungen an so manche Ehen in Mija Wa wurde ihr übel. Ihr war bewusst, dass nicht jede Beziehung aus Liebe entstanden war, doch es hatte nie solch große Unterschiede gegeben wie es bei Makhah und ihr der Fall sein würde.

Nachdenklich betrachtete sie ihn, wie er an die Decke des Khemah starrte. Er wirkte nicht nur traurig und niedergeschlagen, sondern auch mit seinen Gedanken weit weg und plötzlich wurde Khione klar, was dahintersteckte.

„Es tut mir leid, dass Ahyoka gestorben ist", flüsterte sie brüchig. Das Thema war für beide belastend, aber sie wollte ihr Beileid dennoch aussprechen. „Ich weiß, wie hart der Verlust ist", fuhr sie genauso leise fort und verstummte. Ihr fiel nichts weiter ein, da es keine Worte gab, die einen Tod milderten. Es erging ihr nicht anders.

Makhah schwieg, aber sie sah ein winziges Nicken seinerseits, das mit einem Kiefermahlen verbunden war. Seine Anspannung war deutlich spürbar und um ihn nicht zu reizen, kuschelte sich Khione in die Felle.

Minuten später verriet ihr ruhiger und gleichmäßiger Atem, dass sie eingeschlafen war. Leise seufzte Makhah und wandte ihr den Kopf zu. Im Schlaf sah sie unschuldig und viel zu jung für fast 18 Winter aus. Hatte sie in dem Punkt gelogen?

Langsam streckte er seine Finger nach ihr aus und berührte vorsichtig ihre kühle Wange, um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Ihre Haut war glatt wie Seide ähnlich wie Ahyokas, aber blass wie die Sonne.

Verstand Khione wirklich, welche Qualen er durch Ahyokas Tod litt? Durch die Ehe würde es nicht leicht werden, seine Geliebte zu vergessen. Er würde mit jedem Atemzug von ihr an sie erinnert werden.

„Wenn die Götter keine Vision von dir gezeigt hätten, könnten dich die Berglöwen fressen ...", murmelte er und zog seine Hand ein Stück zurück, da Khione ihre Nase rümpfte. Hatte sie seine Worte etwa gehört? Makhah wartete und lauschte ihrem Atem, der regelmäßig blieb. Erneut strich er ihr über die Wange, ehe er sich umdrehte und nach seinem kleinen Beutel griff.

Auf Wunsch hatte Pahra ihm einige Aislingblüten mit der Erklärung gegeben, dass ein Blütenblatt auf der Zunge die gleiche Auswirkung wie der Trank erzielten: Sie wirkten schmerzlindernd, krampflösend und beruhigten den Kopf und die Nerven. Dennoch hatte sie ihn darauf hingewiesen, dass zu viel und zu oft zur Abhängigkeit und zum Gegenteil führte. Das war ihm im Moment egal. Er wollte nur die psychischen Schmerzen betäuben.

Makhah nahm ein violettes Blütenblatt heraus und legte es auf seine Zunge. Zuerst war es bitter, doch sobald die süßliche Note einsetzte, bildete sich ein Nebel in seinem Kopf, der die Trauer unterdrückte und ihn letztlich einschlafen ließ.

Araki - Krieger des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt