Kapitel 17

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„Schnell! Wir müssen uns beeilen!", rief Khione und griff energisch nach der Hand ihrer Mutter. Die lodernden Flammen des Nachbarhauses waren bedrohlich nahe und strahlten eine unsagbare Hitze aus, die schon die Fenster zum Zerbersten gebracht hatten. Sie drangen deutlich in die Mauern und erschwerten das Atmen. Unter Khione knirschten die Glassplitter, die sich unaufhaltsam in ihre Fußsohlen bohrten. Den Schmerz ignorierend, zog sie ihre Mutter in Richtung Tür und drängte ihren Vater zum Aufbruch. Sie verstand, dass ihre Eltern Erinnerungsstücke mitnehmen wollten, bevor das Feuer alles zerstörte, doch die Zeit rannte ihnen davon! Es war nur eine Frage von Sekunden, bis ihr einziger Fluchtweg versperrt sein würde.

Panisch lief Khione dem Ausgang entgegen und sie wollte schon aufatmen, als sich ihre Mutter plötzlich aus ihrem Griff befreite. „Kommt endlich!", rief sie angsterfüllt und sah zwischen ihnen hin und her. Die leeren Blicke ihrer Eltern ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen. Warum blieben sie stehen? Das war ein sicheres Todesurteil!

Erneut wollte Khione die Hand ihrer Mutter nehmen, doch sie ging einen Schritt ins Haus zurück. Nach Luft schnappend folgte sie ihr, aber das bedrohliche Knacken über ihr ließ sie einen gewaltigen Satz zurückspringen. Eine Sekunde später fiel das Gemäuer wie ein Kartenhaus in sich zusammen und begrub Khiones Eltern unter sich. Deren qualvolle Schreie lähmten Khione völlig. Mit offenem Mund und Tränen in den Augen stand sie da und rührte sich nicht. Nicht einmal die Feuersbrunst, die sich in einem rasenden Tempo auf sie zubewegte und ihre Kleidung in Flammen setzte, ließ sie flüchten. Khione war wie festgefroren und nahm die Schmerzen nur am Rande wahr, dafür sah sie, wie ihre Haut zu glühen anfing, als wäre sie das Feuer selbst.

„Es gibt kein Entkommen", hörte sie das dunkle Lachen eines Mannes, das wie ein Echo in ihrem Kopf hallte und sie auf ihren Weg in den höllischen Tod durch Verbrennen begleitete.

Mit einem Ruck saß Khione keuchend aufrecht. Ihr Herz trommelte so hart gegen ihre Rippen und an ihrem Hals, dass sie nichts anderes als den schnellen Takt und ein Rauschen in ihren Ohren hörte. Die sich drehende Umgebung erschwerte ihr nicht nur einen fassbaren Gedanken, sondern auch eine klare Sicht. Trotz mehrmaligen Blinzelns blieb sie weiterhin unscharf, bis Khione berührt wurde. Wie elektrisiert riss sie ihre Hände in die Höhe. „Nein!", wimmerte sie, gefangen in den grausamen Erinnerungen.

„Shihara, ich sein Sabah."

Die beruhigende, fast schon entschuldigende Stimme drang durch die dichte Nebelwand in Khiones Kopf. Langsam senke sie ihre Hände und hob den Blick. Hinter einem verschwommenen Schleier nahm sie die Konturen von Makhahs Schwester wahr. „W-Wo bin ich?", fragte sie benommen und fuhr mit zitternden Fingern die schmerzende Stelle auf ihrer linken Seite nach. Inständig hoffte sie, dass alles nur ein böser Traum war, doch die Ernüchterung trat ein, sobald sie heiße, geschwollene Haut unter ihren Fingerkuppen spürte.

Sie war gebrandmarkt worden! Die Erinnerungen an den Geruch und die Schmerzen ließen Khione würgen und sie gab sich keine Mühe, die ätzende Flüssigkeit zurückzuhalten. Mit einem lauten Schwall übergab sie sich in einen Behälter, den Sabah ihr eilig hinhielt und zusätzlich die Haare nach hinten hielt.

„Shiharu dich haben gebracht in dein Zimmer. Du geschlafen haben einen Tag", antwortete Sabah. „Du möchten trinken?", fragte sie besorgt.

Langsam schüttelte Khione den Kopf und lehnte sich erschöpft mit geschlossenen Augen und klappernden Zähnen zurück. Ihr Körper war schweißnass, obwohl er unter Fellen lag.

„Pahra sagen, du haben Fieber und trinken müssen", erklärte Sabah und hielt ihr auffordernd einen Holzkelch an die Lippen.

Der Geruch nach Minze drang in Khiones Nase und beruhigte ihre Sinne leicht. Sie grub in ihren Erinnerungen, in der sie Zeit mit der Heilerin verbracht und Kräuter bearbeitet hatte. Wenn sie sich nicht täuschte, bestand der Tee aus Minae. Das Gewächs mit ihren hellen Blütenblättern wuchs am besten in der Nähe von Flüssen und dort, wo sie gleichermaßen Sonne und Schatten erhielt. Khione war fasziniert von den Blättern, die purpurne Sprenkel aufwiesen und nicht nur zur Verfeinerung von Gerichten dienten, sondern auch als Tee für Krankheiten geeignet war. Neben krampflösend hatte die Pflanze eine fiebersenkende Wirkung. Das war von Pahras Erklärungen hängengeblieben.

Araki - Krieger des NordensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt