Kapitel 9

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„ Nicht weinen.", warnte ich sie, sobald wir weit genug von all den anderen entfernt waren. Leondra setze sich auf einen der großen Steine und schlug die Hände vor's Gesicht.„ Ich mein das ernst, wag es nicht zu weinen.", sagte ich. Wenigstens hatte sie meine Hand losgelassen.„ Sie wollten mich umbringen!", schrie sie hysterisch.„ Ja, weiß ich, ich war dabei.", erwiderte ich, „ Und das wird auch nicht der letzte Versuch sein."Erschrocken blickte sie zu mir auf.„ Leondra.", sagte ich eindringlich, „ Sie werden wieder versuchen dich zu töten."„ Und was soll ich jetzt machen?", fragte sie weinerlich.„ Dich verteidigen! Was denn sonst? Dich ängstlich an eine Wand zu drücken, wird dir wohl kaum helfen."„ Aber ich.. ich.. kann nicht kämpfen.", gab sie zu.„ Was?", fragte ich.„ Naja, also ich habe schon Kampfunterricht aber ich bin da nicht wirklich gut drin, ich bin eine Heilerin."„ Ach du scheiße...", murmelte ich, als mir klar wurde was das bedeutete. Sie würde sich nicht verteidigen können wenn sie erneut angegriffen wurde.. Also würde sie sterben und zwar in absehbarer Zeit, wenn ich das nicht verhinderte. Na super, jetzt hatte ich die Wahl. Entweder durfte ich in nächster Zeit Babysitter spielen oder ich würde quasi ihr Todesurteil unterschreiben. Ich warf ein Blick auf die verheulte Leondra, na das würde ein Spaß werden.Inzwischen war es Mittag geworden und ich überredete Leondra mit mir etwas essen zu gehen. Diese schaute sich jetzt bestimmt schon zum zehnten Mal hektisch um, um einen erneuten Mordversuch rechtzeitig zu entdecken. Ich verdrehte die Augen.„ Leondra, du musst nur genau eine Sache beachten, okay? Bleib einfach immer in meiner Nähe, dann passiert dir auch nichts.", sagte ich genervt.„ Aber sie könnten uns mit einer größeren Gruppe angreifen und dann...", weiter kam sie nicht, ich unterbrach sie.„ Niemand der noch bei klarem Verstand ist würde es wagen mich anzugreifen, Sie dich doch mal um!".Wir saßen in dem Speisesaal, ziemlich weit rechts an der Wand und alle Schüler machten einen großen Bogen ums uns. Das kleine Spektakel im Flur hatte sich schneller herum gesprochen als erwartet, denn nun saß niemand mehr auf der rechten Hälfte des Saals. Es war als hätte man eine unsichtbare Linie in der Mitte gezogen. So kam es das Leondra und ich die Hälfte des ganzen Saals für uns alleine hatten, auch nicht schlecht. Das führte zwar dazu, dass die anderen Schüler jetzt wesentlich weniger Platz hatten und zum Teil nacheinander essen mussten oder sich mit mehreren auf eine Bank quetschen, aber niemand überschritt diese unsichtbare Linie. Manche von ihnen warfen uns böse Blicke zu oder musterten uns aus zusammengekniffenen Augen, doch sobald ich ihre Blicke feindselig erwiderte, wanden sie sich schlagartig von uns ab und stocherten weiter in ihrem Essen herum. Ich ließ meinen Blick über die Leute schweifen, auf der Suche nach einer gewissen Person, konnte sie aber nirgends entdecken. Cassian war nicht hier. „Ich kann es kaum glauben dass wir jetzt von allen so gehasst werden.", sagte Leondra mit leiser Stimme.„ Sie hassen sich nicht, sie hassen mich. Du bist eher der Grund, warum sie mich hassen.", erwiderte ich. Diese ganze sentimentale Scheiße ging mir auf die Nerven.Leondra schaute mich mit großen Augen an.„Wie..wie meinst du das?"Ich seufzte entnervt auf, normalerweise wäre das der Moment gewesen, wo ich einfach aufgestanden und gegangen wäre, aber das war mir ja jetzt unmöglich. Ich hatte einen kleinen Schützling. Wenn ich das meinem Vater erzählen würde, er würde es nicht fassen können, anderseits konnte ich es selbst nicht fassen. Ich spielte hier tatsächlich Beschützer für einen Menschen und bei meinem Plan war ich noch keinen Schritt weiter gekommen, ehrlich gesagt stand ich noch, so ziemlich, am Anfang. „ Weil sie denken ich hätte dich zu meiner Komplizin des Bösen gemacht und hätte jetzt vor die Weltherrschaft an mich zu reißen.", erwiderte ich trocken, „ Sie glauben, du hättest die Seiten gewechselt und ständest nun auf der Seite des Bösen und dafür geben sie mir die Schuld."„ Aber das ist doch Schwachsinn!", sagte sie empört und da musste ich ihr recht geben, hätte ich vorgehabt mir wirklich einen Komplizen zu suchen, um irgendeinen finsteren Plan durchzuziehen, hätte ich definitiv nicht Leondra gewählt. Die hatte den Killerinstinkt einer Pflanze.„ Ja, aber meine Gegenwart verändert ihr bisheriges Leben und Veränderungen haben die Menschen schon immer gefürchtet. Aus Angst tun die deshalb manchmal schreckliche Sachen.", antwortete ich.„ Es hat niemand damit gerechnet das du auf unsere Schule kommen würdest.", sagte Leondra.„ War auch eher eine spontane Entscheidung.", sagte ich nur darauf.„ Sharin, warum bist du hier?", fragte Leondra mich plötzlich sehr ernst, „ Die anderen haben nur Angst vor dir, weil sie nicht wissen warum du hier bist. Sie denken das du irgendwas schlimmes vorhast, aber wenn du ihnen erzählst....."„ Und wenn ich ihnen erzählen würde, ich wäre nur hier um Hundebabys zu streicheln, sie würden trotzdem Angst vor mir haben.", unterbrach ich sie genervt, „ Jeder hat Angst vor mir und das ist sogar mehr als nachvollziehbar, die Frage ist eher warum du keine Angst vor mir hast."„ Du hast mir bis jetzt nie einen Anlass dazu gegeben."„ Ach nein? Ich habe deine Mitschüler mit Dolchen beworfen, deinen Lehrer angegriffen, Heilpflanzen in Brand gesteckt und mehrfach irgendwas oder irgendwen in Flammen aufgehen lassen. Du hast mehr als nur genug Gründe, dich vor mir zu fürchten, aber du tust es nicht."Leondra war merkwürdig ruhig, sie öffnete mehrmals den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn aber dann wieder„ Ich erzähl dir mein Geheimnis,wenn du mir deins erzählst.", sagte sie dann.Na das wurde ja mal interessant. Gleich fragte ich mich welches kleines Geheimnis das schüchterne Mädchen wohl haben konnte.Wieder saßen wir zu zweit auf meinem Bett, da keiner von uns wirklich Lust darauf hatte den Nachmittagsunterricht zu besuchen. Trotzdem beschloss ich später nochmal beim Kampfunterricht der Fortgeschrittenen vorbei zu schauen, wo ich wohl oder übel auch wieder auf Cassian treffen würde. Immer noch dachte ich über Leondras Worte nach. Ich erzähl dir mein Geheimnis, wenn du mir deins erzählst. Einerseits war ich neugierig was Leondra vor allen anderen verbarg, anderseits wollte ich ihr keineswegs den wahren Grund verraten, warum ich hier war. Ich gab nicht gerne etwas von mir selber preis, denn Wissen war Macht und die wollte ich ganz für mich allein haben. Dennoch glaubte ich nicht wirklich daran das Leondra mich verraten würde, das würde sie gar nicht wagen. Ich war ja nicht gerade für meine Gnade und Vergebung bekannt. Ich fasste einen Beschluss, ich würde Leondra von meinem Auftrag erzählen und wenn sie wirklich so viel von Freundschaft hielt, wie sie behauptete würde sie den Mund halten. Tat sie es nicht, könnte ich sie ohne schlechtes Gewissen umbringen.„ Erzähl mir, warum du keine Angst vor mir hast.", sagte ich in die Stille hinein.Leondra hob den Blick von einem Buch in dem sie gerade gelesen hatte und schaute mich an.„ Ich stamme aus dem Hause Clark, einer Heilerfamilie, der unteren Adelsschicht. Wir haben nicht gerade viel politischen Einfluss oder überhaupt irgendwas zu sagen, aber wir sind für unser Geschick in der Heilkunst bekannt. Das war auch der Grund warum die Familie Grave, meine Mutter darum bat bei Carltons Geburt zu helfen und das tat sie auch. Maline und meine Mutter freundeten sich während Maline's Schwangerschaft an und auch als das Baby zu Welt kam, pflegten sie weiterhin Kontakt. Dabei waren sie durch und durch verschieden, sowohl vom Rang als auch von ihrem Charakter, doch das hielt sie nicht davon ab Freunde zu sein. Meine Mutter hat mir, als ich klein war immer gesagt: „Man erntet was man sät." und ich denke ,dass sie damit Recht hat. Schon als ich noch ein Kind war, war es mein größter Traum eines Tages ebenfalls eine Heilerin zu werden, wie meine Mutter. Ich begleitete sie deshalb oft bei ihren Besuchen und half die Kranken oder Verletzten zu pflegen. So kam es , dass ich auch oft bei der Familie Grave zu Besuch war und dort freundeten Cassian und ich uns an. Sie nahm mich aber schon mit zu ihnen, da war ich gerade mal drei und seit dem sind Cassian und ich Freunde, wir spielten zusammen draußen im Garten, während Maline und meine Mutter Tee tranken. Später, als wir dann älter waren und Cassian zunehmend mit seinem großen Bruder trainierte, waren meine Besuche eher Krankenpflege. Ich habe die beiden ziemlich oft wieder zusammengeflickt.", sie stieß ein bitteres Lachen aus, was so gar nicht zu ihrer sonst so netten und freundlichen Art passte, „Ich kannte die Familie Grave also ziemlich gut und Maline und Carltons Tod trafen mich und meine Mutter ebenso. Meine Mutter weinte zu der Zeit viel und trauerte, aber das war noch nichts gegen den Schmerz, den ich bei Cassian gesehen habe. Ich habe Cassian nicht oft weinen sehen, aber an dem Tag als seine Mutter und sein Bruder starben ,weinte er. Ich werde diesen Tag nie vergessen und auch nicht die darauf folgenden Monate. Den Schmerz den ich ihn seinen Augen sah, brach mir fast das Herz. Ich weiß, das klingt jetzt melodramatisch, aber wenn du ihn zu dieser Zeit gesehen hättest.... und da musste ich mir eingestehen, das ich trotz meiner Heilmagie nichts tun konnte um diese Art von Schmerz zu lindern. Kein Verband, keine Heilpflanzen und keine Magie konnten die Narben heilen die Cassian immer bleiben würden, uns allen. Ich versuchte alles um ihn irgendwie aufzuheitern, ich wollte ich nicht mehr so sehen, ich ertrug das einfach nicht mehr. Und da habe ich beschlossen, niemals wieder jemanden so leiden sehen zu müssen. Nie wieder. Ich weiß wie es ist sich alleine zu fühlen und das habe ich bei anderen auch oft genug gesehen, deswegen finde ich es so wichtig jedem eine Chance zu geben, egal wer derjenige ist. Als du hier her kamst warst du ganz alleine und das wünsche ich niemandem. Niemand sollte alleine sein müssen, denn aus Einsamkeit passieren furchtbare Dinge."Ich blickte sie einfach nur an, mit emotionslosem Blick während es in mir drin brodelte.„ Verstehe.", sagte ich nur, denn etwas anderes fiel mir nicht ein. Ich wusste das sie ein paar Dinge in ihrer Geschichte ausgelassen hatte, aber das störte mich nicht weiter. Wenn sie es wollte, würde sie mir früher oder später den Rest erzählen.„ Du wolltest wissen, warum ich hier bin.", sagte ich, um die traurige Stille zu durchbrechen die sich inzwischen ausgebreitet hatte, „Ich bin hier, um einen Nachfolger für meinen Vater zu suchen."Ihr Mund klappte auf und sie starrte mich fassungslos an. Es war gerade mal früher Nachmittag und ich musste sagen, dieser Tag war so ereignisreich wie schon langer nicht mehr.


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Es tut mir leid, das dieses Kapitel ziemlich kurz geworden ist, aber ich im Moment wirklich wenig Zeit :/ Da ja mal wieder ganz überraschend die Sommerferien anstehen, haben unsere Lehrer beschlossen die restlichen drei Wochen nochmal mit allen möglichen Arbeiten und Projekten voll zu hauen :( Tut mir also schrecklich leid, wenn die nächsten Kapitel etwas kürzer ausfallen werden :(((((

Satans TochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt