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Ich blieb länger liegen als geplant. In Hjartvik war mir immer kalt gewesen, selbst in meinem Mantel, selbst nachts, wenn ich dick eingepackt unter meiner Decke lag — vor allem nachts. Echte Wärme hatte ich erst kennengelernt, als ich auf der Aetheria gelandet war. Doch diese Art der Wärme war neu für mich. Sie war so allumfassend, hüllte mich ein, drang in jede Pore, erfüllte mich von innen. Ich fühlte mich wie eine Göttin.

Eine Weile lag ich einfach nur da mit geschlossenen Augen, genoss das Prickeln der Hitze auf meiner Haut und den sinnlichen Duft, bis ich mir irgendwann einen Ruck gab und begann, meinen Körper abzuschrubben. Am Rand stand ein Fläschchen mit flüssiger Seife, ich wusch mein Haar damit und wurde vom Geruch wilder Rosen eingehüllt.

Auch ein frischer Rasierer lag bereit; ich verstand den Wink.

Erst nach einer halben Ewigkeit, als das Wasser bereits an Hitze verlor und schon länger kein Dampf mehr aufstieg, schaffte ich es, mich zu lösen. Ich stieg aus der Wanne und hüllte mich in den flauschigen Mantel. Im Schrank fand ich alles, was ich brauchte. Ich kämmte mein Haar, putzte meine Zähne und cremte mich ein. Der Blick in den Spiegel zeigte mir, was mir inzwischen längst klargeworden war: Ich sah keineswegs schrecklich, sondern ziemlich gut aus, entspannt und erholt. Meine Wangen waren rosig, meine Haut schimmerte, meine Augen glänzten. Das Veilchen war längst verblasst. So hatte ich mich selbst noch nie gesehen, ich kannte mein Gesicht nur mit eingerissenen Lippen, dunklen Ringen unter den Augen und, nun ja, blauen Flecken, wenn Eldrid mal wieder wütend geworden war. Nun erkannte ich zum ersten Mal, wie ich aussah, wenn ich glücklich war — und ich konnte kaum den Blick von mir abwenden. Ein vollkommen anderer Mensch schien mir aus dem Spiegel entgegenzublicken.

Schließlich verließ ich das Badezimmer und betrat das Esszimmer. Auch dieser Raum wurde seiner Bezeichnung absolut nicht gerecht, doch inzwischen wunderte ich mich nicht mehr; Saal wäre allerdings ein passenderes Wort gewesen.

Inzwischen war die Sonne vollständig aufgegangen und ihr Licht ergoss sich durch die breite Fensterfront über den gesamten Raum, zart und golden. In der Mitte des Zimmers erstreckte sich eine Tafel aus Mahagoni, an der man eine ganze Konferenz hätte abhalten können. Zwölf Stühle waren darum arrangiert, allesamt königsblau und mit Samt bezogen, wie kleine Thronsessel. Nun saß dort jedoch nur Cassiel. Er stand auf, als ich den Raum betrat, ging um den Tisch herum und rückte meinen Stuhl zurecht, wie ein Kavalier aus dem vorletzten Jahrhundert.

Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, während ich mich setzte.

„Ich wusste gar nicht, dass Ihr ein solcher Gentleman seid", neckte ich ihn. Er setzte sich mir gegenüber. Er schmunzelte, doch seine Augen blitzten gefährlich.

„Ich bin alles andere als ein Gentleman", sagte er ruhig, „aber das wirst du noch merken. Wie war dein Bad?"

„Wundervoll", seufzte ich. „Sowas habe ich noch nie erlebt."

„Letzteres tut mir leid, aber ich freue mich natürlich, dass es dir gefallen hat. Es ist mir wichtig, dass du dich bei mir wohlfühlst, Lumi. Bitte bediene dich."

Eine Million Fragen wirbelten durch meinen Kopf, allen voran die, wie es zusammenpassen sollte, dass er einerseits offensichtlich Freude daran hatte, mich zu unterwerfen und zu quälen und andererseits wollte, dass ich mich in seiner Gegenwart wohlfühlte. Für mich zwei Dinge, die sich widersprachen – oder etwa nicht? Ging es mir denn nicht ähnlich? Wollte ich nicht beides – und fühlte mich dennoch wohl in seiner Gegenwart.

Zum ersten Mal ließ ich meinen Blick über das Angebot auf dem Tisch schweifen. Golden gebackene Croissants türmten sich vor uns auf und verströmten einen himmlischen Duft, der sich mit dem des Kaffees vermischte. Außerdem gab es eine Kanne voll süßlich riechendem Tee, Schüsseln voll Obst, von dem ich nur die Hälfte erkannte; luftig aussehendes Omelette, Granola, Pfannkuchen und Beeren, Milch und Honig und noch allerlei Dinge, für die ich keinen Namen fand.

Ich war mit einem Mal so hungrig, als hätte ich noch nie in meinem Leben etwas gegessen – und häufte mir von fast allem etwas auf meinen Teller.

Cassiel beobachtete mich mit einem Schmunzeln und lud sich schließlich ebenfalls auf.

Eine Weile aßen wir schweigend. Ich nippte vorsichtig an meinem dampfenden Kaffee und unterdrückte ein Stöhnen; nie im Leben hatte ich etwas Besseres gegessen und getrunken. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Cassiel. Er sah so gut aus wie immer. Das dunkle Haar trug er heute zurückgekämmt, sein Blick war wach und lebhaft. Obwohl es noch sehr früh war, war er förmlich gekleidet, trug einen dunklen Anzug mit Klappen auf den Schultern und einer Art Wappen auf der Brust, das goldene Flügel zierten. Hatte er etwa einen beruflichen Termin wahrgenommen, hier auf dem Schiff?

Ich stellte fest, dass sein ansonsten so perfektes Gesicht einen winzigen Makel hatte: Eine feine Narbe an der Augenbraue, ein Detail, das ihn allerdings nicht entstellte, sondern nur noch interessanter erscheinen ließ.

Irgendwann räusperte er sich und erschrocken senkte ich den Blick auf meinen Teller. Wie unhöflich, den Seraph so anzuglotzen!

„Da du meinem Angebot zugestimmt hast, müssen wir vorab einige Dinge klären", sagte er. Er lehnte sich zurück, griff hinter sich und beförderte einen Stapel Papier hervor. „Zunächst das Wichtigste, auch wenn ich es bereits gesagt habe: Du gehörst mir. Du wirst tun, was ich dir sage, wenn ich es dir sage. Diese Regel ist unumstößlich."

Ich schluckte schwer, nickte jedoch. Diese Bedingung war mir bewusst.

„Nichtsdestotrotz", fuhr er fort, „bist du keine Gefangene. Wenn es die Situation zulässt, darfst du dich jederzeit im abgesteckten Rahmen frei bewegen. Du bist bei mir angestellt, das heißt, ich bezahle dich. Du hast sicher schon gehört, dass wir Seraphim Gefühle erspüren können. Die meiste Zeit werde ich deinen Willen kennen, weil ich ihn fühlen kann, das heißt jedoch nicht, dass ich Rücksicht darauf nehmen werde. Ich werde es genießen, ihn zu brechen, und ich bin mir sicher, dass du es auch genießen wirst. Meine Hure zu sein bedeutet allerdings nicht nur, mir zu Willen zu sein, sondern auch, meinen Schutz zu genießen. Ich werde auf dich und deine Seele aufpassen, dessen kannst du dir sicher sein. Ich werde es genießen, dich zu quälen, doch ich werde dich nicht verletzen. Für den Fall, dass es dir einmal doch zu weit gehen sollte, gilt auch weiterhin: Sanctus lautet dein Safeword. Benutz es und das Spiel ist beendet."

„Ich ... Was bedeutet das genau?", fragte ich leise. „Wenn ich das Wort sage ... ist dann alles vorbei?"

Vorsichtig hob ich den Blick und traf auf seinen.

„Nein", sagte er langsam. „Nein, wenn du es sagst, ist nicht alles vorbei. Ich erwarte aber, dass du das Wort mit Bedacht einsetzt und wirklich nur dann, wenn es absolut unerträglich für dich ist, was ich dir antue. Bestenfalls brauchst du es nie. Ich erwarte eine gewisse Leidensfähigkeit und Hingabe. Wenn du das Safeword jedesmal benutzt, sobald es ein wenig unangenehm für dich wird, bist du bei mir falsch. Ich diesem Fall behalte ich mir vor, das Arbeitsverhältnis zu kündigen."

Ich schluckte erneut und nickte.

„Wenn du keine Fragen mehr hast", sagte er, „würde ich mit dir zusammen den neuen Vertrag durchgehen. Sobald du unterschrieben hast, ist alles besiegelt."

„Dann gehöre ich Euch", flüsterte ich.

Einen Augenblick lang mustere er mich. Sein Blick verdunkelte sich. „Ich kann es kaum erwarten, Lumi."

Above the Winter Skies [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt