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"Und du bist dir sicher, dass du dir das Ganze gut überlegt hast?" Stirnrunzelnd sah Nova mich über den Rand ihres Weinglases hinweg an. Das Halsband – es war aus schwarzem Samt und hatte vorne einen kleinen silbernen Anhänger in Form eines Flügels –, hatte sie mit einem undefinierbaren Blick zur Kenntnis genommen, jedoch nicht weiter kommentiert. Wir hatten uns daraufhin in eine versteckte Nische in der Sternenstube verzogen, eine Taverne in einem der unteren Decks, die für Menschen und Seraphim bestimmt war – von letzteren trieb sich aber nur selten jemand hier unten herum, vermutlich deshalb, weil es im Vergleich zu den oberen Decks weitaus schäbiger war. Auch an diesem Nachmittag waren keine Engel da, wir waren sogar fast allein. Das Licht war schummrig, die Tischdecken verwaschen und das Geschirr verkratzt und teilweise gesprungen. Blauer Zigarettendunst waberte durch die Luft und leiser Blues tönte aus Lautsprechern, begleitet von einem leisen Knacken und Rauschen. Es war der perfekte Ort, wenn man unter sich sein und Geheimnisse austauschen wollte. Außer uns gab es an diesem Nachmittag nur noch einen weiteren Gast, einen jungen Mann in einer Ecke, der missmutig in seinen Krug starrte und zu weit entfernt saß, als dass er unserem Gespräch hätte zuhören können. Ich hatte ihn noch nie gesehen, anhand seiner ölverschmierten Kleidung musste es jedoch einer der Schiffsmechaniker sein. Die arbeiteten in Schichten, vermutlich hatte er Nachtdienst.

Ich wusste, dass Nova sich nur Sorgen um mich machte und mich beschützen wollte, trotzdem traf mich ihre unverhohlene Skepsis und versetzte meiner Euphorie einen kleinen Dämpfer. Sie schien es zu merken und legte mir eine Hand auf den Arm.

„Ich meine es nicht böse, Lumi", sagte sie sanft. „Aber ich weiß, wie die Seraphim ticken. Ich meine, ich weiß es natürlich nicht wirklich, ich bin noch nie einem von ihnen so nahegekommen, aber ich habe schon viele Menschen gesehen – Frauen –, die an ihnen zugrunde gegangen sind. Avah ist nur eine davon."

Mein Blick schnellte nach oben. „Ehrlich?"

Nova nickte. „Ich will einfach nicht, dass dir das Gleiche passiert."

„Wer noch?" Ich wusste, dass es unwichtig war, aber ich musste es einfach wissen.

Nova schüttelte den Kopf und flüsterte: „Sie ist nicht mehr hier. Es war ziemlich am Anfang dieser Reise, Raelyn war ihr Name. Sie fing etwas mit Raphael an. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was genau dort vor sich gegangen ist, aber am Anfang sah sie aus wie du, sie strahlte, leuchtete regelrecht von innen. Aber in den Tagen und Wochen danach veränderte sich das rapide, und zwar zum Schlechten. Innerhalb kürzester Zeit war sie dürr und ausgemergelt, sie hatte dicke Ringe unter den Augen, Verletzungen, teils auch schwere ..." Nova hielt inne und schluckte schwer. „Ich erspare dir die Details, aber es war wirklich schlimm mit anzusehen. Ich meine, Raphael ist nicht Cassiel, das weiß ich. Und trotzdem."

Ich griff nach meinem Glas und versuchte, das mulmige Gefühl, das sich bei Novas Warnungen in mir ausgebreitet hatte, zu verscheuchen. War es ein Fehler gewesen, Cassiels Angebot anzunehmen? Mit einem Mal kam ich mir wahnsinnig dumm vor, mich einfach von meinen Gefühlen leiten zu lassen, nicht vorher mit Nova darüber geredet zu haben. Andererseits wusste ich auch, warum ich es nicht getan hatte: Mir war klar gewesen, dass genau das passieren würde, dass sie versuchen würde, es mir auszureden, und genau das hatte ich nicht gewollt.

Und dabei hatte ich es noch nicht einmal über mich gebracht, ihr von den pikanten Details meines Vertrages mit Cassiel zu erzählen ... Aber vielleicht konnte sie es sich ja auch denken.

„Was ist mit Raelyn passiert?", fragte ich, nicht sicher, ob ich die Antwort hören wollte.

Nova schluckte. „Sie hat den Vertrag aufgelöst und sie haben sie rausgeworfen. In einem Waldstück, mitten in Skaldengard, zwei Tage bevor du an Bord gekommen bist."

„Was?" Schockiert starrte ich sie an. „Dann ist sie erfroren!"

Nova zuckte nur hilflos die Achseln. „Es war in der Nähe eines kleinen Fischerdorfs, vielleicht hat sie es geschafft, aber ..." Ihr Satz verlief ins Leere und eine Weile sagte niemand etwas. Ich nippte an meinem Wein. Er war viel zu dünn und viel zu süß, doch ich, die den Genuss von Wein erst auf der Aetheria kennengelernt hatte, war nicht sehr anspruchsvoll.

„Raphael ... Das ist dieser Rothaarige, stimmt's?", sagte ich dann.

Nova nickte. „Der beste Freund von Michael. Ja. Und ja, ich weiß, was du jetzt denkst. Dass Michael und seine Leute sowieso anders sind, dass sie irgendwie roh sind, brutal und rücksichtslos, aber ..." Hilflos rang sie nach Worten, dann zuckte sie nur die Achseln. „Cassiel muss die Sache mit Raelyn mitbekommen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nichts davon mitgekriegt hat, er muss es mindestens gebilligt haben. Er mag nach außen hin vornehm und zivilisiert wirken, aber das ändert nichts daran, was er ist. Er ist kein Mensch, Lumi. Er wird niemals denken und fühlen wie ein Mensch, und er wird in dir niemals ein gleichwertiges Wesen sehen. Du wirst niemals sicher sein bei ihm. Nie. Wenn es sein muss, würde er dich töten, ohne mit der Wimper zu zucken, davon bin ich überzeugt."

Sie sah mir so durchdringend in die Augen, dass ich schließlich den Blick abwenden musste. Obwohl ihre Worte mich mehr aufwühlten, als ich zugeben wollte, lachte ich ihre Bedenken fort. Es klang hölzern.

„Du übertreibst", sagte ich leichthin und verkniff mir dabei die Bemerkung, dass Raelyn und Avah nicht viele Frauen waren, sondern nur zwei. Es war auch nicht wichtig. Nova wollte mich beschützen und das war süß, doch unbegründet. „Ich fühle mich geehrt, dass du dir solche Sorgen um mich machst, Nova. Doch das musst du nicht, mir geht es gut. Es ist ja ohnehin nicht mehr lange, der Vertrag geht nur noch die zwei Wochen, bis wir in Araboth sind. Bis dahin wird Cassiel mich schon nicht töten."

Einen kurzen Augenblick lang musterte sie mich noch tonlos, eine steile Falte zwischen den Augenbrauen. „Hoffen wir es", flüsterte sie dann.

Ich schaffte es, das Thema zu wechseln und über unsere Zukunftspläne zu sprechen. Berichtete ihr von dem großzügigen Verdienst, den ich als Cassiels Konkubine in den nächsten Tagen einsacken würde und von meiner Idee, ihn in die Gründung einer eigenen Trinkstube in Ventura zu stecken, worauf Nova glücklicherweise genauso begeistert reagierte, wie ich es mir erhofft hatte. Und so vergaß sie ihre Sorgen um mich ganz schnell wieder und der Rest des Gesprächs drehte sich um unsere Zukunftspläne und darum, wie wir unsere eigene Kneipe nennen würden.

„Himmelsblick", schlug Nova vor, doch ich verzog das Gesicht.

„Irgendwie kitschig", sagte ich und sie gab mir recht.

„Wie wäre es mit Nebelschenke?", sagte ich.

„Zu düster. In Ventura gibt es außerdem niemals Nebel."

„Keine Kälte, kein Nebel." Ich seufze. „Ich kann es kaum erwarten, diesen traumhaften Ort kennenzulernen."

Wir verstummten, als am Tisch neben uns zwei Menschen Platz nahmen, die in eine hitzige Diskussion vertieft waren. Da die Wände in der Taverne mit schweren Tüchern geschmückt waren, die auch zum Teil die einzelnen Nischen voneinander trennten, konnten wir nicht sehen, wer dort war. Die Stimmen kamen mir jedenfalls nicht bekannt vor. Die beiden Männer schienen nicht gemerkt zu haben, dass wir direkt neben ihnen saßen und so machten sie sich nicht die Mühe, leiser zu sprechen. Und was wir dann in den nächsten fünfzehn Minuten zu hören bekamen, ließ uns beide bestürzt zurück.

Viel zu lange dauerte es, bis Nova mich anstupste und zur Tür nickte. Leise standen wir auf und sahen zu, dass wir davonkamen.

Above the Winter Skies [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt