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„Nur noch sieben Tage!", quietschte Nova. Sie wippte auf ihrem Stuhl auf und ab und klatschte dabei in die Hände wie ein kleines Kind. „Sieben Tage und du siehst das Paradies, das Himmelreich! Gott, Lumi, glaub mir, es wird dir die Sprache verschlagen! Und den Atem! Es wird dir alles verschlagen!"

Ich saß mit ihr im unteren Speisesaal bei Kaffee und Kuchen, die hier am Nachmittag geboten wurden. Ausnahmsweise war auch Torin dabei, der an diesem Tag frei hatte. Die beiden saßen eng umschlungen und warfen sich immer wieder derart verliebte Blicke zu, dass ich gar nicht mehr anders konnte, als mich für sie zu freuen, auch wenn meine eigene Liebe so tragisch war.

Von Lyndor war nichts zu sehen und ich war froh darüber. Ich wusste, dass er noch immer für die Regentensuite zuständig war, auch wenn ich ihn dort glücklicherweise noch nicht angetroffen hatte. Mit Sicherheit hatte er mitbekommen, was zwischen mir und Cassiel lief, und wahrscheinlich hatte er auch herausgefunden, dass ich ihn ausgetrickst hatte, um an das Passwort zu gelangen. Ich schämte mich noch immer dafür und war nicht sonderlich erpicht darauf, ihm über den Weg zu laufen.

Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen, aber es geriet ein wenig schief.

„Ich bin gespannt", sagte ich halbherzig und rührte in meinem Kaffee, aber eigentlich war ich todtraurig.

Nur noch sieben Tage.

Ich wollte nicht traurig sein, denn nach diesen sieben Tagen würde endlich mein neues Leben beginnen. Mein echtes Leben, eins, in dem ich selbst wählen konnte, in dem ich frei war. Ich hätte mich freuen sollen. Nur noch eine Woche und ich würde fürstlich entlohnt werden für meine Arbeit auf dem Schiff, für die Zeit mit Cassiel. Dabei wollte ich das Geld nicht einmal mehr haben. Es fühlte sich schrecklich an, mich für das bezahlen zu lassen, was wir miteinander hatten. Es fühlte sich schäbig an, falsch. Als würde es unsere gemeinsame Zeit entwerten, aber das war Unsinn. Ich musste mich zusammenreißen, denn ich konnte an den Tatsachen nichts ändern und das Geld konnte ich gut gebrauchen.

Und so versuchte ich, all die unangebrachten Gefühle beiseitezuschieben und mich auf die Fakten zu konzentrieren.

Fakt Nummer eins war: Was immer ich auch fühlte, ich musste es vergessen, denn ich konnte mit Cassiel nicht zusammensein. In wenigen Tagen wäre alles vorbei und wenn ich ehrlich zu mir war, musste ich mir eingestehen, dass er sich im Anschluss wahrscheinlich eine neue Konkubine suchen würde, wenn er nicht schon längst eine hätte. Die Erkenntnis schmerzte unfassbar, sie schnürte mir die Kehle zu und raubte mir die Luft zum Atmen, aber ich musste meinem dummen Herzen klarmachen, dass das mit uns keine Zukunft hatte. Ich wusste ja nicht einmal besonders viel über ihn. Ich wusste kaum etwas über seine Vergangenheit, über seinen Alltag im Palast – über sein Leben. Es war gut möglich, dass im Schloss von Lysandra bereits ein ganzer Harem schöner Engelinnen auf ihn wartete.

Fakt Nummer zwei war: Ich hatte einen Plan für meine Zukunft, und er war gut. Nicht nur das, er würde mich auch glücklich machen, denn ich konnte mit meinen neuen Freunden zusammensein.

Fakt Nummer drei war: Ich konnte das Geld gebrauchen und ich hatte es mir ehrlich verdient.

Das waren die Dinge, die zählten. Sonst nichts. Vor mir lag eine strahlende Zukunft.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als jemand neben mir Platz nahm. Als ich mich zur Seite drehte, prallte ich zurück. Es war Avah – und sie sah übel aus. Ihr linkes Auge war komplett geschwollen, die Unterlippe aufgeplatzt. Sie hatte Würgemale an ihrem Hals und Striemen und blaue Flecke die kompletten Arme hinab. Dazu trug sie etwas, das mehr an einen Kartoffelsack erinnerte, denn an richtige Kleidung.

„Um Himmels willen, was ist denn mit dir passiert?", stieß ich hervor. Unwillkürlich streckte ich den Arm nach ihrem Gesicht aus, doch sie zuckte zurück, und so ließ ich die Hand wieder sinken.

Above the Winter Skies [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt