Prolog

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„Kai?" Ich kann nicht. Bitte, lasst mich in Frieden. Ich kneife meine Augenlider zusammen. Sehen sie nicht, dass ich schlafe?

„Ich glaube, er pennt." Na, endlich.

„Ich glaube nicht. Kai?" Er rüttelt an meiner Schulter. Ich atme tief ein. Ruhig bleiben. Ich blinzle ein paar Mal, bevor ich langsam meinen Kopf nach hinten drehe.

Jamal hat sich über den Sitz gelehnt und hängt mit seinem Kopf über mir, Florian steckt mit seinem Gesicht zwischen den Sitzen, auf denen ich liege. Wieso sitzen ausgerechnet diese zwei Knalltüten hinter mir?
Gegenüber von mir sitzt Joshua, der ebenfalls schläft. Zumindest sieht er so aus. Kann sein, dass er sich einfach totstellt.
Wer hinter Jamal und Florian sitzt, oder daneben und sonst irgendwo um sie herum, weiß ich gar nicht. Und will ich auch gar nicht wissen. Sie alle tun mir nicht so sehr leid, wie ich mir selbst.

„Kai?", fragt Florian erneut. Ich blinzle noch einmal.

„Was?" Ich klinge nicht so genervt, wie ich erwarte. Dafür klingt meine Stimme sehr rau und tiefer als gewöhnlich.

„Bist du wach?", fragt er.

„Nein", sage ich und reibe mir mit meiner linken Hand über die Augen.

„Weißt du, wer dieser Berater ist, den wir heute treffen?", fragt Jamal. Sehe ich so aus?

„Nein", sage ich.

„Roman heißt der", sagt Florian. Sein Gesichtsausdruck ist wie immer unglaublich träge. Jamal lächelt ihm nickend zu.

Ich zucke nur mit den Schultern, dann lege ich meinen Kopf wieder gegen die kühle Scheibe des Busses, der uns geradewegs nach Thüringen bringt, wo wir uns mit dem finalen Kader an Nationalspielern, nach der Qualifikation, heute zum ersten Mal vor der EM offiziell treffen, um die Planung und den Bezug des Trainingslagers zu besprechen. Wir werden von Julian und Sandro erwartet. Und halt so paar anderen Leuten, die wie immer bei solchen Events im Hintergrund arbeiten.

„Kai?", fragt Florian. Ich bereue es sehr, vor den beiden Labertaschen zu sitzen.

„Florian?", frage ich, ohne meine Augen zu öffnen. Ich weigere mich, sie erneut anzusehen. Ich will doch nur noch ein bisschen schlafen. Ich hatte nicht viel Schlaf letzte Nacht.

„Bist du nicht aufgeregt?", fragt Florian.

„Nein", sage ich. Wieso sollte ich? Ein Schlagloch in der Straße sorgt dafür, dass mein Kopf gegen die Scheibe knallt. Ich seufze, öffne dabei instinktiv die Augen und sehe, wie mich Jamal und Florian anstarren.

„Ich dachte, der Berater käme auch von Arsenal. Niclas meinte, du würdest den kennen", sagt Florian.

„Nein", sage ich.

„Schade", sagt Jamal. Naja, was für schade, es gibt Schlimmeres.
Zu meinem Glück zieht Florian nun seinen Kopf zurück, Jamal setzt sich wieder hin. Ich lehne meinen Kopf zurück an die Scheibe, spüre, wie mein Handy in meiner linken Hosentasche zu vibrieren anfängt, doch ich ignoriere es. Es könnte nichts Wichtiges sein. Ich atme einmal tief durch und falle dann doch irgendwie in einen unruhigen Schlaf.

Als ich wieder aufwache, sind wir angekommen. Die ersten sind schon ausgestiegen. Ich sehe, wie vor der Arena Julian Manuel und Toni in den Arm nimmt. Ich habe Julian ewig nicht gesehen.
Jamal und Florian stehen schon quatschend vor der Bustüre. Langsam stehe auch ich auf. Joshua, der bereits im Gang steht, nickt mir zu.

„Gut geschlafen?", fragt er. Ich zucke mit den Schultern. Ich schlafe schon lange nicht mehr gut. Joshua verlässt vor mir den Bus, hinter mir kommt Thomas.

„Jo", ruft er. Ich versuche Platz zu machen, damit die beiden Bayern nebeneinander laufen können, doch Joshua dreht sich nur fragend um, Thomas bleibt hinter mir. „Weißt du jetzt, wer dieser Roman ist?", fragt er über meine Schulter.

„Nein", sagt Joshua. Niclas scheint deren Unterhaltung mitzubekommen, er läuft vor Joshua, bleibt jetzt aber stehen.

„Kai, du kennst den doch", sagt Niclas zu mir.

„Ich kenne keinen Roman", sage ich schulterzuckend.

„Aber der ist unser Berater?", fragt Jamal. Woher soll ich das wissen?

„Berater?", fragt Thomas, „Wofür?"

„Wie soll jemand, den niemand von uns kennt, denn beraten? Und vor allem was?", fragt Joshua. Das frage ich mich allerdings auch. Nun stößt auch Robert dazu.

„Ich habe gehört, dass er kein Berater ist, sondern nur für die Budgetüberwachung zuständig ist." Was denn jetzt?

„Interessant", sagt Joshua. Interessant? Eher ungewöhnlich. Vielleicht will ich gerade etwas sagen, da kommen wir bei Julian und Sandro an.

„Hi", grüße ich die beiden mit einem festen Handschlag und einer Umarmung. Julian sieht aus, als würde er mir etwas sagen wollen, doch Thomas hinter mir ruft schon von weitem etwas in Richtung der Arena, wo Jonathan steht und ihm zuwinkt, weshalb Julian abgelenkt wird. Sandro schenkt mir ein Lächeln, dann wird auch er von Jonathan und Antonio abgelenkt. Dann halt nicht.
Ich bleibe neben Thomas und Joshua stehen, Florian und Jamal tun es mir gleich. Julian und Sandro stehen mittlerweile bei Jonathan und Antonio im Eingang der Arena und winken den Rest der Mannschaft zu sich heran. Gedankenlos trotte ich los.

Ohne mich mit dem vorherigen Thema zu befassen, tuscheln Thomas und Joshua weiter, Niclas neben mir hört über Kopfhörer laut Hip-Hop und bewegt seinen Kopf rhythmisch zum Takt, während wir bei Julian und Sandro ankommen.

„Der Besprechungsraum ist vorbereitet", informiert ein junger Kerl, vermutlich Hilfsarbeiter, Julian. Dieser deutet auf einen Raum zu unserer linken.

„Ob das Roman ist?", murmelt Jamal. Florian guckt dem Kerl auffällig hinterher.

„Ah, jaaa!", ruft Julian gleichzeitig. Doch dieser schaut nicht dem Kerl hinterher, sondern hinaus, direkt hinter uns. Sandro richtet sofort wichtigtuerisch seine Brust und winkt nach draußen. Jamal und Florian drehen neugierig ihre Köpfe, doch sie sind zu klein. Und auch ich bin versucht mich umzudrehen. Immerhin könnte ich locker über sie alle drüber gucken, außer vielleicht über Manuel oder Antonio. Aber ich tue es nicht. Es kann mir egal sein. Ich sehe, wie Jamal wohl eine Lücke findet, um durchzuschauen, und Florian seinen Ellbogen in die Seite drückt.

„Ohaaa", sagt Florian, Jamal kichert. Was haben die Zwerge entdeckt?

„Das ist also Romi", sagt nun Joshua und ihm fällt plötzlich die Kinnlade herab. Romi? Ich dachte Roman.

Ich sehe verwirrt zwischen Jamal, Florian und Joshua hin und her, bis mein Blick auf Julian landet, der mir zuzwinkert. Die Jungs um mich herum machen alle auf einmal kommentarlos Platz, als die strammen Schritte sich nähern. Und erst in diesem Moment trifft mich die Erkenntnis hart. Wie müde war ich denn, dass ich das nicht sofort geschnallt habe?

Ich ahne bereits Schreckliches, als ich meine Schultern straffe. Und weil ich nun wirklich über alle drüber schauen kann, erkenne ich die blonden Haare sofort. Mein ganzer Körper versteift.

„Hallo!" Die Jungs nicken, manche grüßen zurück. Ich versuche nicht einzuatmen. Ich versuche nicht nachzudenken. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen.

Doch dann sehe ich meinem schlimmsten Albtraum direkt ins Gesicht: Romina Valerie Engel.

Sie kommt bei Julian und Sandro an, umarmt beide. Ihre durchsichtige Brille rückt sie anschließend wieder zurecht, mit ihrer typisch arroganten Bewegung, während sie sich zu uns umdreht. Dann zeigt sie uns ihre viel zu weißen Zähne, indem sie uns ein versucht freundliches Lächeln zuwirft, welches ich der Hexe keine Sekunde lang abkaufe. Außerdem kaut sie schon wieder auf einem ihrer widerlichen Ananas-Kaugummis rum. Ihre gesamte Anwesenheit löst eine Gänsehaut bei mir aus. Fuck. Wieso ausgerechnet sie?

Und als könnte es nicht noch schlimmer kommen, versteift auch sie plötzlich, ihr Lächeln fällt in sich zusammen, ihr Ausdruck friert ein, in dem Moment, als mich ihre stahlblauen Augen direkt ansehen.

[Kai Havertz] Wer zuerst fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt