Kapitel 6

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Gerade ziehe ich meine Sportsachen an, es ist erst halb sieben morgens und ich will nur eine schnelle Runde joggen, bevor ich mich an die Budgettabellen gebe. Für die Jungs beginnt erst um halb acht das Frühstück, danach haben sie bis zum Mittag um zwölf Training. Mit Julian habe ich dann erst einen Termin zum Nachmittag. Und gegen Abend muss ich den Ernährungsplan für morgen abgeben, obwohl ich noch nicht alle Sonderwünsche der Jungs notiert habe. Es gibt immer ein paar, die einfach nicht in die Gänge kommen.

Bevor ich rausgehe, prüfe ich kurz mein Aussehen. Meine Augen sind noch sehr verschlafen und der Dutt auf meinem Kopf eher wirr, aber zum Joggen reicht es. Geschminkt und geduscht bin ich logischerweise noch nicht, aber das ist mir egal.
Ich ziehe meine Brille aus, weil ich es hasse, mit Brille zu laufen und hoffe einfach, dass mir niemand begegnet, den ich dann nicht erkenne, schnappe mir mein iPhone und die AirPods sowie die Zimmerkarte und begebe mich dann leise in den Flur. Es ist noch alles still, zum Glück.
Unbemerkt komme ich also vor dem Hotel an, die Rezeption ist aktuell nicht besetzt, stecke meine AirPods in die Ohren, schalte die Lauf-Playlist ein, stecke mein Handy in meinen Sport-BH, der ziemlich eng ist, obwohl ich nicht viel Oberweite habe und laufe dann endlich los.

Ohne mir viele Gedanken über meine Route gemacht zu haben, laufe ich als erstes Richtung Wald, von dort aus zum Trainingsgelände, was ich selbstverständlich nicht betrete, weil ich befürchte, dass einige der Jungs schon viel zu früh da sein könnten, und laufe stattdessen hinter dem Trainingsgelände durch den anderen Wald zurück.

Als ich wieder vor dem Hotel ankomme, bin ich gerade mal sechs Kilometer gelaufen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir trotzdem schon viertel vor acht haben, ich war ziemlich langsam, doch wenigstens sind die Jungs jetzt alle beim Frühstück und ich habe meine Ruhe. Noch mit den AirPods in den Ohren laufe ich völlig motiviert die Stufen hoch, statt den Aufzug zu nehmen, wenn ich schon mal Sport mache, und komme im vierten Stock an.
Noch zum Takt der Musik wippend, ziehe ich auch meine Zimmerschlüsselkarte aus meinem schweißnassen BH. Seit wann schwitze ich so viel? Ich sollte mal wieder öfter laufen gehen, vielleicht wäre ich dann auch schneller.
Doch meine Karte funktioniert nicht, als ich sie an die Tür halte. Schnell hole ich die AirPods aus meinen Ohren, um zu prüfen, ob sie wenigstens piept. Tut sie nicht. Stattdessen höre ich die Türe hinter mir zuknallen. Vor lauter Schreck drehe ich mich um und lasse mein Handy auf den Boden fallen.

Vor mir steht Kai, der erschreckend fertig aussieht. Seine Augenringe schimmern dunkel, seine Augen selbst scheinen glasig. Ich öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, schließe ihn aber sofort wieder, weil ich nicht weiß, was ich sagen will. Schließlich fragen wir uns nicht, ob alles gut ist oder wie es uns überhaupt geht. Stattdessen starre ich Kai nun weiterhin an, der ebenso keinerlei Anstalten macht, etwas zu sagen oder sich zu bewegen. Er sieht so elendig aus. Abwertend sieht er einmal an meinem triefenden Körper hinab. Ich tue es ihm gleich. Sein Körper wirkt eingefallen. Was er wohl letzte Nacht getrieben hat? Schnell löse ich den Blick und bücke ich mich mehr schlecht als recht, um mein Handy aufzuheben, dabei fällt mir mein AirPodcase aus dem Ausschnitt. Kai zuckt nicht mal.
Erst, als ich mich wieder aufrichte, kommt er einen Schritt auf mich zu, weshalb ich mich möglichst schnell umdrehe und erneut versuche, die Türe zu öffnen.

„Wegen Sophia-", setzt er an und seine Stimme klingt ungewohnt kratzig. Tja, wären wir Freunde, würde ich dir jetzt zuhören.

„Mir egal", sage ich. Und dann endlich ertönt der erlösende Ton meiner Zimmerschlüsselkarte und ich verschwinde, ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen, in meinem Zimmer.
Schnell schlage ich die Türe hinter mir zu, doch erst jetzt bemerke ich, dass die letzten Sekunden auf dem Flur eindeutig anstrengender, als mein Lauf waren, weshalb ich mich kurzerhand mit dem Rücken an die Türe anlehne und erschöpft auf den Boden sacken lasse. Reiß dich zusammen. Es ist doch egal. Soll er mit seiner großen Liebe machen, was er will. 

[Kai Havertz] Wer zuerst fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt