Kapitel 16

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Sein Geruch nach Menthol und Limette ist überall. Kai blinzelt müde, er versucht mich anzusehen, doch ihm fallen immer wieder die Augen zu. Endlich.
Seit er meine Hand genommen hat, haben wir kein Wort mehr gewechselt. Aber das müssen wir auch nicht. Wir konnten früher schon ohne Worte kommunizieren. Er hält meine rechte Hand noch immer fest, mit meiner linken Hand fahre ich durch seine weichen Haare. Er blinzelt ein letztes Mal, dann bleiben seine Augen geschlossen. 

Ich atme tief durch und versuche mich mit aller Kraft zusammenzureißen.

Er atmet langsam aus. Ich streichle ihm ein letztes Mal durchs Haar, dann ziehe ich meine Hand zurück.
Wir liegen uns mit genügend Abstand gegenüber, in seinem Bett, wo die ganze Bettwäsche nach ihm riecht und mich noch in den Wahnsinn treibt. Ich ziehe nun auch ganz vorsichtig meine linke Hand zurück. Doch in dem Moment, in dem ich sie bewege, schließt sich Kais Hand fester um meine, zieht sie näher an sich ran. Scheiße, was mache ich denn hier?

Ich hätte nicht nachgeben sollen, ich hätte das nicht tun sollen. Jetzt liege ich ja doch hier, spüre mein eigenes Herz bis in meinen Hals schlagen, alles riecht nach ihm, er ist direkt vor mir, so nah wie ewig nicht und trotzdem ist er so weit entfernt und unerreichbar, dass es mich killt auch nur eine Sekunde sein Gesicht anzusehen und zu wissen, wie es mal war und wie es jetzt ist. Es ist nicht so, als hätten wir nicht schon unzählige Male in einem Bett gelegen, aber nicht mehr seitdem.

Ich höre seinen leisen Atem, seine Brust hebt und senkt sich regelmäßig, seine Gesichtszüge sind plötzlich viel weicher. Ich kann nicht anders, ich streiche einmal über sein Gesicht. Sofort stehe ich völlig unter Strom und bereue diese dumme Geste. Kai drückt meine Hand noch einmal. Ich halte es nicht aus.

Mein Puls bleibt auf seiner hohen Frequenz, ich bin hellwach, wie angeknipst. Gut, ich habe auch eben schon paar Stunden geschlafen, aber trotzdem. Wie könnte ich jetzt in seinem Bett einschlafen und so tun, als wäre nichts?

Immer, wenn ich versuche die Augen zu schließen, schießen mir Bilder in den Kopf, Kai in meinem Bett, weil er sich in mein Zimmer schleicht, wenn er eigentlich bei meinem Bruder ist, um mit mir einen Film anzusehen, ich in Kais Bett, wenn Kilian und ich nach einer Party irgendwo übernachten mussten. Und natürlich die letzte Nacht, in der ich in Kais Bett gelandet bin. Jedes Mal zucke ich zusammen. Ich kann die Bilder nicht zulassen, sie würden mich killen. Schon wieder.

Kai beginnt leise zu schnarchen, wieder versuche ich ihm meine Hand zu entziehen und dieses Mal schläft er so tief, dass er sie nicht weiter festhält. Vorsichtig ziehe ich meine Hand hervor, er bewegt sich nicht, schnarcht weiter. Mein schweres Herz wünscht sich nichts mehr, als einfach hier bleiben zu können, als ihn in den Arm zu nehmen und einzuschlafen. Aber mein Kopf verweigert es. Das ist immer noch er.

Also rücke ich vorsichtig von ihm weg, beobachte jede seiner Regungen, dann stehe ich auf. Er schläft noch immer. Das war das Ziel, ich habe hier nichts mehr verloren. Mit einem letzten Blick auf ihn schleiche ich vorsichtig aus seinem Zimmer.

Erst im Hotelflur atme ich wieder richtig durch. Schweren Schrittes betrete ich mein Zimmer. Ich breche gleich zusammen. Sofort muss ich mir meine Kleidung auszuziehen, alles riecht nach ihm. In Unterwäsche lege ich mich in mein Bett. Sogar meine Haare riechen nach ihm. Es ist drei Uhr morgens, doch mir bleibt nichts anderes übrig, als zu duschen.
Und als ich mitten in der Nacht unter dem heißen Wasserstrahl stehe und versuche mir die letzte Stunde aus dem Kopf zu waschen, kann ich auch die Tränen nicht mehr aufhalten.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, erinnere ich mich nicht, wie und wann ich eingeschlafen bin. Ich weiß nur, dass ich absolut keinen friedlichen Schlaf hatte.
Ich fühle mich schwach und gerädert, irgendwie schmerzen meine Waden, meine Augen fühlen sich trocken an und mir brummt der Schädel. Ich seufze wehleidig, dann suche ich im Gewühl der Bettdecken meines Bettes mein Handy. Und als ich auf die Uhr schaue, trifft mich der Schlag. Es ist fünf vor Zehn, in fünf Minuten fährt der Bus ab.
Ich habe keine Ahnung, wie ich es schaffe, in sekundenschnelle eine kurze Hose und ein einfaches Tshirt anzuziehen, mein Gesicht zu waschen, meine Zähne zu putzen und meine von der nächtlichen Dusche extrem wilden Haare irgendwie zu bürsten und in einen Dutt zu stecken. Eigentlich reicht die Zeit nicht mehr, um meine Wimpern zu tuschen, ich tue es trotzdem, werfe einen Ananas-Kaugummi ein, ziehe die Deutschlandjacke über, schmeiße iPad und DFB-Ausweis in meine Handtasche, nehme mein Handy und laufe dann so schnell ich kann zum Parkplatz.
Völlig außer Atem komme ich natürlich als Letzte an, fünf Minuten zu spät. Julian sitzt genervt in der ersten Reihe und sieht mich verwirrt an, als ich hektisch die Stufen des Busses hochstolpere und mich nur so gerade an einem Sitz festhalte, bevor ich im Gang lande.

[Kai Havertz] Wer zuerst fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt