Kapitel 24

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- Leo -

Ich hätte nie gedacht, das es sich so gut anfühlt darüber zu reden. Es tat so gut und aus irgendeinem Grund fühle ich mich auch viel besser, jetzt, wo Jimmy Bescheid weiß. Ich glaube, auch wenn es schwer war, dass ich das Richtige getan habe.

Das Jimmy allerdings so heftig reagiert, damit hatte ich absolut nicht gerechnet. Aber es ist Blödsinn, dass er sich wegen seinem Verhalten so fertig macht. Klar, okay war er nicht, wie er anfangs mit mir umgesprungen ist, aber bei weitem nicht so heftig wie das, was ich in der Vergangenheit durchmachen musste. Welcher Drittklässler fälscht bitte Unterschrift des Erziehungsberechtigten, um keinen Eintrag ins Klassenbuch zu bekommen? Wie viele zehnjährige Mädchen geben ihr letzten Geld für Nahrungsmittel aus, welche dann nie in ihrem eigenen Magen landen? Kurz gesagt – ich war jahrelang selbstversorgend und im gewissen Maße auch kleinkriminell. Irgendwie musste ich ja an das Geld zum Überleben kommen. Von dem Erbe meiner Großeltern habe ich keinen Cent bekommen, dafür hat ER gesorgt. Als ich älter wurde habe ich neben der Schule hier und da gejobbt, um mich über Wasser zu halten. Indessen war ich so schlau und habe das Geld sicher vor meinem Stiefvater versteckt. Man mag es nicht glauben wie viel Geld manche Eltern für Nachhilfestunden zahlen. Denn wenn ich eines nicht war, dann doof! Teilweise habe ich Schülern aus meiner Klasse Nachhilfe gegeben und sie haben mich angesehen, als wäre ich eine Fremde.

Nach diesem Gespräch konnten Jimmy und ich nicht mehr einschlafen. So liegen wir jetzt nebeneinander in meinem Bett und schauen nach oben an die Decke. Ich habe meinen Kopf auf Jimmy's Brust gebettet und lausche seinem Herzschlag. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig; anders, als noch vor einer Stunde.

„Kann ich dich was fragen?" Jimmy zieht den Arm unter seinem Kopf weg und stützt ihn darauf ab. Er sieht auf mich herab und im seichten Schein des Mondes – die Nachttischlampe haben wir ausgeschaltet – fährt er die Konturen meines Gesichts nach, was mich lächeln lässt.

„Hast du je daran gedacht ... also, dich selbst ..." Wieder bricht Jimmy ab und nimmt seine Hand zu sich. Ich weiß, was er fragen will und ich kann spüren, wie unangenehm ihm seine Frage ist. Sicher würde er verstehen, wenn ich nicht darüber sprechen wollen würde, aber er hat so viel für mich getan und war in letzter Zeit immer für mich da. Jetzt, wo er einen Teil meiner Vergangenheit kennt, kann er auch den Rest wissen.

Ich setzte mich auf; Jimmy tut es mir gleich. Abwartend sieht er mich an. Nachdem ich noch ein paar Mal tief durchgeatmet habe schiebe ich langsam die Ärmel meines Pullovers ein paar Zentimeter nach oben. Ich muss wegschauen, kann mir das, was ich mir da angetan habe, nicht ansehen. Außerdem ist es mir peinlich. Wer zeigt schon gern seine schwache Seite? Richtig – Niemand!

Jimmy sieht mir erst noch ein paar Sekunden ins Gesicht, ehe er den Blick auf meine Arme gleiten lässt. Unweigerlich halte ich die Luft an und schließe die Augen. Ein dicker Kloß hat sich in meinem Hals gebildet, den ich nun vergeblich versuche herunterzuschlucken. Außerdem brennen meine Augen und ein Schweißfilm hat sich auf meiner Stirn gebildet. Meine Gedanken kreisen so wild durcheinander, das mir schon schwindelig ist und ich Kopfschmerzen zu bekommen drohe. Erst, als ich Jimmy's Finger auf den Narben auf meinen Armen spüre beruhigt sich mein Körper wieder. Gut so – nichts könnte ich gerade weniger gebrauchen als eine Panikattacke. Mein Herzschlag verlangsamt sich wieder und ich kann die Augen wieder öffnen, ohne dass die Tränen fließen. Trotzdem traue ich mich nicht seinen Blick, den ich ganz deutlich auf mir spüren kann, zu erwidern und schaue weiter auf die Falten im Bettlaken.

Was ihm wohl gerade durch den Kopf geht? Was denkt jetzt wohl über mich? Am liebsten würde ich ihn einfach ganz direkt fragen, doch ich schweige. Wie so oft. Doch auch Jimmy sagt kein Wort. Ich spüre seinen fragenden Blick auf mir, wage es aber nicht, ihm in die Augen zu sehen. Mir ist klar, dass Jimmy mich dafür nicht verurteilen würde. Nicht jetzt, wo er die Geschichte meiner Vergangenheit kennt.

Das mir erneut die Tränen in die Augen gestiegen sind merke ich erst, als eine davon neben mich auf das Laken tropft. Jimmy ist schneller als ich und wischt eine weitere von meiner Wange. Ich schließe die Augen und genieße seine Berührungen. Am liebsten würde ich diese letzten Minuten aus meinem Gedächtnis löschen. Ach, was sage ich – diese ganze Nacht! Ungeschehen will ich sie nicht machen, einfach nur vergessen. Jetzt wo Jimmy alle Einzelheiten meiner Vergangenheit kennt, fühlt es sich irgendwie erträglicher an, damit zu leben. Leben zu müssen.

„Geht es dir gut?", fragt Jimmy irgendwann in die Stille hinein und zieht so meine Aufmerksamkeit auf sich. Zum ersten Mal seit meinem Geständnis, kann ich ihm wieder in die Augen sehen. Besorgt schaut er mich an; seine Hände liegen weiterhin auf meinen Armen. Schnell schiebe ich diese von dort fort und ziehe die Ärmel meines Pullovers nach unten.

„Keine Ahnung. Ich denke schon.", antworte ich mit einem räuspern. Doch ich sehe Jimmy an, dass er mir nicht glaubt. Er merkt, dass ich nur zurück in mein Schneckenhaus gekrochen bin und versuche, dieses letzte Gespräch zu vergessen. Vorsichtig, als würde ich zerbrechen, zieht Jimmy mir meinen Pullover über den Kopf. Das er keine zweideutigen Gedanken hat, sehe ich ihm an. Er will mir nur einen Spiegel vorhalten. Und als ich jetzt im schummrigen Licht mit nichts, als meinen Shorts und dem BH vor ihm sitze wird mir klar, wie sehr ich das gebraucht habe. Die ersten Schluchzer durchzucken mich und ich lasse mich kraftlos an Jimmy's Brust fallen. Er nimmt mich in die Arme und zieht mich eng an sich. Gleichmäßig streicht er mir über den Rücken und haucht mir immer wieder Küsse auf den Scheitel. Das sein Shirt von meinen Tränen völlig durchnässt ist, scheint ihn nicht zu stören. Ich kralle mich an ihm fest, als hinge mein Leben von ihm ab. Und irgendwie tut es das gerade auch. Wenn ich all das hier alleine durchmachen müsste, würde ich zerbrechen. Doch jetzt habe ich Jimmy – meinen Anker in der Brandung an dem ich mich festhalten kann. Und der gleichzeitig mich hält.

Noch lange, nachdem eine letzte Träne geflossen ist sitzen wir eng umschlungen auf meinem Bett. Jimmy hat die Decke um uns gewickelt, da durch das offene Fenster ein kalter Wind hineinweht.

„Hat er dich irgendwann geschlagen?" Irgendwie war klar, dass die Frage kommen wird und trotzdem war ich so nicht darauf vorbereitet.

„Nein, nie.", antworte ich und spüre in meinem Rücken, wie Jimmy erleichtert durchatmet. Ich drehe mich zu ihm um.

„Aber man muss nicht immer zuschlagen, um Jemanden wehzutun. Das können Worte auch.", füge ich hinzu. Alleine bei den Erinnerungen, was ich mir Alles anhören durfte, dreht sich mein Magen um.

„Kommt es eigentlich auch daher, dass du Angst vor Gewittern hast?", fragt Jimmy weiter, der ganz offensichtlich übergehen will, dass man meinen letzten Satz genau so gut auf ihn beziehen könnte.

„Wenn dir nie Jemand sagt, dass ein Gewitter nicht gefährlich ist ... Meine Oma hat sich immer zu mir ins Bett gelegt und mir Geschichten erzählt. Da habe ich ihr zugehört und die Blitze und das Donnern vergessen." Bei den Erinnerungen muss ich lächeln.

Together we are strongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt