Kapitel 6

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- Leo -

Den Rücken gegen die Tür gepresst lausche ich und warte bis sich Jimmy's Schritte entfernen. Ich drücke meine Hand fest auf meinen Mund, um die Schluchzer zu unterdrücken. Denn unter keinen Umständen soll er mitbekommen, dass ich erneut kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe. Erst als ich die Tür zu meinem Zimmer ins Schloss fallen höre nehme ich meine Hände nach unten und im selben Augenblick sacke ich zusammen. Meine Beine werden weich und ich rutsche langsam an der Tür herunter bis ich auf den kalten Fliesen sitze. Verzweifelt versuche ich mir auszumalen, was Jimmy jetzt wohl von mir denken mag. Eigentlich sollte es mir egal sein, denn immerhin war ich es ihm die ersten Wochen auch. Bin es ihm wahrscheinlich noch immer. Und dennoch mache ich mir Gedanken darüber. Dabei lag meine Flucht nicht einmal an Jimmy. Zumindest nicht direkt. Diese plötzliche Nähe war es die mir Angst gemacht hat. Ich habe mich eingeengt gefühlt; hatte kaum Luft zum Atmen. Genau wie früher. Das mir das ausgerechnet Jimmy gegenüber passiert ist war Zufall. Nichts weiter als ein dummer Zufall. Ich sah keinen anderen Ausweg als die Flucht ins Badezimmer. Und da sitze ich nun und versuche meine Atmung wieder zu normalisieren und die Tränen zu verdrängen.

„Leo? Ist alles okay?" Erschrocken schaue ich auf. Barby, mit der ich mir das Badezimmer teile und die wahrscheinlich von ihrem Zimmer aus hereingekommen ist, steht jetzt vor mir und sieht mich fragend an.

„Ja ... also, nein. Ach, keine Ahnung.", stammele ich zur Antwort und wische mir eine einzelne Träne weg, die es doch aus meinem Augenwinkel geschafft hat.

„Ist es wegen Jimmy? Was hat er wieder angestellt?" Langsam, als würde sie eine Reaktion von mir erwarten, kommt Barby näher und setzt sich auf den geschlossenen Toilettendeckel.

„Nein, es ist nicht wegen Jimmy.", antworte ich ehrlich.

„Es ist alles gut.", schiebe ich hinterher.

„Und warum sitzt du dann hier alleine im Badezimmer auf dem Boden und nicht mit uns beim Frühstück?" Auf eine Antwort wartet sieht sie zu mir herab. Ich sollte ihr antworten, dass weiß ich. Doch ich weiß nicht was ich sagen soll, ohne Barby mit zu viel aus meiner Vergangenheit zu belasten. Oder mich selbst. Nach allem was heute schon passiert ist, würde ich diese Erinnerungen nicht ertragen.

„Ich ... ich habe keinen Hunger. Wahrscheinlich der Magen." Eine schwache Ausrede, ich weiß. Doch es ist die einzige, die mir auf die Schnelle eingefallen ist.

„Leo, dein Magen rebelliert höchstens, weil er zu wenig bekommt. Seitdem du bei uns bist hast du dich immer in deinem Zimmer verkrochen, wenn es ums Essen ging. Hast du irgendwelche Probleme?", fragt Barby vorsichtig. Das irgendwann irgendwer auf solche Ideen kommen könnte, soweit habe ich gar nicht gedacht.

„Was? Nein, nein. Es ist nur ... mit euch allen an einem Tisch zu sitzen, das macht mir irgendwie Angst. Also nicht ihr, sondern vielmehr die Enge und die vielen Menschen." So, jetzt ist es raus. Von Barby kommt keinerlei Reaktion. Sie sitzt einfach nur da auf dem Toilettendeckel im Schneidersitz und sieht mich an. Zwei Gedanken schießen mir durch den Kopf – der erste, sie verarbeitet das Gesagte noch und der zweite, ich habe sie mit meinen Worten so überfordert, dass sie jetzt nichts zu sagen weiß.

„Ich bin das einfach anders gewohnt von zu Hause.", füge ich hinzu und ziehe die Beine an die Brust. Das ich von 'zu Hause' rede überrascht mich, da ich mich dort, wo ich zuletzt untergekommen bin nie wirklich zu Hause gefühlt habe.

„Und das ist wirklich der einzige Grund?", hakt Barby nach und ich weiß worauf sie hinaus will.

„Ja, das hat nichts mit Jimmy zu tun." Ich versuche mich an einem Lächeln, was aber eher einer Fratze ähnelt.

„Okay, dann werde ich dich ab jetzt nicht mehr damit nerven mit uns zu essen. Versprochen."

„Du hast mich nicht genervt. Du hast es nur gut gemeint.", gebe ich zurück.

„Gut, ich müsste dann jetzt trotzdem mal dringend aufs Klo.", sagt Barby mit einem Lächeln.

„Oh, ja klar." Schnell stehe ich auf. Die Hand schon an der Klinke bleibe ich nochmal stehen.

„Danke." Und dieses Mal ist das Lächeln echt und gelungen.

Together we are strongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt