Kapitel 19

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- Jimmy -

Von einem kräftigen Stoß werde ich geweckt. Leo hat mir im Schlaf den Ellenbogen in die Rippen gerammt. Müde reibe ich mir über die schmerzende Stelle. Fast hätte ich mich umgedreht und weiter geschlafen da merke ich, das sich Leo unruhig im Bett hin und her wälzt. Ich muss an jene Nacht denken, als ich bei ihr im Zimmer das Fenster geöffnet habe und mich gefragt habe, wie sie in den dicken Klamotten schlafen kann. Ob sie jede Nacht so unruhig schläft? Im Dunkeln suche ich nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe. Durch das grelle Licht geblendet kneife ich die Augen zusammen und drehe mich dann zu Leo um. Ihr Gesicht ist klatschnass und noch immer laufen die Tränen. Von der Gesamtsituation etwas überfordert rüttele ich leicht an ihrer Schulter, doch Leo rührt sich nicht.

„Hey, Leo. Wach auf.", sage ich leise und streiche ihr über die Wange. Sofort schlägt sie die Augen auf und sitzt kerzengerade im Bett. Hektisch atmet sie ein und aus und schaut sich im Zimmer um. Ich bleibe stumm neben ihr liegen, damit sie sich erst einmal sammeln und beruhigen kann. Vorsichtig lege ich meine Hand auf Leo's Rücken und streiche langsam darüber. Ihr Pullover ist klatschnass geschwitzt. Egal, Leo soll wissen, dass ich da bin.

„Alles okay?", frage ich nach einer Weile des Schweigens. Leo nickt nur und senkt den Blick dann wieder auf ihre Hände, die in ihrem Schoß liegen. Ihren Puls kann ich noch immer deutlich spüren und um zu kapieren, dass dieser viel zu schnell rast, braucht man nicht studiert zu haben.

„Ich ... ich hab nur schlecht geträumt.", bringt Leo mit einem leichten Schluchzen und Zittern in der Stimme hervor. Ich setze mich ebenfalls auf und nehme sie in den Arm. Nur zu gern würde ich ihr sagen, dass alles gut ist, doch das ist es ganz offensichtlich nicht. Ich will mich aber auch nicht aufdrängen und nachfragen. Immerhin wollte ich vor wenigen Tagen noch dafür sorgen, dass sie aus diesem Haus verschwindet. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass sie jetzt überhaupt hier bei mir ist.

Noch ein paar Minuten vergehen, in denen ich Leo einfach nur ansehe, über ihren Rücken streiche und hoffe, dass sie sich beruhigen kann. Sieht leider nicht danach aus, also ziehe ich sie fest in meine Arme. Erneut durchzuckt ein Schluchzen ihren Körper und Leo lässt sich kraftlos und völlig erschöpft gegen mich fallen. Ihre Tränen durchnässen mein Shirt, ihre Hände zittern, als sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen will, was nicht wirklich gelingen will. Langsam und gleichmäßig streiche ich ihr über den Rücken, da ich es nicht ertragen kann, Leo so zu sehen. Wenn ich nur wüsste, wovon sie geträumt hat, was ihr solchen Kummer bereitet. Da könnte ich etwas sagen, was sie tröstet, oder sie zumindest in Sicherheit wiegen. Doch das kann ich nicht.

„Willst du mir sagen was los ist?", frage ich vorsichtig, da ich weiß, dass Leo nicht gern über ihre Vergangenheit spricht.Und aus irgendeinem Grund ahne ich, dass es genau darum geht. Wie ich schon erwartet hatte schweigt Leo erst und schüttelt dann mit dem Kopf.Warum lässt sie sich nicht helfen? Warum will sie Alles mit sich selbst ausmachen?

„Leo, ich will dir helfen. Aber das kann ich nur, wenn du mit mir redest.", starte ich einen erneuten Versuch, sie zum Reden zu bewegen.

„Bitte rede mit mir. Du machst mir gerade echt Angst.", gestehe ich, doch Leo schweigt weiter. Und dann passiert etwas, mit dem ich als letztes gerechnet hatte. Leo löst sich aus meiner Umarmung, atmet noch ein paar mal tief und wischt sich die Tränen mit ihrem Pullover weg. Dann steht sie auf und ehe ich mich versehen kann ist sie schon an meiner Tür angekommen. Gut, besonders groß ist mein Zimmer nicht, aber Leo ist auch nicht besonders gut zu Fuß.

„Ich sollte nach drüben gehen. Du brauchst deinen Schlaf und wir morgen Früh keine Ausrede.", sagt sie und ist schon fast im Flur, als ich aus meinem Bett springe und ihr hinterher hechte.

„Hey, hey, warte mal." Ich halte sie an der Hand fest und sehe zu ihr hinab. „Leo, hab ich irgendwas falsch gemacht?" Ich flüstere nur, um meine Familie nicht zu wecken.

„Nein, hast du nicht. Aber es ist besser so, glaub mir.", antwortet sie ebenso leise. Ich will schon zu einer Antwort ansetzten doch Leo fällt mir mit einem „Schlaf gut." ins Wort. Dann ist sie in ihrem Zimmer verschwunden.

Verdutzt bleibe ich im Flur stehen. Es ist fast drei Uhr morgens und ich weiß nicht, was hier gerade passiert ist. Warum macht Leo dicht, sobald man ihr zu nahe kommt? Diese Frage beschäftigt mich noch, als ich wieder in meinem Zimmer im Bett liege. Ich habe mir das Kissen genommen, auf welchem bis eben Leo noch gelegen hat und habe es mir auf die Brust gedrückt. Meine Gedanken kreisen so wild durcheinander. Sieht mal wieder nach einer schlaflosen Nacht aus.

Genau so soll es kommen. Ich liege noch wach, als die ersten Sonnenstrahlen durch mein Fenster ins Zimmer fallen. Das Bettzeug neben mir ist zerwühlt und nassgeschwitzt. Da es noch dauern wird, ehe meine Geschwister aufstehen beschließe ich mein Bett neu zu beziehen. Vorher gehe ich in die Küche und hole mir ein großes Glas aus dem Schrank, welches ich bis zum Rand mit kaltem Wasser fülle. Ich leere es in einem Zug und gehe dann wieder nach oben.

Ich ziehe das verschwitze Laken von der Matratze und mache mich dann über meine eigene her, damit es nicht auffällt und Keiner Verdacht schöpft. Das Gleiche tue ich mit den Kissen und den Decken. Mit dem dreckigen Bettzeug unter dem Arm schleiche ich die Treppe nach unten, da wir aus Platzgründen die Waschmaschinen im Keller haben.

„Was wird das denn?" Ertappt drehe ich mich um und sehe Leo im Türrahmen zur Küche stehen. Mit einem Nicken deutet sie auf die Laken unter meinem Arm.

„Wegen gestern Nacht ... ich dachte es ist besser, wenn...", stottere ich zusammen, werde aber von Leo unterbrochen.

„Bereust du so sehr was geschehen ist, dass du sogar dein Bett neu beziehst. Gut zu wissen." Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und lässt mich stehen. Na toll, dass hat sie ja mal in den ganz falschen Hals bekommen. Ich wollte doch nur helfen und sie denkt, ich würde bereuen, was passiert ist. Das tue ich nämlich gar nicht. Keine Sekunde! Ich will ihr gerade hinterher und die Sache klarstellen, als von oben die ersten Stimmen zu hören sind. Kurz darauf versammeln sich Alle um den Tisch. Leo, wie immer, neben mir. Doch sie sitzt deutlich weiter weg und kaum hat sie ihr Frühstück aufgegessen, ist sie auch schon verschwunden. So viel zum Thema, sie soll ihren Fuß schonen.

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