Kapitel 36: Der Streit

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Wolf

„Oh, mein Schädel", jammerte Pearl und warf eine Aspirin in ein Wasserglas. „Ich glaube der letzte Genever war schlecht."

„Wer feiern kann, kann auch arbeiten", entgegnete Wolf und tat so, als ob sein Kopf nicht gleich platzen würde. Auch er hatte es gestern mit dem Alkohol übertrieben. Wenigstens kam sein erster Kunde erst gegen Mittag, was der Kopfschmerztablette, die er genommen hatte, genug Zeit gab, ihre Wunder zu wirken.

Pearl stöhnte und zeigte ihm den Mittelfinger, bevor sie ganz langsam aufstand, um ihre Liege für den ersten Kunden vorzubereiten. Hinter dem Tresen füllte Wolf die kleinen Kärtchen mit den Nachsorgeinformationen auf, fegte ein wenig Staub und überprüfte, ob sie noch genug Warenbestand auf Lager hatten. Dabei versuchte er, sich so wenig wie möglich zu bewegen, damit sein Kopf nicht so schlimm pochte.

Der Tag zog sich wie Gummi dahin. Zu seinen Kopfschmerzen kam noch hinzu, dass er die halbe Nacht wachgelegen hatte. Immer wieder hatte er daran denken müssen, wie besitzergreifend sich Mark benommen hatte. Wenn Blicke hätten töten können, dann wäre Wolf gestern auf dem Boot zu Asche zerfallen. Mark konnte ihn ganz offensichtlich nicht leiden, und dabei hatten sie sich doch nur ein paar Mal getroffen und keine fünf Wörter mit einander gewechselt. Gut....vielleicht hätte er ihn nicht über Bord schubsen sollen, aber Mark hatte es verdient gehabt.

Wolf hatte sich in seinem Bett hin und her gewälzt, unfähig, Marks Gesichtsausdruck zu vergessen. Die einzige, halbwegs vernünftige Erklärung für Marks Verhalten war gewesen, dass er in Wolf eine Gefahr für seine Beziehung zu Matty sah. Diese Erkenntnis besorgte Wolf. Waren seine Gefühle für Matty so offensichtlich? Wenn Mark, der ihn nur ein paar Mal getroffen hatte, davon wusste, wusste Matty es dann auch? Dabei hatte er versucht, Matty aus dem Weg zu gehen und sich seine Schwärmerei nicht anmerken zu lassen.

Aber jetzt waren Matty und er Freunde, sie hatten sich die Hand darauf gegeben. Für Wolf gab es keinen guten Grund mehr, ihm aus dem Weg zu gehen. Außerdem wollte er Matty dabei helfen herauszufinden, wer sein Stalker war. Er war ein erwachsener Mann, kein hormongesteuerter Teenager. Matty war mit Mark zusammen, auch wenn Wolf nicht verstand warum. Mark war ein Idiot. Aber wo die Liebe hinfiel...Wolf würde sich nicht in die Beziehung einmischen. Nun ja, nicht mehr als er es gestern getan hatte.

Und dennoch...irgendetwas an Mark störte Wolf. Löste bei ihm Unbehagen aus. Wie er Wolf angesehen hatte. Und dann dieser dominante, du-gehörst-zu-mir-Arm um Mattys Schultern...Schlimm. Als ob Matty sein Eigentum wäre. Wolf konnte solche Typen nicht leiden. Aber wenn Matty das in Ordnung fand, wer war er dann, es zu hinterfragen?

Bevor er eingeschlafen war, hatte er mit sich selber ausgemacht, dass er für Matty ein guter Nachbar und Freund sein würde. Mehr nicht. Und ganz sicher würde er sich nicht zwischen Matty und Mark stellen. Nein, entschied er, er würde nicht „der andere Mann" sein. Aber diese Entscheidung fiel ihm wahrlich nicht leicht.

Der Vormittag im Studio zog sich hin, aber wenigstens hatte die Aspirin wahre Wunder gewirkt.

„Wolf, sei ein guter Chef und hol mir einen Tripple Espresso ja?" rief Pearl ihm zu, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Sie verzierte gerade das Schulterblatt eines jungen Mannes mit einem Hobbit und einem kleinen Drachen.

Er kam zu ihr und besah sich das Kunstwerk. „Sieht klasse aus."

„Wirklich?" fragte der junge Mann mit zittriger Stimme.

„Hey, nicht bewegen", sagte Pearl und drückte seinen Kopf wieder auf die Liege. „Und natürlich sieht es super aus. Es ist mein Design."

Nachdem der junge Mann den Kopf wieder auf seine Arme gebetet hatte, sah Pearl hoch zu Wolf. „Tripple Espresso, extra Zucker. Und für unseren Tolkien Fan hier vielleicht was Süßes." Sie zeigte auf ihr eigenes Gesicht und verzog den Mund. Wolf wusste, was sie meinte. Der Kunde sah sehr grün um die Nase aus und zitterte leicht. Ein Anzeichen dafür, dass die Chancen gutstanden, dass er bald in Ohnmacht fallen würde. Das passierte schon Mal. Zucker und eine Pause würden helfen.

Tinte, Torte und TestosteronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt