Wolf
Müde fuhr sich Wolf mit der Hand über die Stoppeln auf seinen Wangen und sah aus dem kleinen Bullauge. Die Morgensonne funkelte auf dem Wasser der Gracht, auf dem eine Entenmutter und ihre Küken träge vorbei paddelten. Er streckte sich, dann lauschte er. Von Matty war nichts zu hören. Vielleicht schlief er noch.
Vorsichtig stieg er aus dem Bett, zog sich an und schlich dann auf Zehenspitzen in den Hauptraum des Boots. Doch die Sitzbank auf der Matty geschlafen hatte war leer. Die Decke, die Matty benutzt hatte, war ebenfalls weg.
Wolf ging die Holztreppe zum Deck hinauf und zog die frische Morgenluft tief in seine Lungen. Es war frisch, aber nicht mehr so kalt wie noch vor ein paar Wochen. Die Sonne wärmte sein Gesicht und für einen Moment schloss er die Augen und genoss den Anflug von Sommer, der in der Luft lag. Dann trat er ganz hinaus auf das Deck. Matty saß eingewickelt in die Decke auf einem der Stühle.
„Hey, guten Morgen", sagte Wolf und trat neben ihn.
Matty sah zu ihm hoch. Seine Augen waren gerötet und dunkle Schatten zeigten sich auf seiner Haut. Er sah aus, als ob er keinen Moment geschlafen hatte.
„Wie geht es dir?" fragte Wolf, doch anstelle einer Antwort schälte sich Matty aus der Decke und hielt einen Wolf wohlbekannten Zeichenblock hoch.
„Hast du das gezeichnet?" fragte Matty und seine Augen bohrten sich in Wolfs. Matty schob herausfordernd das Kinn vor.
Sein Zeichenblock. Wolf schluckte. Sein Herz pochte schmerzhaft gegen seine Rippen. Wo hatte Matty den gefunden? Der war doch in seinem Rucksack gewesen. Er hatte ihn immer bei sich. Ihm rann ein kalter Schauer über den Rücken. Matty hatte seine Zeichnungen gesehen. Die Zeichnungen von ihm.
Sein Mund war so trocken, dass er zwei Mal Schlucken musste, bevor er antworten konnte. „Ich kann das erklären."
„Ach ja?" Matty sah hinab auf den Zeichenblock. Er blätterte zu einer Seite um und hielt eine Zeichnung hoch.
Es war Wolfs Lieblingszeichnung. Sie zeigte Matty, wie er abends in der Bäckerei tanzte. Wolf erinnerte sich noch an den Abend, an dem er sie angefertigt hatte. Es hatte den ganzen Tag geregnet. Die Menschen waren abhetzt durch die Straße gehuscht. Gestresst, genervt und kurzangebunden. Doch inmitten der Dunkelheit der Nacht, dem Regen und der Kälte, hatte Matty getanzt, gesungen und gelacht. Sein Schatten hatte kreiselnde Silhouetten auf die Pfützen gemalt. Mit seiner Freude und Wärme hatte Matty den Abend für Wolf verzaubert.
„Dann erklär es mir", sagte Matty, „denn ich verstehe es nicht." Mattys Stimme klang verletzt, verärgert.
„Ich...", setzte Wolf an, doch er wusste nicht, wie er weitermachen sollte. Er konnte Matty nicht die Wahrheit sagen, nicht so kurz nach dem, was gestern passiert war. Das konnte er einfach nicht. Matty brauchte jetzt Sicherheit und Geborgenheit, und nicht, dass er ihm gestand, dass er sich in ihn verknallt hatte. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er Matty ebenfalls belogen hatte. Er hatte ihm vorgemacht, dass sie nur Freunde waren und er auch nicht mehr wollte als das.
Aber Matty brauchte jetzt einen guten Freund, keinen verliebten Nachbarn. Er fuhr sich durch seine Haare und atmete einmal tief durch. Er würde Matty die halbe Wahrheit erzählen. Genug, aber nicht zu viel, um ihn zu verschrecken. Matty zu verletzen war das Letzte, was er wollte.
„Ich habe dich abends öfter aufräumen sehen. Du hattest die Musik aufgedreht und ich konnte dich durch die Fenster sehen. Du hast die Welt um dich herum gar nicht wahrgenommen, so vertiefst warst du in die Musik." Er sah zu Matty, doch er konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
„Schon seit ich das Legendary aufgemacht habe, habe ich Probleme mit dem Zeichnen. Eine Art...Blockade. Ich habe einfach nichts aufs Papier gebracht. Es war alles Müll. Und es ging einfach nicht weg.
Und dann habe ich dich gesehen. Wie du getanzt hast. Und gesungen. Und auf einmal, da konnte ich wieder zeichnen. Diese Blockade war wie weggeblasen."
Er seufzte und sah hinaus über das Wasser. Warum konnte er es nicht so sagen, wie er es meinte?
„Matty, du warst immer so gut gelaunt. So fröhlich und ... lebendig. Das ... das war ansteckend. Immer wenn ich dir zugesehen habe, dann habe ich mich besser gefühlt. Nicht mehr so ... alleine. Fuck!" sagte er und drehte sich ganz zum Wasser. Er krallte die Finger um die Reling. „Das klingt so falsch. So meine ich das nicht. Ich...." Doch er brachte kein Wort mehr heraus, aus Angst, dass er alles nur noch schlimmer machen würde.
Hinter ihm knarrte der Stuhl, bevor leise Schritte über das Deck auf ihn zukamen. Er spürte Mattys Wärme neben sich, doch er drehte sich nicht zu ihm um. Als Matty in dem Skizzenblock blätterte, zog sich Wolfs Magen schmerzhaft zusammen. Matty musste ihn hassen. Er hatte ihn genauso gestalkt wie Mark. Hatte ihn im Geheimen beobachtet und angelogen.
„Dieses hier mag ich am liebsten", sagte Matty leise. Wolf sah nun doch zu ihm hinüber. Die Zeichnung zeigte Matty, wie er über seine Schulter zum Betrachter sah. Im Hintergrund sah man verschwommen die Bäckerei und die Gracht.
Matty strich mit dem Finger über die Zeichnung, bevor seine grünen Augen hoch zu Wolf sahen. Er presste die Lippen aufeinander, bevor er fragte: „Wolf, warum hast du immer nur mich gezeichnet?"
Wolfs Herz raste. Wenn das hier ein Film wäre, dachte er, würde er Mattys Gesicht in seine Hände nehmen, ihm tief in die Augen sehen und ihn dann zur Antwort küssen. Und sie würden happily ever after leben. Doch das hier war kein Film.
Doch als Wolf in Matty übermüdetes, fragendes und verwirrtes Gesicht sah, wusste er, dass er Matty die ganze Wahrheit sagen musste. Auch wenn das bedeutete, dass Matty nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Er sah hinab auf die Zeichnung. „Ich habe immer nur dich gezeichnet, Matty, weil ich ... weil ich dich wirklich sehr mag." Wolf hob den Blick. „Ich ... habe Gefühle ... für dich."
Matty sah ihn nur an, sagte kein Wort. Er hatte es vermasselt. Wolf ließ den Kopf sinken. „Es tut mir leid, Matty. Ich hätte das nicht tun sollen." Er dreht sich um, um unter Deck zu gehen, weil er keine Sekunde länger in Mattys Gegenwart verbringen konnte, in dem Wissen, dass er Matty verletzt hatte. Doch er war kaum zwei Schritte gegangen, als sich Mattys warme Finger um seinen Unterarm wanden.
„Warte."
Wolf sah in Mattys wunderschöne grüne Augen. Matty holte Luft, biss sich auf die Lippen, sah dann über das Wasser. Als Wolf schon glaubte, dass Matty gar nichts mehr sagen würde, flüsterte dieser: „Du ... magst mich?"
„Ja. Sehr sogar."
Matty seufzte, dann senkte er den Kopf. „Wie lange schon?"
„Eine Weile", sagte Wolf. „Eigentlich schon von Anfang an."
Bei seinen Worten stieß Matty ein kurzes Lachen aus. „Und ich dachte die ganze Zeit, du hasst mich."
„Nein, Matty, ich könnte dich niemals hassen", sagte Wolf und versuchte, Matty in die Augen zu sehen. Als der den Kopf nicht hob, packte Wolf Matty bei den Schultern. „Matty, ich weiß, ich habe das nicht gezeigt, aber ich mag dich wirklich sehr gern. Mehr als gern, verstehst du?"
Bei seinem Worten hob Matty endlich den Kopf. Tränen schimmerten in seinen Augen, doch er sagte kein Wort. Wolfs Brust zog sich zusammen, so stark waren seine Gefühle. Und bevor er sich stoppen konnte, beugte er sich vor und presste seine Lippen sanft auf Mattys. Für eine Sekunde versteifte sich Matty, doch dann erwiderte er den Kuss. Wolf spürte Mattys Hände auf seinem Rücken und sein Herz hüpfte vor Glück.
Doch es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Matty ihn plötzlich von sich stieß und ein paar Schritte zurücktrat. Seine Hand fuhr zu seinem Mund. Tränen rannen ihm über die Wangen, als er Wolf ansah. „Ich...ich kann das nicht. Das war ein Fehler."
Und dann rannte er an Wolf vorbei und hastete vom Boot.
„Matty!" rief Wolf und lief ihm hinterher. „Warte! Matty! Bitte!"
Doch Matty rannte immer weiter, die Decke wie ein Cape hinter sich her flatternd. Wolf blieb auf der Ufermauer stehen und sah ihm nach. Was hatte er nur getan?
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Tinte, Torte und Testosteron
Roman d'amourMatty liebt seine kleine Bäckerei in Amsterdam. Das Leben wäre perfekt, wenn da nicht neben ihm ein Tattoostudio aufgemacht hätte! Und der Eigentümer Wolf erst! Dunkelhaarig, tätowiert und mit einem Motorrad. Matty weiß 100% dass es mit Wolf zu tun...