Wolf
Matty und Mark standen vor ihm wie zwei Rehe, die im Scheinwerferlicht eines Autos gefangen waren. Während Mark schnaufte als ob er gerade einen Marathon absolviert hatte, war Matty kreidebleich im Gesicht. Er hatte die Schultern hochgezogen und schien sich hinter dem Tresen verstecken zu wollen. Der Anblick ließ heiße Lava in Wolfs Bauch aufsteigen.
Wolf hatte genug gehört, um zu wissen, dass es für Mark Zeit war um zu gehen. Niemand hatte das Recht, jemanden so anzuschreien. Und schon gar nicht Matty.
Er richtete seinen Blick auf Mark. „Zeit zu gehen."
Er war nicht überrascht, als Mark nur abfällig grunzte. „Als ob du mir was zu sagen hast." Dann wandte Mark sich wieder Matty zu, wobei er sich sichtlich bemühte, ruhig zu sprechen. „Also, ich schlage vor, dass wir uns heute nach der Arbeit treffen und alles in Ruhe besprechen. Um neun bei uns zu Hause."
Wolf sah zu Matty, der ihm einen kurzen Blick zuwarf. Dann holte auch Matty tief Luft und straffte die Schultern. Er hob das Kinn an. „Nein."
„Wie, nein?" fragte Mark und seine Stimme wurde wieder lauter.
„Nein, ich komme heute Abend nicht zur Wohnung", sagte Matty mit mehr Nachdruck und es entging Wolf nicht, dass er „zur Wohnung" gesagt hatte und nicht „nach Hause".
Das schien Mark aber nicht aufgefallen zu sein. „Dann komme ich eben hierher."
„Nein", sagte Matty wieder und Wolf konnte sehen, dass auch er sich bemühte, ruhig zu bleiben. „Ich habe es dir gesagt, Mark. Ich brauche eine Pause."
Ein komischer Laut entfuhr Mark, eine Mischung aus einem abfälligen Schnauben und einem Lachen. Es stand ihm nicht. Er trat zum Tresen und Matty zog wieder die Schultern hoch, so als erwartete er, dass Mark ihn angreifen würde. Wolf hatte genug gesehen.
„Wie ich gesagt habe, Zeit zu gehen", wiederholte er und trat seinerseits einen Schritt auf Mark zu. Es freute ihn zu sehen, dass er größer war als Mark.
„Das hier geht dich nichts an", fauchte Mark und er ballte bedrohlich die Fäuste. Wolf spannte seine Schultern an. Doch bevor er irgendetwas Dummes tun konnte, erklang Mattys Stimme.
„Bitte, Mark, geh einfach. Wir reden später, okay?"
Mark sah von Matty zu Wolf, sein Gesicht vor Wut und Entrüstung verzogen. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ ohne ein weiteres Wort die Bäckerei. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete Wolf verstohlen auf. Er konnte den Kerl wirklich nicht leiden.
„Tut mir leid, dass du das mitgekriegt hast", sagte Matty leise. Er lehnte sich mit dem Rücken an den hinteren Tresen und sah bedrückt zu Boden.
„Schon gut", sagte Wolf und wollte Matty am liebsten in den Arm nehmen. „Geht es dir gut?"
„Klar", sagte Matty und stieß sich vom Tresen ab. Für Wolf sah er gar nicht gut aus. Er war immer noch blass um die Nase. Wolf wollte etwas sagen, ihn aufmuntern oder trösten, doch Matty kam ihm zuvor. Er räusperte sich. „Was kann ich für dich tun? Kaffee wie immer?"
Da Matty ganz offensichtlich nicht über das reden wollte, was sich gerade abgespielt hatte, gab Wolf seine Bestellung ab und ging dann zurück ins Legendary. Dabei sah er mehr als einmal zur Bäckerei zurück, doch Matty war in die Backstube verschwunden.
„Das hat ja ewig gedauert", sagte Pearl. „Hast wohl noch ein bisschen geplaudert?" Sie zwinkerte ihm zu.
Pearl dachte, er hätte mit Matty geflirtet, doch die Wahrheit sah ganz anders aus. Da er die Probleme seines Nachbarn nicht vor ihrem Kunden ausbreiten wollte, zuckte er nur mit den Schultern und setzte sich auf die Ledercouch am Fenster. Pearl bot dem Kunden von den Keksen an, die Wolf mitgebracht hatte und sie machten eine Pause. Schon nach wenigen Minuten sah der Kunde wieder rosig im Gesicht aus.
Während Wolf seinen Kaffee trank und an seinen Entwürfen arbeitete, sah er immer wieder zur Bäckerei nebenan. Er sagte sich, dass er nur die schöne Aussicht auf die Gracht genoss. Doch er wusste, dass er Ausschau nach Mark hielt. Wenn sich der Kerl hier noch einmal blicken ließ, dann könnte er für nichts garantieren. Was für ein Arschloch. Matty hatte jemand besseren verdient. Jemanden, der ihn zu schätzen wusste, der ihn beschützte und umsorgte. Der für ihn da war, wenn er ihn brauchte.
Wie gerne wäre er dieser jemand gewesen.
Matty
Zwei Tage waren vergangen, seit Mark ihm in der Bäckerei eine Szene gemacht hatte. Zwei Tage absolute Funkstille. Keine Anrufe, keine Besuche, keine Textnachrichten.
„Das ist doch super", hatte Flo gesagt. „Er respektiert endlich deine Wünsche. Es ist gut, dass du mal Grenzen gesetzt hast, Matty."
Matty dahingegen fühlte sich schlecht. Ja, er hatte diese Pause gewollt, hatte sogar darauf bestanden. Aber jetzt wo er seinen Willen bekommen hatte, fühlte er sich schuldig, weil er Mark von sich gestoßen hatte. Vielleicht hatte Mark ja recht gehabt und er hatte es nicht richtig erklärt. Schließlich war es ja nicht Marks Schuld, dass er auch nicht wusste, was er gerade fühlte. Und vielleicht hätte er Mark auf dem Boot wirklich nicht einfach alleine lassen sollen. Mehr als einmal hatte er sein Telefon in die Hand genommen, um Mark eine Nachricht zu schreiben. Doch am Ende hatte er es nicht getan.
„Das ist genau der Grund, warum diese Auszeit wichtig ist", hatte Flo gesagt und sie hatte Recht. Er musste sich über seine Gefühle klar werden und das ging nicht, wenn Mark ihm ständig reinredete. Außerdem hatte er die Szene in der Bäckerei noch nicht vergessen. Was Mark da zu ihm gesagt hatte, hatte ihn wütend gemacht, weil es so ungerecht war. Aber mehr noch, es hatte ihn verletzt. Während ihrer ganzen Beziehung hatte Matty nicht mal einen anderen Mann angesehen, geschweige denn Gefühle für jemand anderen als Mark gehabt. Oder, na ja, fast nie.
Ja, Wolf sah gut aus und er war nett. Und ja, er war attraktiv. Aber das bedeutete doch nicht, dass er gleich etwas mit Wolf anfangen wollte. Oder? Matty seufzte und stellte den Besen in die Ecke im Flur, bevor er das Licht ausschaltete. Wolf...sein Nachbar ging ihm ebenfalls nicht mehr aus dem Kopf.
Wie er da in der Bäckerei gestanden hatte. Groß und dunkel und ...sicher. In dem Moment, in dem Wolf zur Tür hereingekommen war, hatte sich Matty in Grund und Boden geschämt. Was wenn Wolf gehört hatte, was Mark gesagt hatte? Aber als Mark nicht hatte gehen wollen, hatte er gewusst, dass Wolf Mark notfalls rauswerfen würde. Er hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass Wolf ihn beschützen würde. Und das war ein Gefühl, dass er schon lange nicht mehr gehabt hatte. Matty wusste ohne Zweifel, dass Wolf gegangen wäre, wenn er ihn darum gebeten hätte. Wolf würde seine Wünsche respektieren, ohne Fragen zu stellen.
Er gab ihm einfach ein gutes, wohliges Gefühl. Wie eine Tasse warmer Tee mit Honig an einem kalten Wintertag. Außerdem sah er wirklich richtig gut aus.
Hatte Mark vielleicht doch Recht? Zumindest damit, dass er in Wolf einen Konkurrenten vermutete? Matty schüttelte den Kopf. Das war doch lächerlich. Ein Bild von Wolf auf seinem Motorrad huschte durch seine Gedanken. Dann eine Erinnerung an die Galaxie, die auf Wolfs Oberarm prangte. Seine dunklen Haare, die grauen Augen, das kleine Grübchen, wenn er lächelte....
„Fuck", entfuhr es Matty.
Noch verwirrter als zuvor legte er sich ins Bett und sah noch eine Weile in den dunkler werdenden Himmel. Fahrräder fuhren vorbei, Menschen unterhielten sich leise. Am Ende war es der Regen, der ihn in den Schlaf lullte.
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Tinte, Torte und Testosteron
DragosteMatty liebt seine kleine Bäckerei in Amsterdam. Das Leben wäre perfekt, wenn da nicht neben ihm ein Tattoostudio aufgemacht hätte! Und der Eigentümer Wolf erst! Dunkelhaarig, tätowiert und mit einem Motorrad. Matty weiß 100% dass es mit Wolf zu tun...