Kapitel 6: Erste Begegnung

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Matty

„Ich weiß nicht", sagte Matty zu Flo und reichte einer Kundin über den Tresen eine Papiertüte mit frischen Erdbeer-Torteletts. Er wünschte der Kundin einen schönen Tag, bevor er sich ganz seiner Freundin zuwandte. „Ist das nicht ein wenig aufdringlich?"

„Gar nicht. Das ist gute Nachbarschaft." Flo deutete mit dem Kinn auf die Straße hinaus. „Und irgendwann musst du deine Nachbarn ja kennenlernen."

„Die Frau hab ich schon kennengelernt," gab Matty zurück. „Die war vor kaum fünf Minuten hier und hat sich einen Kaffee gekauft."

Pearl deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. „Die Frau mit den punkigen Haaren und dem Piercing an der Augenbraue?"

„Jep."

„Wow, die sah cool aus." Pearl spähte hinüber zum Legendary. „Meinst du, die lässt mich ein Foto machen und auf Insta posten?"

Matty seufzte. Flo lag ihm schon seit Tagen in den Ohren damit, dass er sich bei seinen Nachbarn vorstellen sollte. Er hatte Flos Idee gleich von Anfang an blöd gefunden. Warum musste er den ersten Schritt machen und zu seinen Nachbarn rüber gehen? Schließlich waren die nach ihm eingezogen. Darum hätten die sich bei ihm vorstellen müssen. Als Flo das nicht als Argument zählen ließ, hatte er eingeworfen, dass die Leute im Tattooladen bestimmt viel zu tun hatten. Und dann war Flo einfach rübergelaufen, um durch das Fenster zu linsen, während Matty nervös hinter der Tür zur Bäckerei gestanden hatte. Und zu allem Überfluss war praktisch im gleichen Moment seine neue Nachbarin hereingekommen.

Sie hatte sich ihm vorgestellt und dann einen großen Kaffee bestellt. Auch wenn er keine fünf Worte mit ihr gewechselt hatte, weil es ihm peinlich war, dass Flo in genau dem Moment rüber gelaufen war um zu spionieren, schien sie nett zu sein. Punkig, wie Flo gesagt hatte, aber nett.

„Ist doch jetzt egal", sagte Flo und winkte ab. „Ich habe drinnen so einen Kerl gesehen und die Frau kennst du ja schon. Vielleicht arbeiten da ja nur die zwei Leute. Also nimm jetzt ein Tablett, stell vier Kaffee drauf und Gebäck, und dann gehen wir da rüber."

„Und was ist, wenn in der Zeit jemand in die Bäckerei kommt? Außerdem hat sich die Nachbarin doch gerade erst einen Kaffee geholt, den hat sie bestimmt noch nicht ausgetrunken."

Eigentlich wusste er auch nicht, warum er sich so dagegen sträubte, hinüberzugehen. Es war nicht so, dass er schüchtern war oder Angst vor Menschen hatte. Wenn das so wäre, hätte er nie ein Geschäft aufgemacht. Nein, es war etwas anderes, aber Matty konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht, dachte er, war es weil er sich immer noch darüber ärgerte, dass ausgerechnet neben seiner geliebten Bäckerei ein Tattoostudio aufgemacht hatte. Oder weil das Gebäude so angsterfüllend gestrichen war. Oder weil das Motorrad jeden Tag vor dem Laden stand und Matty vermutete, dass es dem Eigentümer des Ladens gehörte. Er hatte den Mann bisher nur von hinten gesehen, oder mit seinem Helm auf dem Kopf. Aber er sah nicht wie jemand aus, mit dem Matty es sich verscherzen wollte. Diese Tattoo Typen waren doch alle irgendwie komisch drauf.

Doch Flo wollte keine Ausreden mehr hören. „Dann häng eben das „Back in 5 minutes" Schild auf. Es dauert ja nicht lange. Und wenn die den Kaffee nicht mögen, dann eben nicht. Es geht um die Geste, Matty." Als Matty immer noch zögerte, stemmte Flo die Hände in die Hüften. „Ich zähl jetzt bis drei und dann gehen wir da rüber. Sei kein Frosch!"

„Ist ja gut." Widerstrebend stellte Matty die Kaffeemaschine an und richtete dann kleine Apfelküchlein und bokkenpootjes – ein Baisergebäck mit Schokoladenganache – auf einen großen Teller an. Bevor er sich noch weiter hineinsteigern konnte, schob Flo die Tür auf. Sie zog die Augenbrauen hoch und Matty atmete einmal tief durch. Sie hatten Kaffee und Kuchen und kamen in Frieden. Was sollte schon schief gehen?

Tinte, Torte und TestosteronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt