Wolf
Zwei Wochen waren seit dem Kuss vergangen. Zwei Wochen, in denen Wolf nicht mit Matty gesprochen hatte. Und dabei wollte er sich so gerne bei ihm entschuldigen. Ihm erklären, warum er ihn geküsst hatte. Ihm sagen, dass er ihn fortan in Ruhe lassen würde, auch wenn seine Brust bei dem Gedanken daran eng wurde.
Seit einer Woche war die Bäckerei jetzt wieder geöffnet und Pearl ging jeden Tag hin, um sich ihren Kaffee und etwas zu Essen zu holen. Wolf musste sich praktisch auf die Zunge beißen, um sie nicht zu fragen, wie es Matty ging. Er hatte ihr nichts von dem Kuss erzählt, doch sie schien zu merken, dass irgendetwas in ihm vorging, denn jedes Mal, wenn sie aus der Bäckerei zurückkam, ließ sie Sätze fallen, wie „Unserem Nachbarn scheint es wieder richtig gut zu gehen" oder „Ich habe ihm einen Witz erzählt und er hat so gelacht, dass er Tränen in den Augen hatte."
Wolf vermutete, dass sie übertrieb und er grunzte immer nur irgendetwas Unverständliches. Doch er war ihr dankbar, dass sie ihm wenigsten diesen kleinen Einblick in Matty Leben gab. Natürlich hätte er einfach selber hinübergehen und mit Matty reden können. Doch immer wenn er sich dazu überredete, fand er zehn Gründe, es nicht zu tun. Und wirklich, wäre es nicht an Matty, sich bei ihm zu melden? Er hatte mehr als deutlich gemacht, dass Wolf mit dem Kuss eine Grenze überschritten hatte. Wolf würde diese imaginäre Grenze, die Matty gezogen hatte, nicht noch einmal ohne Mattys Genehmigung übertreten.
So verging beinahe noch eine ganze Woche, in der Wolf ein Tattoo nach dem anderen stach, seine Kunden über Muster, Farben und Hygiene informierte und dabei versuchte, nicht an seinen Nachbarn zu denken. Der Sommer war mit einer Hitzewelle über die Stadt hereingebrochen und Scharen von Touristen wälzten sich durch die engen Straßen. Überall wurde bis spät in die Nacht gelacht, gesungen und gequatscht, sodass Wolf auf seinem Hausboot keine Ruhe fand. Jede Nacht wälzte er sich von einer Seite auf die andere, hörte Fahrräder klappern und Leute lachen und fühlte sich nur noch schlechter.
„Du siehst Scheiße aus", sagte Pearl zu ihm eines Morgens, als er durch die Tür trat. Er hatte erst in den frühen Morgenstunden etwas Schlaf gefunden und dann seinen Wecker überhört.
„Dir auch einen guten Morgen", grummelte er und schlurfte zur Kaffeemaschine. „Wie viele Buchungen haben wir heute?"
„Zehn, vier am Morgen, der Rest am Nachmittag."
Er seufzte, goss sich Kaffee ein und nahm einen großen Schluck. Auch wenn seine Zeichenblockade nicht zurückgekommen war, so war er mit seinen Entwürfen doch nicht zufrieden. Sie waren zu dunkel, zu chaotisch. Er konnte nur hoffen, dass seine heutigen Kunden nicht zu anspruchsvoll waren.
Pearl trat zum Tresen und lehnte sich mit beiden Armen darauf. Sie musterte ihn mit schief gelegtem Kopf. Heute hatte sie sich für einen rot-karierten Minirock und ein schwarzes Tanktop mit dem Spruch „Make Love, don't Hate" entschieden. Sie sah entschieden punkig aus. „Sag mal", begann sie, „was ist eigentlich mit dir los? Seit Wochen schleichst du hier rum als ob jemand deinen Welpen getreten hat. Muss ich mir Sorgen machen?"
„Ich habe keinen Welpen", versuchte Wolf das Thema zu wechseln, doch Pearl verdreht die Augen.
„Du weißt ganz genau was ich meine. Was ist los?" Als er nicht antwortete, verschränkte sie die Arme. „Ist es der Laden? Ich dachte, wie machen jetzt richtig gut Umsatz."„Es ist nicht der Laden", Wolf ging mit seinem Kaffee zu seinem Schreibtisch und zog seinen Zeichenblock heran. Er wollte mit Pearl nicht darüber reden. Das würde sowieso nichts bringen.
„Was ist es dann?" Pearl sah ihn erwartungsvoll an. „Hab ich was falsch gemacht?"
Er seufzte. „Nein, hast du nicht. Es liegt nicht an dir."
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Tinte, Torte und Testosteron
RomanceMatty liebt seine kleine Bäckerei in Amsterdam. Das Leben wäre perfekt, wenn da nicht neben ihm ein Tattoostudio aufgemacht hätte! Und der Eigentümer Wolf erst! Dunkelhaarig, tätowiert und mit einem Motorrad. Matty weiß 100% dass es mit Wolf zu tun...