Kleider machen Leute

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„Sie sollten sich umziehen, Monsieur Dubois", sagte Perceval, nachdem sie zu Ende gegessen hatten. „Ihre Kleidung bedarf einer Reinigung, doch seien Sie deswegen unbesorgt. Die werten Damen werden sich derer gewiss annehmen."

„Ich fürchte, dass das nicht möglich ist", entschuldigte sich Bleuciel. „Ich habe nichts Anderes dabei."

Lachend schlug sich Perceval gegen die Stirn. „Ich vergaß, dass Sie nichts bei sich haben." Dabei stellte er sich dicht vor Bleuciel. „Ich bin einen halben Kopf kleiner, als Sie und - mit Verlaub - etwas schmächtiger. Meine Kleidung wird Ihnen nicht passen, Monsieur."

Etwas, worüber der Dieb nicht allzu traurig war. Sich in die noblen Klamotten eines Adeligen zwängen zu müssen, entsprach nicht unbedingt seinen Vorstellungen. Sofern sie ihre Zeit nicht in den edelsten Vierteln verbrächten, würde der Dreck an Bleuciels Kleidung ohnehin nicht sonderlich auffallen.

„Doch kein Grund zu verzagen, Monsieur", flötete Perceval mit lebhafter Stimme. „Es gibt ein Zimmer, in dem die Bediensteten ihre Privatkleidung aufbewahren. Ich bin sicher, dass wir dort etwas Passendes für Sie finden werden."

„Sich an dem Eigentum von anderen vergreifen?", fragte Bleuciel, der sich zugleich der Ironie seiner eigenen Worte bewusstwurde. „Wenn derjenige nun was dagegen haben sollte?", fügte er, ungeachtet dessen, hinzu.

In der Zwischenzeit hatte sich Perceval an den Schreibtisch begeben, um dort eine kurze Notiz zu verfassen. Diese wedelte er - zum Zwecke der Trocknung - kurz durch die Luft, bevor er sie in die Außentasche seines Gehrocks steckte.

„Lassen Sie das nur meine Sorge sein", erwiderte der Braunhaarige, bevor er Bleuciels linke Hand ergriff. „Kommen Sie! Das wird ein Spaß!"

Gemeinsam brausten die jungen Männer in den Korridor. Bleuciel blieb keine andere Wahl, als sich mitschleifen zu lassen. Dem Ehrgeiz des Adeligen hatte der Dieb nicht viel entgegenzusetzen. Außerdem sorgte der Händedruck für ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Sie rannten an zwei jungen Frauen vorbei, die sich - angesichts der stürmischen Art - an ihre Münder fassten und den zwei Herren mit einer Mischung aus Sorge und Erstaunen hinterhersahen.

Ohne sich davon in Verlegenheit bringen zu lassen, setzte Perceval den Weg ungebremst fort. Ihre schweren Schritte donnerten durch den Gang, weshalb Bleuciel fürchtete, dass man sie fälschlicherweise für Pferde halten könnte. Erst als sie das Ende des Korridors erreicht hatten, hielten sie nach Luft schnappend an.

„Da wären wir", keuchte Perceval, dem ein breites Lächeln auf den Lippen lag. „Hier bewahren die Männer ihre private Kleidung auf." Er klopfte an die Tür, wartete einen Moment und trat schließlich ein.

Bleuciel folgte dem Mann in einen Raum, der ausschließlich mit Kleiderschränken und ein paar Stühlen ausgestattet war und an dessen Ende ein großer Spiegel stand. Neugierig spähte Perceval hinter die einzelnen Türen, um das Innenleben der Schränke zu durchforsten. Beim dritten von sechs Schränken wurde der Mann schließlich fündig.

„Ah ..., dies scheint Ihrer Kragenweite zu entsprechen, Monsieur." Zufrieden zog der Adelige ein schlichtes weißes Hemd hervor. „Worauf warten Sie? Probieren Sie es an."

„Die Sachen gehören nicht mir", widersprach Bleuciel.

Dass er mal solch eine Diskussion führen würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Sich an dem Eigentum von anderen zu vergreifen, gehörte seit Jahren zu seinem gewohnten Lebensinhalt. Der Unterschied war jetzt der, dass er offenkundig dazu angestiftet wurde. Vielleicht war dies ein Trick? Ein Vorwand, um den Dieb hinters Licht zu führen? Sobald er der Versuchung nachgab, würde man ihn Dingfest machen. Das durfte Bleuciel nicht riskieren.

Le cour voléWo Geschichten leben. Entdecke jetzt