Während Perceval zu dem Pferd ging, bemühte sich Bleuciel den Dreck von seiner Kleidung zu klopfen. Obgleich er den misslichen Umstand bedauerte, gab er Monique die Schuld dafür. In seinen Augen hatte das hochgewachsene Vieh vollkommen überreagiert. Ihretwegen hatte er sich auf ganzer Linie blamiert. Andererseits, dachte Bleuciel, während sein Blick auf dem Adeligen ruhte, wäre es ohne den Zwischenfall nie zu dieser kleinen Intimität gekommen. So gesehen musste er Monique sogar dankbar sein. Vielleicht war das Pferd doch nicht so übel, wie er zu Beginn angenommen hatte.
„Sehen Sie das Gatter dort drüben, Monsieur?", rief Perceval über den Platz hinweg.
Dubois folgte der Richtung, in die de Rouyer mit ausgestreckter Hand hindeutete. Das Gatter war – wie auch der umliegende Zaun – in einem Weiß bestrichen worden.
„Ich möchte, dass Sie hinaufsteigen und auf mich warten. Ginge das?"
Welchem Zweck das dienlich sein sollte, wusste Bleuciel noch nicht. Trotz allem begab er sich zügigen Schrittes zu dem Gatter, um sich geschickt auf die oberste Latte zu setzen.
In der Zwischenzweit war Perceval mühelos auf das Pferd gestiegen. Die gerade Körperhaltung des Mannes zeugte von wahrer Eleganz. Pferd und Reiter ergänzten sich auf harmonische Weise und boten jedem Betrachter ein anmutiges Bild.
Einen kurzen Moment lang verspürte Bleuciel eine Spur von Neid. Während er selbst kaum etwas zu Stande brachte, überragte ihn Perceval jeden Augenblick aufs Neue. Nicht nur, weil der Adelige Geld besaß und ein begabter Künstler war, sondern auch, weil dieser lesen, schreiben und reiten konnte ... Alles Dinge, von denen der Dieb bisweilen nur zu träumen gewagt hatte.
Sie lebten in zwei völlig unterschiedlichen Welten, die bloß per Zufall aneinandergeraten waren. Schon bald würde jeder von ihnen wieder seiner eigenen Wege gehen, ohne zurückzublicken oder auch nur einen Gedanken an den anderen zu vergeuden. Eine Vorstellung, die innerlich schmerzte und Dubois zunehmend zweifeln ließ. Es war nicht klug, sich an Dinge zu gewöhnen, die einem nicht gehörten und auf die man keinen Anspruch hatte. Je tiefer sich Bleuciel in diese Umgebung hineinbegab, desto schwieriger würde es später für ihn werden, unbeschadet wieder hinaus zu gelangen.
Sobald Perceval das Porträt gemalt hätte, würde er den Dieb verabschieden. Anschließend wäre Bleuciel nur noch eine blasse Erinnerung, die in Form eines Bildes auf dem Zimmerboden des Adeligen lag.
Als das Hufgetrappel näherkam, erwachte Dubois aus seinen düsteren Gedanken. Er sah zu Perceval, der ihm wie immer ein warmes Lächeln schenkte. Eine hübsch anzuschauende Mimik, die Bleuciel zusätzlichen Kummer bereitete. Allmählich wurde die Nähe zu dem Mann unerträglich.
„Da bin ich", äußerte Perceval gut gelaunt. „Nun liegt es an Ihnen, Monsieur. Versuchen Sie auf das Pferd zu gelangen."
Nun ergab das Gatter seinen nötigen Sinn. Trotz allem war Bleuciels Geist nicht von jeglichen Zweifeln befreit. Dass Monique ihn hinter sich her geschleift hatte, lag schließlich nicht allzu lange zurück. Die Anwesenheit von Perceval schien sie jedoch milde zu stimmen und auch Bleuciel fühlte sich in dessen Gegenwart deutlich sicherer.
„Sie können sich auf meinen Schultern abstützten, Monsieur", erwähnte Perceval, der mit Monique genau neben dem Gatter stand. „Danach obliegt es nur noch, ein Bein über den Rücken zu strecken und sich hinter den Sattel zu setzen. Möchten Sie es probieren, Monsieur?"
Nickend stellte sich Bleuciel auf die Latte. Er lehnte sich etwas nach vorn, fasste mit beiden Händen an Percevals Schultern und tat das, was ihm nahegelegt worden war. Kurz darauf fand sich der Dieb auf dem Rücken von Monique wieder. Die Faszination darüber entlockte ihm ein kurzes Lachen.
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Le cour volé
Short StorySchon als Kind war Bleuciel auf sich allein gestellt, weshalb ihn die Not zu einem Dieb heranwachsen ließ. Als nunmehr 20-jähriger bestimmen Misstrauen und soziale Unbeholfenheit über sein Leben. Auf seinen Beutezügen durch Frankreichs Städte des 19...