In Gefangenschaft

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Nachdem Bleuciel aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, fand er sich – mit Handschellen gefesselt – in einer kleinen Gefängniszelle wieder. Diese beinhaltete rein gar nichts, weswegen er nur auf dem kalten Steinboden kauern konnte. Was man tat, wenn sich der Harndrang meldete, wollte er lieber nicht in Erfahrung bringen und war froh, dass dieses Bedürfnis derzeit keine Rolle spielte.

Mit dem Erwachen kehrten auch die Beschwerden zurück, weshalb sich Bleuciel an die pochende Wange griff. Sie fühlte sich warm und geschwollen an. Wie sie von außen betrachtet ausschauen musste, konnte der Dieb derweil nur erahnen. Zudem plagte ihn die Übelkeit, was sich ausnahmslos auf den Tritt von Dalle zurückführen ließ. Ungeachtet seiner körperlichen Leiden, war es vor allem Dubois' Seele, die ihm Kummer bereitete. Während des Vorfalls hatte sie großes Leid erfahren müssen, was sich anhand seines schwermütigen Herzens nicht verleugnen ließ.

Niedergeschlagen zog er die Knie an seine Brust, um die Stirn darauf ablegen zu können. Seine ungewisse Zukunft belastete Bleuciel sehr. Er fühlte sich vollkommen hilflos und leer. Das Verlangen danach, die Zeit rückgängig machen zu können, war noch sie so stark, wie in diesem Augenblick. Er fragte sich, welche Strafe ihn wohl erwarten würde, sollten seine diebischen Aktivitäten ebenfalls ans Licht kommen. Die Antwort darauf wäre vermutlich der Tod. Im besten Fall käme Dubois mit einer lebenslangen Haft davon, doch selbst die versetzte den Zwanzigjährigen in Angst und Schrecken.

In Momenten großer Verzweiflung klammert man sich gern an Dinge, die nicht mehr existieren, die trotz allem aber für Trost sorgen und den aufgewühlten Geist besänftigen.

Im Falle von Bleuciel war es die verstorbene Mutter, der seine Gedanken galten. Er sehnte sich nach ihr und wünschte sich ihre Wärme von damals herbei. Er stellte sich vor, wie sie ihm sanft über den Kopf streichelte und ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte, während ihr zartes Gesicht von einem warmen Lächeln durchzogen war. Bleuciels Hoffnung bestand darin, nach seinem Tod an ihrer Seite weilen zu dürfen, um endlich den lang ersehnten Frieden zu erlangen, der ihm zu Lebzeiten dauerhaft verweigert worden war.

Etwa zur selben Zeit, in der Dubois in seiner Zelle verkümmerte, lief Perceval durch die Stadt, um ihn zu suchen. Nicht zu wissen, ob das Verschwinden auf einen Unfall beruhte oder gar absichtlicher Natur entsprang, bereitete dem Adeligen zunehmendes Kopfzerbrechen. In seinen Augen war nichts vorgefallen, das eine solche Entscheidung rechtfertigte. Andernfalls war Bleuciel ein verschwiegener Mann. Wer konnte da schon mit Sicherheit behaupten, was in dessen Kopf vor sich ging? Trotz der mysteriösen Umstände war Perceval fest entschlossen, ihn wiederzufinden. Die Frage war bloß, wie er das in dieser großen Stadt bewerkstelligen sollte.

„Hach, ich weiß schon", murmelte er sich selbst zu, bevor er eiligen Schrittes zur Polizeistation lief.

Dort erhoffte sich Perceval die nötige Hilfe zu bekommen. Außerdem war Fernand Dalle ein guter Bekannter, der gewiss nicht davor scheuen würde, ihm unter die Arme zu greifen und einen selbstlosen Gefallen zu erweisen.

Mittlerweile hatte sich Bleuciel an die kalte Steinmauer gelehnt, um seiner Wange ein wenig Linderung zu verschaffen. Zudem fand er heraus, dass man ihm sein Messer mitsamt Geldbörse entwendet hatte. Genau genommen handelte es sich bei dem Messer um Morels Brieföffner, der Bleuciel – bei seinem derzeitigen Glück – womöglich noch zum Verhängnis werden würde. Sei's drum, dachte der Dieb. Sein Leben war ohnehin schon verwirkt. Dass sich zur gleichen Zeit die Tür der Polizeistation öffnete, bekam Dubois in seiner Zelle nicht mit.

„Guten Tag, die Herren", begrüßte Perceval die drei Gendarmen, sowie einen Mann, der ein auffallend blaues Auge besaß.

Der Adelige schloss die Tür hinter sich und schüttelte seine Arme, als wollte er dadurch die Kälte in seinen Gliedern vertreiben. Er fand sich in einem Raum mit zwei massiven Schreibtischen, den dazugehörigen Stühlen, einer kleinen Holzbank, sowie einem Aktenschrank wieder. Während zwei der Gendarmen an den Tischen verweilten, stand Dalle mit dem Mann in der Mitte des Raumes.

Le cour voléWo Geschichten leben. Entdecke jetzt